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Paris, 24. März 1778.
Gestern Montag den 23. nachmittag um vier Uhr sind wir, Gott Lob und Dank, glücklich hier angekommen; wir sind also neun Tag und einen halben auf der Reise gewesen. Wir haben geglaubt, wir können es nicht aushalten. Ich hab mich mein Lebetag niemal so ennuyiert. Sie können sich leicht vorstellen, was das ist, wenn man von Mannheim und von so vielen lieben und guten Freunden wegreiset und dann zehnthalb Tage nicht allein ohne diese gute Freunde, sondern ohne Menschen, ohne eine einzige Seele, mit der man umgehen oder reden könnte, leben muß. Nun sind wir, Gott Lob und Dank, an Ort und End. Ich hoffe, mit der Hilfe Gottes wird alles gut gehen. Heute werden wir einen Fiaker nehmen und Grimm und Wendling aufsuchen ...
Ich habe sehr viele gute Freund zu Mannheim (und ansehnliche, vermögende), die sehr wünschten mich alldort zu haben. Je nu, wo man gut zahlt, dort bin ich. Wer weiß, vielleicht geschieht es. Ich wünsche es, und mir ist auch immer so, ich habe immer noch Hoffnung. Der Cannabich ist ein ehrlicher, braver Mann und mein sehr guter Freund. Nur den Fehler hat er, daß er, obwohlen er nicht mehr gar jung, ein wenig fiüchtig und zerstreut ist. Wenn man nicht immer an ihm ist, so vergißt er auf alles. Aber wenn von einem guten Freund die Rede, so spricht er wie ein Vieh und nimmt sich gewaltig an, und das gibt aus, dann er hat Kredit. Übrigens aber von höflicher Dankbarkeit kann ich nichts sagen, sondern muß bekennen, daß die Weberischen ohngeacht ihrer Armut und Unvermögen und obwohlen ich ihnen nicht so viel getan habe, sich mehr dankbar bezeigt haben. Dann die Madame und Monsieur Cannabich haben kein Wort zu mir gesagt, will nicht sagen von einem kleinen Andenken, wenns auch eine Bagatelle wäre, nur um ein gutes Herz zu zeigen; so aber gar nichts und nicht einmal »Bedank mich«, wo ich doch wegen ihrer Tochter so viel Zeit verloren und mich so bemühet habe. Sie kann sich auch ißt überall ganz gewiß hören lassen; als ein Frauenzimmer von vierzehn Jahren und Dilettante spielt sie ganz gut, und das hat man mir zu danken, das weiß ganz Mannheim. Sie hat iht Gusto, Triller, Tempo und bessere Applikatur, welches sie vorher nicht gehabt hat. So in drei Monaten werde ich ihnen stark abgehen; dann ich fürchte, sie wird wieder verdorben und sich selbst verderben; dann wenn sie nicht immer einen Meister, der es recht versteht, um sich hat, so ist es umsonst: dann sie ist noch zu kindisch und flüchtig, um mit Ernst sich allein nutzbar zu exerzieren.
Die Weberin hat aus gutem Herzen zwei paar Tätzeln von Filet gestrickt und mir zum Angedenken und zu einer schwachen Erkenntlichkeit verehrt. Er hat mir, was ich gebraucht habe, umsonst abgeschrieben und Notenpapier gegeben und hat mir die Komödien vom Moliere (weil er gewußt hat, daß ich sie noch niemal gelesen) geschenkt mit der Inschrift: Ricevi, Amico, le opere del Molière in segno di gratitudine e qualche volta ricordati di me. Und wie er bei meiner Mama allein war, sagte er: »Ißt reist halt unser bester Freund weg, unser Wohltäter. Ja, das ist gewiß, wenn Ihr Herr Sohn nicht gewesen wäre, der hat wohl meiner Tochter viel getan und sich um sie angenommen. Sie kann ihm auch nicht genug dankbar sein.« Den Tag, ehe ich weggereiset bin, haben sie mich noch beim Abendessen haben wollen; weil ich aber zu Hause hab sein müssen, so hat es nicht sein können. Doch habe ich ihnen zwei Stunden bis zum Abendessen noch schenken müssen. Da haben sie nicht aufgehört sich zu bedanken; sie wollten nur wünschen, sie wären imstande, mir ihre Erkenntlichkeit zu zeigen. Wie ich wegging, so weinten sie alle. Ich bitte um Verzeihung, aber mir kommen die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke. Er ging mit mir die Treppe herab, blieb unter der Haustür stehen, bis ich ums Eck hemm war, und rief mir noch nach: »Adieu!«...