Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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126.

Dienstag, den 11. Juli 1775.

Ich sende Ihnen eine zweite Kritik. Ich glaube, sie weicht von meiner ersten nicht viel ab, aber Unterschiede müssen schon bestehen. Mein erstes Urteil habe ich unmittelbar nach dem Studium der Laharpeschen Schrift niedergeschrieben, dieses hier, nachdem ich eben Ihre gelesen hatte. Prüfen Sie, ob ich ein richtiges Gefühl habe, ob ich mehr oder minder dumm bin. Verwerfen Sie meinetwegen meine Kritik, lieber Freund, aber sagen Sie nicht, ich widmete Ihnen meine Gedanken nicht bis zur Erschöpfung.

Gestern habe ich Ihnen einen Riesenbrief geschrieben. Morgen werde ich von Ihnen vier Zeilen erhalten, recht dürftige und vielleicht recht grausame. Nun, wie sie auch ausfallen mögen, ich warte darauf mit mehr Ungeduld, als Sie einem Vergnügen entgegensehen. Ich habe eben auf das Hauptpostamt geschickt und den Befehl gegeben, daß man mir meine Briefe zu Frau Geoffrin nachbringen soll. Bis zu dem Augenblick, wo sie gebracht werden, werde ich wenig an der Unterhaltung beteiligt sein. Meine Augen und mein Herz sind nach der Tür gerichtet und auf die Hände jedes, der ins Zimmer tritt. Mein lieber Freund, so inniglich lebt man nur, wenn man leidet. Ist es nicht so? Ich habe noch eine andere Art starken Lebens gekannt. In schmerzlicher Wonne denke ich daran! Ich habe nach der Bretèche geschrieben, aber Sie sind nicht dort. Leben Sie wohl! Es ist mir unmöglich, von Ihnen zu lassen. Zerreißen Sie meine wertvolle Kritik nicht, und verlieren Sie sie nicht.


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