Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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150.

Freitag, den 20. Oktober 1775, mittags.

Ich bin hastig, als ob Sie dadurch meinen Brief eher bekämen!

Mein lieber Freund, Sie sind ein Tor! Sie haben sich Herrn von Vaines gegenüber ungünstig über Turgot ausgesprochen. Damit gefährden Sie mich und meine Pläne! Sie sind wirklich ein Querkopf, aber doch ein guter lieber Mensch. Nur irren Sie sich, wenn Sie glauben, daß Armut oder Wohlhabenheit, also äußerliche Dinge, Einfluß auf mein Glück oder Unglück hätten.

Mein Lieber, weder Turgot, noch Vaines, noch der König, noch irgend eine irdische Macht vermögen etwas für mein Glück zu tun. Alle diese können mir den Seelenfrieden nicht geben, die Qualen meines Herzens nicht verscheuchen, mir keinen Balsam in mein Blut träufeln. O Gott, Sie hätten mich lieben müssen! Statt dessen bringen Sie es fertig, einen Minister zu reizen und zu hassen, weil er so anständig ist, mir keine Vorteile zuzuschieben.

Nicht Gold und auch nicht Größe macht uns glücklich!

Ich kann nicht sagen, wie wahr das für gewisse Seelen ist. Für das, was ich ersehnte, habe ich keine Entschädigung, nichts Gleichwertiges gefunden. Die Leidenschaft ist einzig in ihrer Art. Bloße Galanterie schmiegt sich den Umständen an. Ich habe stets nur das eine begehrt und geliebt, und zwar mit so eherner Hartnäckigkeit, wie man sie in einem Wirbelkopfe wie dem meinen kaum vermutet. Mein Verhalten bei den verschiedenen Gelegenheiten, wo ich mich hätte bereichern und mein Ansehen vermehren oder, richtiger gesagt, mir ein Ansehen – im Sinne der Schelme, die es einem zuerkennen, und der Hampelmänner, die nach ihrer Pfeife tanzen – hätte verschaffen können, bereue ich nicht.

Leben Sie wohl. Bester! Ich erwarte den Grafen Saint-Chamans. Wenn der Briefträger dagewesen ist, will ich fortfahren. Ich hoffe, ja, ich glaube, daß er mir einen Brief von Ihnen bringen wird. Nachdem Sie gestern den ganzen Tag mit gleichgültigen Leuten zu tun gehabt haben, werden Sie sich abends beim Nachhausekommen sicherlich gesagt haben: »Ich muß der ein bißchen Freude machen, die mich so lieb hat!«

Freitags, vier Uhr, nach dem Eintreffen der Post.

Keinen Brief von Ihnen! Ahnen Sie, wie ungerecht mich das macht? Nun hasse ich die anderen Briefe, die gekommen sind. Was nützen sie mir? Mein Sinnen und Sehnen hat nur einen Mittelpunkt. Es ist für mich gar nichts wunderbares dabei, daß sich Newton dreißig Jahre lang mit einer und derselben Sache beschäftigt hat. Mein Bester, Lieben ist das höchste Glück; geliebt werden vom Geliebten, das ist glücklicher sein als Gott! Sie haben mir einmal erzählt, Luzifer hätte sich angemaßt, Gott gleich zu stehen. Nun, ich war noch kühner. Es hat Zeiten in meinem Leben gegeben, wo ich mit keinem Gotte getauscht hätte. Aber ach, wie bin ich gesunken!

Ich habe keinen Brief von Ihnen erhalten. Es wird meine Schuld sein. Herr von Vaines wird Ihnen den meinen, den er vermitteln sollte, verspätet eingehändigt haben.

Mein Lieber, Ihren gestrigen Brief habe ich dreimal hintereinander gelesen. Was Sie da sagen von dem Unterschied zwischen Talent und Genie, ist inhaltlich vortrefflich und in der Form großartig. Der Vergleich ist genial. Aber ich bin nicht Ihrer Ansicht, daß Herrscher leidenschaftliche Menschen sein müssen. Charakter brauchen sie, keine Leidenschaft. Wenn sie kluge Verstandesmenschen sind, so ist das genug, ja, vielleicht das beste für eine Monarchie, wo Ordnung und Gleichmäßigkeit herrschen und wo behagliches Glück, nicht Ehrsucht, das Ideal sein soll. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß ein französischer Staatsmann weder Leidenschaft noch Genie nötig hat.

Mein lieber Freund, Sie werden diesen Brief am Sonnabend erhalten. Wahrscheinlich wird es der letzte vor Ihrer Abreise sein, die wohl am Sonntag stattfindet. Hier folgt mein Tagesbefehl:

Packen Sie alle meine Briefe in ein Paket, schreiben Sie meine Anschrift darauf, und überreichen Sie es eigenhändig Herrn von Vaines, der Ihnen den Empfang dieses wertvollen Gutes persönlich bestätigen soll. Legen Sie keinen Brief bei, sondern schicken Sie den mit der Post! Dann können Sie abreisen.

Ich möchte die Stunde, den Augenblick wissen, wo Sie Fontainebleau verlassen werden. Ich habe ein Interesse daran! Oder soll man das nicht haben, wenn man liebt?

Ich habe Ihnen zwar gesagt, ich will mich nicht mehr beklagen, will die Last meines Leides nicht auf Sie wälzen, aber erinnern Sie sich recht, ich habe mich nicht zu einem tadellosen ewiggleichen Verhalten verpflichtet. Das wird schon auch noch kommen. Gleichgültigkeit wird meinem Herzen nicht immer etwas Unmögliches sein.

Leben Sie wohl, mein lieber Freund! Mir ist zumute, als trennte ich mich auf recht lange Zeit von Ihnen. Und diese Trennung tut mir weher, als wenn Sie gekommen wären und hätten persönlich von mir Abschied genommen. Ich bin so traurig und mutlos. Ich habe Sie nicht. Ich habe keinen Brief von Ihnen. Ich sehe eine lange Reihe von ähnlichen Tagen vor mir, eine wie lange, lange Reihe!

Leben Sie wohl!


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