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Maria Magdalena

Ich will beschreiben hie das Leben,
Das auf der Erde war gegeben
Der edlen Maria von Magdala,
Dem Herrn in Freud und Leiden nah.
Wie sie nach seiner Gnade warb,
Wie sie an ihrem Ende starb
Und wie sie lebte bei ihren Tagen,
Dessen laßt ein Teil euch deuten und sagen,
Zu Troste uns Sündern und zur Lehre,
Auf daß wir durch die Märe
Mit ganzer Hoffnung uns erlaben.
Nie war ein Mensch so tief begraben
In der Sünde Höllengrund,
Wird ihm nur rechte Reue kund,
Er mag wohl selig werden noch
Und frei von allem Sündenjoch.
Nun hört, wie sie berufen ward!

Es waren von gar edler Art
Und reichem Gut der Geschwister drei.
Als sie ihr Erbe teilten frei,
Erlas sich Lazarus das Haus
Dort in Jerusalem, durchaus
Der Welt und ihrer Lust ergeben.
Maria aber wollte leben
Auf Magdala, dem schönen Schloß,
Mit ihrer Freunde frohem Troß.

Für Martha blieb das dritte Gut
Dort zu Bethania; all ihr Mut
War nur den Armen allezeit
Und frommem Gottesdienst geweiht.
Sie war es, die allein zum Heil
Des Bruders und der Schwester Teil
Mit aller Klugheit wandte
Und ihren Leichtsinn bannte.

Maria hatte sich ergeben
Einem sündereichen Leben.
Man sagt, daß sie dem heiligen Manne,
Dem Evangelisten Johanne,
Dereinst beschieden war zur Eh',
Und daß es ihr drum war so weh,
Daß ihn Jesus zu sich nahm,
So daß sie aus Verzweiflung kam
In solches Leid, das sie auch ließ
In Sünden fallen; sie verstieß
All ihre gute Zucht und war
Von allen sieben Teufeln gar
– Ich meine die Hauptsünden alle –
Besessen. Und nach diesem Falle
Warf sie den guten Namen hin
Und hieß nur mehr »die Sünderin«.

Dies währte bis auf jenen Tag,
Da mit ihr seiner Treue pflag
Der gute Gott so mild
Und ließ an ihr ein Bild
Geben der Barmherzigkeit.
Die himmelische Weisheit
Hatte ihn uns in das irdische Land
Zu einem Arzte hergesandt.
Als er die andern machte froh,
Da stund ihr armes Herz also,
Daß sie bei sich gar wohl empfand,
Wie weit sie von der Freude stand.
Sie eilte den lieben Heiland zu finden;
Es drückten sie so ihre Sünden,
Daß sie nicht wagte zu sprechen.
Die große Reue wollte zerbrechen
Ihr Herz, daß sie zur Erde fiel
Vor Christus, ihrem höchsten Ziel.
Dort saß er, der viel Süße;
Seine heiligen Füße
Ergriff sie mit den Händen
Und wollte das nicht enden,
Ob auch die Heuchler wehrten ab:
Mannigen Kuß sie da gab
Den heiligen Füßen.
Sie hoffte so, zu büßen
Ihr Ungemach. Mit Thränen groß
Sie seine Füße so begoß,
Daß sie sie trocknen mußte wieder
Mit ihren Haaren, die hernieder
Vom Haupte wallten. – In gutem Sinn
Bist du, Maria, Sünderin,
Gekommen zu dem Bronnen
Und zu der lichten Sonnen,
Die so licht macht und so rein
Und tilget jedes Fleckens Pein!

So ward die treue Frau bekehrt
Und in dem Herzen wohl belehrt,
Daß sie den sollte minnen
Mit lauteren Sinnen,
Der ihre Sünden ihr vergab.
Nie wich sie später davon ab,
Daß sie die Schwester selbst, die gute,
Doch übertraf in hohem Mute.
Sie hatte nach des Heilands Wort
Erwählt den einzig wahren Hort,
Den besten Teil, der einzig not ist,
Dagegen alles andere tot ist.

Auch ihr zu Liebe ward gegeben
Dem Bruder Lazarus das Leben.
So ward gegeben auch der Frauen,
Daß sie Gott durft' am Kreuze schauen,
Und wie man ihn sodann begrub,
Und als er sich vom Grabe hub,
Ward sie zur Botin auserkoren
Des Heils: sie wahrte es unverloren.

Nach Christi froher Himmelfahrt,
Und da der Geist gegeben ward,
Erhub sich neue Not den Frommen.
Stephanus ward hinweggenommen.
Sie wurden allzumal zerstreut
Von einander gar zu weit.
Die Apostel wurden gesandt
Jeder in ein ander Land.

Maximinus hieß ein reiner,
Der zwei und siebenzig einer,
Die Christ erkor zu Jüngern gut.
Petrus gab in dessen Hut
Maria, Martha und Lazarus.
Die drei Geschwister hatten zum Schluß
All ihre Güter hingegeben,
Zu führen ein vollkommen Leben.
Marcella, ihre treue Magd,
War auch bei jenen, wie man sagt.
Bei ihnen war auch der Blindgeborne,
Von Christus zum Heile Auserkorne;
Cedonius war sein Name.
Die ganze Schar, die lobesame,
Aergerte die Juden also sehr,
Daß sie hinsandten auf das Meer
In einem schlechten Schiff die Frommen;
Steuer und Segel war ihnen benommen.
Doch glücklich nach Marsilienland
führte sie Gott hin auf den Strand.

Nur Heiden wohneten allda.
Als Magdalena dieses sah,
Beschloß sie, diesen Leuten
Den rechten Weg zu deuten
Mit honigsüßer Zunge
In hoher Minne Schwunge.
Kein Wunder war es, wenn der Mund
So gute Lehre machte kund,
Da ja die Frau, die süße,
Eh küßte Jesu Füße.

Ein Fürst verwaltete dies Land,
Ich weiß nicht, wie er ward genannt.
Er hatte ein Weib, jedoch kein Kind,
Drum war ihm alle Freude blind.
Im Traum erschien demselben Paar
Sankt Magdalena wunderbar
Zu dreien Malen, bis den Fürsten
Ergriff zum Himmelsquell ein Dürsten
Mit fester Treue Allgewalt.
Auf sein Gebet empfing gar bald
Seine Hausfrau ein Kindelein.

Marias Wort goß ihm hinein
Ins Herz die Sehnsucht, hinzukommen
Zum heiligen Land, von dem er vernommen,
Daß er in eigentlicher Nähe
Von Christi Werk die Wahrheit sähe.
Da seine Hausfrau dies vernahm,
Da wollte sie gar lobesam
Mit ihm zur heiligen Stätte fahren
Und keine Mühsal nimmer sparen,
Wiewohl sie trug ein liebes Kind.
Sie schlug die Warnung in den Wind,
Was er auch weigerte, und sprach:
»Ich will Gemach und Ungemach,
Will Wohl und Wehe mit dir tragen!«
Er durft' ihr nimmer widersagen.
Maria gab dazu den Segen
Und bat Gott, ihres Heils zu pflegen.

Doch als sie waren auf hoher See,
Da ward dem armen Weib so weh.
Sie genas des Kindes in der Not;
Das lebte, doch sie selbst war tot.
Ein Sturm bedrohte Aller Leben.
Da schrieen die Schiffer, von Angst umgeben:
»Wirf in die See das tote Weib,
Sonst bringt uns Unheil nur ihr Leib!«
Der Fürst verwehrt es; doch sie nahmen,
Als sie zu einer Insel kamen,
Die tote Frau samt ihrem Kind;
Dort ließen sie's. Und Sturm und Wind
Trieb schon das Fahrzeug wieder fort.
Mit Jammer sprach der Fürst das Wort:
»Oh weh dir, weh, Magdalena!
Daß du mir jemals kamst so nah,
Das muß ich immer klagen!
Ei, was hat dich hingetragen
Zu Marsilias Strande
Mir zu Schaden und Schande?
Daß mir dein Name nie kund ward!
O wehe mir zur leidigen Fahrt,
Die ich bestund durch deinen Gott!
Ich ward nur aller Leute Spott!«

Indessen jagte unverwandt
Der Sturm das Schiff zum heiligen Land.
Noch trug der Fürst das Kreuz am Kleide,
Mit dem Maria, ihm zum Leide,
Ihn hatte gezeichnet. Und deswegen
Trat ihm Petrus, der große Zwölfbote, entgegen,
Der dorten stand dem Strande nah
Und das Kreuz mit Verwundern sah.
Er fragte ihn nach der Märe,
Von wannen er gekommen wäre.
Der Fürst verschwieg sein Leid mit nichten,
Erzählte ihm all die Geschichten.
Da sprach Sankt Peter so zu ihm:
»Mein guter Mann, hör' und vernimm,
Was ich dir will drauf sagen:
Du sollst die Bittfahrt nicht beklagen,
In der du hergeraten bist!
Unser Herre Jesus Christ
Kann schlagen und heilen, wann er will;
Ihm ist's auf keine Art zu viel.«

Von diesen Worten kam ihm so
Ein Trost an, der ihn machte froh,
Und er begann mit Petrus zu wandern
Von einer Stätte zu der andern,
Da unser Heiland war gewesen.
Auch begann ihm Petrus vorzulesen
Mannige heilige Lehre,
Die Christus sprach, der Hehre,
Sodaß er sehr gebessert ward
Und nicht bereute seine Fahrt.
Er blieb bei Petrus wohl zwei Jahr,
Und zog im Lande her und dar,
Beschaute eine jede Statt,
Die unser lieber Herr betrat.

Nun wollte er auch heimwärts fahren.
Sankt Peter gab, ihn zu bewahren,
Ihm seinen heiligen Segen.
Hinfuhr der fromme Degen.
Zur Insel brachte ihn der Wind,
Wo er verlor so Weib wie Kind.
Er ging vom Schiff, zu schauen
Nach seiner toten Frauen.
Nun höret große Wunder an!
Die Schiffer an dem Strande sah'n
Ein Kind, zweijährig, spielen,
Mit Steinlein in das Wasser zielen.
Das lief, als es die Männer sah,
Zu einer Frau. Am Strande da
Lag sie, mehr schlafend noch als tot.
Sie fuhr, vom lauten Lärm bedroht,
Empor, wie solche machen,
Die schnell aus schwerem Schlaf erwachen
Und viele Träume haben gesehen.
»Weib!« rief der Fürst, »was ist mit dir geschehen?«
Sie aber sprach zum ersten da:
»O Maria Magdalena!
Du bist fürwahr ein selig Weib,
Weil also mein armer Leib
Ist von dir bewahrt gewesen,
Daß ich des Kindes bin genesen
Und ihm auch Nahrung konnte geben!
Ja, guter Mann, ich bin am Leben,
Wie du so blühend und gesund,
Und bin wie du in dieser Stund'
Von Jerusalem hergekommen.
Was du hast allda vernommen
Von Christ, dem guten Gotte,
Was dir Petrus, sein Zwölfbote,
Gewiesen hat, zu diesen
Hat mich auch hingewiesen
Maria Magdalena,
Sie war im Geiste mit mir da
Und ließ mir Leides nicht geschehen.« –
Sie sagte ihnen, wie sie gesehen
Hätte eine jegliche Statt,
Die Christus, unser Herr, betrat,
Wo er jedes Wunder beging,
Wo er saß, wo man ihn fing,
Wo man ihn schlug, wo man ihn hing,
Wo er lag im heiligen Grab, wo er
Zum Himmel nahm die Wiederkehr.

Sein Weib mitsamt dem Kindlein nahm
Der frohe Fürst zu Schiff und kam
Wieder heim nach Marsilia.
Nun hatte Magdalena da
Mit ihren Jüngern unverdrossen
Mit Himmelstau das Land begossen.
Da ließ auch jeden Zweifelmut
Der Fürst; mit vollkommener Demut
Trat er zum rechten Glauben.
Nicht wollte er erlauben
Den falschen Gottesdienst. Er baute
Der Kirchen viel. Da ward der traute
Lazarus Bischof in dem Land.
Zum Nachbarlande ward gesandt
Maximinus, der Gottesknecht,
Mit Bischofsamt nach heiligem Recht.

Binnen dieser selben Zeit
Gedachte Maria, nach Lust und Leid
Dieser Welt zu entfliehen
Und in die wilde Wüste zu ziehen.
Sie fand auf einem Berg im Wald
Eine einsame Höhle bald.
Dort lebte sie noch dreißig Jahr.
Vernehmet noch, wie wunderbar
Sie dort die Tagzeiten, die sieben
Hörte! Sie wurde von den lieben
Englein in den Himmel gebracht,
Mit Himmelsspeise dort bedacht,
Und hörte da nach des Herren Gebote
Die Heiligen singen vor dem hohen Gotte.
Und dies geschah jedweden Tag
Wohl siebenmal. Fürwahr, es pflag
Kein Kaiser, keine Kaiserin
Je solcher Ehre, daß ihr Sinn
Von solchen Kapellanen,
Von Gottes Unterthanen,
Die sieben Tagezeiten
In hohen Himmelsweiten
Noch bei Leibes Leben so
Vernehmen konnte selig froh!

Ein Mönch, der auch nach dreißig Jahren
In diese Wildnis kam gefahren,
Sah dort die Engel all, die schönen,
Hörte ihr Singen und ihr Tönen,
Und zu ihm sprach das reine Weib:
»Sieh, ich bin's, die den sündigen Leib
So lange trug! Das Sündenleben
Ward mir von Jesus Christ vergeben.
Geh' hin zu Maximin und sage,
Ich werde an dem Ostertage
In seine Kirche kommen
Und dann hinweggenommen!«

Zu Maximinus lief der Gute.
Als dieser mit getreuem Mute
Am Ostertag zur Kirche kam
Alleine früh, sieh, da vernahm
Er, wie die Engel brachten
Marien. All ihr Trachten
War nur mehr nach dem Leib des Herrn.
Den gab ihr Maximin gar gern
Und sang das Amt mit frohem Mute.
Das hörte an die Fromme, Gute.
Darauf nahm Gott das selige Weib
Zum Himmel. Doch ihr heiliger Leib
Wurde an dem Ort begraben.

Wie wir nunmehr vernommen haben,
Ward durch der üblen Heiden Hand
Die Stätte später ganz verbrannt.
Es zeigte Gott denselben Ort
Einem frommen Mönche; der brachte fort
Den Leib nach Aix im selben Land,
Wo die Abtei Sankt Maximin stand.

Gott helfe denen, die jemals schrien
Zur guten Sünderin Marien,
Die einst mit heißer Reue
Die Zelle hoher Treue
Gefunden hat! Dies kann sie zeigen
Und mit ihren Gebeten neigen
Gegen uns den Uebersüßen,
Vor dessen heiligen Füßen
Sie lag. Gern hilft er ihren Knechten
Und Mägden dann zu ihren Rechten.

Maria Magdalena, 22. Juli 80. Passional S. 367. Marsilienland ist Marseille.


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