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Euphemia

Das war zu Chalcedon, am Strand
Des Bosporus im asischen Land,
Als Priscus, des Diocletian
Arger Vogt, die Christen, Mann
Und Weib gefangen nahm; sieh, da
Kam eine Maid Euphemia
Und schrie vor allem Volke dort,
Ihr sei unrecht geschehn. Sofort
Ließ Priscus sie kommen und fragte,
Was ihr geschehn. Die Jungfrau sagte:
»Ich bin zu Rom geboren,
Mein Stamm ist edel und auserkoren!
Philophronius ist der Vater mein,
Theodorosa mein Mütterlein.
Warum sendest du der Fremden so viel
Dahin zum ewigen Himmelsziel
Und mich nicht, die ich auch Christin
Gleich wie all die andern bin?«

Den Richter dauerte die Maid.
Er that ihr darum noch kein Leid,
Nein, ließ sie in den Kerker bringen.
Dort wollte er in jene dringen,
Daß sie ließe von ihrer Pflicht.
Sie aber sprach: »Was folgst du nicht
Dem Kaiser? Unrecht thust du mir,
Daß du so lang mein schonest hier,
Und mich nicht gleich den andern
Lassest zum Himmel wandern!«
Da wollte Priscus, der kühne Degen,
Selber Hand an die Schöne legen.
Gott aber schlug ihn, daß die Hand
Ihm krumm und lahm ward. Unverwandt
Lief er davon. Nun schickte er
Seinen Amtmann zu ihr her,
Daß er sie verlocke zu seiner Minne.
Doch dem verwirrten sich so die Sinne,
Daß er des Kerkers Thür nicht fand.
Mit einer Axt in seiner Hand
Lief er wieder dahin. Vergebens!
Das war das Ende seines Lebens.
Ein Teufel fuhr in ihn und riß
Ihn hin, daß er sich selbst zerbiß.

Euphemien geschah kein Schade.
Aus Feuersglut, aus dem Marterrade
Trug sie ein Engel, daß er sie rette,
Bei Seite auf eine hohe Stätte.
Bei diesem Wunder sprach also
Zu Priscus einer, auf Schaden froh:
»Die Christenheit ist wunderlich;
Kein Mittel sonst bewährte sich
Gegen sie, als scharfes Eisen;
Dies soll man denn auch hier beweisen!«

Der Vogt befahl, mit einer Leiter
Die Maid zu holen; doch nicht weiter
Kam, der hinaufstrebte so keck.
Er fiel herab. Man trug ihn weg.

Ein zweiter stieg empor; da schrie
Er gleich vor Furcht: »Eh' töt' ich hie
Mich selber, als daß ich hole die Maid.
Die Engel schützen sie alle Zeit!«

Endlich gelang es, sie zu ergreifen.
Man ließ sie ins Haus der Schande schleifen.
Doch wer da frechen Mutes kam,
Der ward vor ihr bald zag und zahm,
Als er sie in der Engel Kreise
Dort beten sah so still und leise.
Gar mancher wurde so ein Christ.

Doch Priscus gab nicht längere Frist
Der Jungfrau mehr. Er ließ sie führen
In eine Grube zu wilden Tieren.
Sieh, diese leckten ihr die Füße,
Umlagerten ganz zahm die Süße
Und kein's derselben schuf ihr Not.
Da schlug ein Henkersknecht sie tot
Mit einem Schwerte ohne Scheu.
Den Schelm zerriß sogleich ein Leu.

Euphemien, die gute, haben
Die Ihrigen ehrlich begraben
In Chalcedon. Der Wunder viel
Geschah'n an ihrem Grab. Da fiel
Gar mancher Heide und Jude ab
Von seinem alten Wahn, und gab
Der guten Christenlehre
Den Preis und würdige Ehre. Am selben Tage kam vor den Thron
Des Richters Lucia. Deren Sohn
Euprepius hatte in frevlem Streben
Sie selbst als Christin angegeben.
Und da man sie führte zum Richtplatz hinan,
Kam man zum Haus des Geminian,
Des Götzendieners. O Gnadenwunder!
Da ließ sich auf ihn eine Taube herunter;
Er hob die Augen, den Himmel sah
Er plötzlich offen, er stürzte da
Zu den Füßen der Heiligen hin
Und bat um die Taufe mit gläubigem Sinn.
Die gab ihm der Priester Protasius;
Dann ging er zum Tod nach des Richters Beschluß.

Euphemia, 16. Sept. 303 oder 307. Passional II. S. 480.


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