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Vitus war ein selig Kind,
Wie die Seligen immer sind,
In der Stadt
Lucana geboren.
Er hatte das Christentum erkoren
Durch seine Amme
Crescentia.
Zwölf Jahr' alt war er, als es geschah,
Daß von ihm flog die Märe,
Daß er ein Christ wäre;
Worüber sein Vater zu zürnen begann.
Hylas hieß der böse Mann.
Er übergab den Sohn allda
Seiner Amme Crescentia
Und ihrem Mann, Modestus genannt,
Mit dem Befehl, den Unverstand
Des Kreuzes ihm ganz zu verleiden.
Er wußte nicht, daß jene beiden
Längst im geheimen Christen waren.
Das mußte sich bald offenbaren.
Der Vater klagte sie alle an.
Der Vogt der Stadt,
Valerian,
Ließ das Kind mit Knütteln schlagen.
Da kamen aber arge Plagen
Ueber die Büttel; die Arme verdorrten
Ihnen und wurden erst nach den Worten
Veits gesund. Der Richter mit Beben
Ließ den Knaben übergeben
Dem Vater, daß er ihn belehre
Und auf der Heiden Wege kehre.
Der Vater sperrte den Knaben ein;
Da sah er bei Nacht einen hellen Schein
In dessen verschlossener Kammer; es waren
Der Himmelsengel lichte Scharen
Zu ihm gekommen. Der Alte schrie:
»Weh mir! Die Götter kamen hie
Zu meinem verlorenen Kind,
Wie Feuer gestaltet! Ich werde blind!«
Doch sein verlorenes Gesicht
Verschafften ihm seine Götter nicht,
Obwohl er Jovi ein Ochsenpaar
Mit vergoldeten Hörnern gar
Gelobte. Nur durch des Kindes Beten
Genas er wieder von seinen Nöten.
Vitus entfloh dem Kerker da
Mit seiner Amme Crescentia
Und deren Gatten Modestus. Am Strand
Hielt schon ein Schiff. Eines Engels Hand
Führte das Steuer; der fragte sie still:
»Wo wollt ihr hin?« – »Wohin Gott will.«
»Und wer gibt mir den Lohn geschwind?«
»Der Herr, deß Knechte wir alle sind.«
Da stieß der Engel gleich vom Strand.
Die Speise wurde ihnen gesandt
Auf Gottes Befehl gar wunderbar
Durch einen wilden Adelaar.
Binnen diesen selben Tagen
Erwuchs dem Kaiser ein großes Klagen
An einem seiner Kinder,
In das gar ein geschwinder
Teufel war gefahren;
Der schrie: »Wie ihr auch mögt gebaren,
Mich bringt aus diesem Kinde keiner,
Als Vitus von Lucana, ein reiner
Und holder Knabe!« –
Diocletian
Wandte nun alle Sorge an,
Diesen zu finden. Der trieb auch aus
Den Teufel. In seinem eigenen Haus
Wollte der Kaiser zum Dank ihn behalten,
Als sein eigener Sohn zu schalten,
Wenn er sich nur bekehrte
Und Romas Götter ehrte.
Da aber Vitus das nicht wollte,
Ergrimmte der Kaiser und rief, man sollte
Ihn und Modestus gefangen legen
Samt Crescentia. Mit harten Schlägen
Wollte man wenden ihren Sinn.
Man jagte Löwen auf sie hin.
Man stieß den Knaben in einen Kessel
Siedenden Oeles. Doch keine Fessel,
Keine Marter konnte sie blenden.
Gott sandte endlich, zu beenden
Die große Not, den Todesengel,
Der sie erlöste. Frei der Mängel
Zogen zum Himmel die Heiligen da.
Ein reines Weib,
Florenzia,
Ließ ihre Leichen zu Grabe bringen,
Die wir als Nothelfer besingen.
Vitus, 15. Juni 303. Passional II. S. 301.