Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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152.

Donnerstag, den 26. Oktober 1775, sechs Uhr abends.

Sie sollen morgen früh ein paar Worte von mir haben. Ich bin im Besitze Ihres Briefes; es ist das erstemal, daß ich einen Brief am Tage nach seinem Abgange erhalte. Gewöhnlich bekomme ich ihn erst am dritten Tage. Doch wie Sie immer sagen, man muß die Dinge nehmen, wie sie sind. Denn sie ändern sich doch nicht. Nur sollten auch Sie nichts besonderes daran finden, Sie, der ewig nicht weiß, was er beginnen wird und wo er sein wird, wenn einmal nicht alles klappt. Ich habe Ihnen gestern geschrieben, nein, am Dienstag abend, und zwar durch den Kurier Turgots.

Mein Gott, sind Sie denn toll, sich beim Grafen Crillon nach meinem Befinden zu erkundigen? Der wird nur einmal etwas von mir wissen: wenn ich gestorben bin. Alles andere ist für ihn, als ereigne es sich in China. Er bildet sich etwas darauf ein, daß er seine Frau liebt, und er fühlt sich als reicher Mann. Das sind die beiden Themata, das beschwöre ich Ihnen, über die sich sein Gespräch nicht erhebt, solange er lebt.

Ich fühle mich gar nicht wohl. Ich habe einen krampfhaften Husten, der mich nicht einen Augenblick in Ruhe läßt.

Adieu! Ist es wirklich wahr, daß Sie sich nach meiner Liebe sehnen? Ein zartes Gefühl verrät das nicht, eher Löwenhunger und Nimmersattwerden. Ich werde Ihnen durch Turgots Kurier schreiben; lassen Sie meinen Brief morgen, am Freitag, um sechs Uhr bei Vaines abholen! Und um des Himmels willen, schreiben Sie Ihren Brief an mich vor neun Uhr abends! Die Post geht zu diesem Zeitpunkt ab, und Sie wissen, wie traurig es ist, einen Brief zu erhalten, der drei Tage alt ist, wo man sich doch nur vierzehn Wegstunden einander fern wohnt. Das verrät so viel Gleichgültigkeit, so viel Leichtherzigkeit! Einen Brief, der abends vor neun geschrieben worden ist, muß man anderen Tags früh um neun Uhr haben. Sie mögen sagen, was Sie wollen: Sorglichkeit und Aufmerksamkeit beweisen doch etwas.


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