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Mariä Himmelfahrt

Nachdem mit frommem Mut
Die zwölf Apostel gut
Den heiligen Geist empfingen,
Da eilten sie und gingen
In die Lande her und hin,
Dem Wort getreu mit frommem Sinn,
Das ihr Herr sie predigen hieß;
Ihrer keiner das unterließ:
Sie säten, wohin sie kamen,
Rechter Lehre Samen,
Der seither wuchs im Glauben
Und den sich nicht ließ rauben
Das Volk in den Landen weit.

Nun war binnen dieser Zeit
Maria rein und gut
Unter Johannis Hut.
Zwei Ämter waren ihm befohlen,
Deren pflegte er unverhohlen:
Marias Hut und die Lehre.
Der beiden pflegte der Hehre,
Denn er trug gar weisen Sinn.
Der edlen Königin
Schuf er zuhause Ehre genug;
Wohl zwölf Jahre trug
Sie noch ihr segenreiches Leben,
Von Freunden treu umgeben.
Er fuhr zu predigen in das Land,
Das Asia ist genannt.
Wohin er kehrte, an jedem Ort
Lehrte er das Gotteswort.

Als einst die Jungfrau rein,
Im Gebete ganz allein,
An ihr Kind dachte hin
Und ihr mütterlicher Sinn
Mit Jammer sie zwang,
Daß ihr Herze darnach rang,
Ihr Kind zu schauen noch einmal,
Da kam ein lichter Sonnenstrahl
Hin in die Kammer auf der Au,
Wo sich die liebe Frau
Beschlossen hatte ganz allein.
Ein lichter Engel rein
Sprach so: »Maria, höre mich!
Mich hat dein Kind gesandt an dich,
Jesus, des Himmels Krone,
Der in dem höchsten Throne
Sitzt; er ruft dich alsogleich
In das große Himmelreich
Ohne Klage und ohne Not.
Dich soll nicht fällen bittrer Tod;
Des Himmels Thor ist offen dir,
Da dein mit züchtiger Begier
Die Engel und die Heiligen warten.«
Eine Palme aus des Himmels Garten
Gab er ihr da in die Hand
Als Siegeszeichen, eh er schwand.

Maria darob nicht erschrak,
Da sie gar oft der Zwiesprach pflag
Mit Engeln, und sie sprach zu ihm:
»Ei, guter Engel Cherubim,
Wenn ich Gnade finde
Vor meinem lieben Kinde,
So wäre mein bittliches Begehr,
Ich wollte, daß mir kämen her
Vor meines Todes Falle
Die lieben Apostel alle,
Daß ich in rechter Nähe
Mit Augen sie sähe
Und vor ihnen meines Leibes Leben
Könnte fröhlich aufgeben.«

Binnen dieser Zeit geschah,
Daß man Johannes predigen sah
Zu Ephesus im Lande.
Gott unser Herr sandte
Dahin einen Donnerschlag,
Daß alles Volk gar sehr erschrak.
Dabei kam eine Wolke fahl,
Draus fuhr ein lichter Wetterstrahl
Zum Volke, das ihm war so nah.
Johannes ward entrücket da
Und gebracht vor unserer Frauen Thür.
Er klopfte: da lief man herfür
Und ließ Johannen hineingehen.
Als sich da sollten sehen
Die beiden jungfräulichen Herzen,
Das war in Freuden und in Schmerzen.
Maria sprach: »Mir naht der Tod.
Nun höre ein Teil meiner Not,
Was ich habe von denen vernommen,
Die beiweilen zu mir kommen!
Die Juden haben also gesagt:
Sobald der Tag tagt,
Daß Jesu Mutter soll sterben,
So wollen wir verderben
Den Leichnam, der ihn trug,
Ihn schänden lästerlich genug
Und werfen in ein Feuer;
Da soll ihm Hilfe werden teuer.
Drum laß es dir gefallen,
Daß du ihr böses Schallen
Stillest nach deiner Macht.
Die Palme, die mir der Engel gebracht,
Laß vor der Bahre tragen,
Um sie mit Schrecken zu schlagen!«

Johannis Augen wurden naß;
Vor Marias Bett er saß
Und sprach: »O kämen nach meinem Begehr
Nur alle die Apostel her,
So wollten wir ohne Gefährden
Dich bestatten zu der Erden!«

Nun waren binnen dieser Zeit
Die Apostel gar weit
Zerteilet in den Landen,
Da sie von Sündenbanden
Das blinde Volk erlösten,
Es mit Gnade zu trösten,
Daß mannige Seele gerettet ward.
Wo ein jeder auf seiner Fahrt
Predigend hin die Schritte lenkte,
Ein Nebel sich da niedersenkte
Auf ihn, der ihn entzückte
Und von den Leuten entrückte.
Nach unseres Herren weisem Sinn
Kamen sie bis vor die Thüre hin
Des Hauses, da Maria lag;
Darob gar mancher erschrak.

Auch Paulus war daher gekommen.
Als so die lieben Frommen
Standen vor Mariens Thür,
So kommt Johannes herfür.
Wie froh ward er da,
Als er sie allesamt ersah!
Er sagte ihnen die Märe,
Wie der Frau geschehen wäre.

Die Apostel treu und gut
Verhehlten drum ihren trüben Mut
Und gingen vor Maria hin.
Ihr heilig demütiger Sinn
Neigte sie zur Erde
Mit inniger Geberde
Im Angesicht des Todes da.
Als Maria Paulum sah,
Empfing sie ihn mit Grüßen.
Er fiel ihr zu Füßen
Und sprach: »Gegrüßet sei mir hie,
Da ich mit Fleisches Augen nie
Dein liebes Kind gesehen habe;
Dein Anblick mich zum Troste labe!«

Als Maria die gute
Mit jenem hohen Mute,
Den sie zu jeder That gewann,
Der rechten Zeit sich besann,
Da legte sie an ihr Sterbekleid
Und lag mit großer Innigkeit
Allda in einem Bette;
Ein Licht entbrannte man zur Stätte.
Auch waren da zwanzig Jungfrauen gut.
Maria stund in deren Hut;
Die dienten ihr mit Fleiße
Auf löbliche Weise.
Die Apostel lobten Gott
Nach ihres Willens Gebot
Im Chor, der bis zum Himmel klang.
Petrus, der gute, sang
Also mit ihnen lieblich und fein:
»Freue dich, freue dich, Königin rein,
Du Fraue, da dich Gottes Rat
Sonderlich geminnet hat,
Die du in der Keuschheit Leben
Der Welt ein Licht hast gegeben!
Wohl dir, daß dein je ward gedacht!«

Dies währte bis hin in die Nacht,
Daß die Apostel rein
Und das Volk allgemein
Ob der Frauen wachte,
Als das Haus erkrachte
Von einem großen Donnerhall,
Der ertönte ob ihnen all
Mit einem starken Sause.
Da ward auch in dem Hause
Ein süßer Duft; da kam gefahren
Mit lichten, engelischen Scharen
Jesus, der Jungfrau Sohn. Es sangen
Die Engel mit fröhlichem Prangen,
Da von dem Leib Marias Seele kam,
Die Jesus Christus selber nahm
Auf seinen Arm; und er entschwang
Sich aufwärts in der Engel Sang.
Die empfingen sie mit hohem Lied:
»Wer ist es, die aus der Wüste zieht,
Auf ihres Liebsten Brust geneigt?
Das ist die Braut, der Gott erzeigt
Vor den Töchtern allen
Inniges Wohlgefallen.«
Da rief auch Adam und Eva:
»O liebe Tochter Maria!
Wohl uns, du herzeliebes Kind,
Daß mit dir unterlegen sind
Der Schlange Listen, Sünd' und Not;
Die sind durch deine Keuschheit tot!
Komm, gebenedeite Frucht;
Denn uns ist von so schöner Zucht
Gar wenig hergekommen!«
So ward die Seele genommen
Und ob der Engel Chöre gebracht,
Wie Gott es hatte wohl bedacht.

Indes bedeckten die Jungfrauen
Den Leichnam, blütenklar zu schauen,
Mit seidenen Tüchern, legten ihn
Dann auf eine Bahre hin
Mit inniglicher Traurigkeit.
Als die Bahre war bereit,
Und darum Lichter entbrannt,
Die alle trugen in der Hand,
Die ihre Freunde waren,
Da brachte man zur Bahren
Die sternlichte Palme her.
Johannes bat man nunmehr,
Daß er, der jungfräuliche Mann,
Mit der Palme ging voran.

Petrus und Paulus darauf kam
Zur Bahre; jeder nahm
Sie an ihrem Ende
In seine Hände.
Die Apostel auch zugleich
Halfen ihnen trauerreich
In der Prozession.
In lustvollem Ton
Hörte man der Engel Sang,
Der in der Luft weit erklang.
So ward sie getragen aus der Stadt.
Gar viel des Volkes hinzutrat
Und wunderte sich sehr,
Wen man mit solcher Ehr'
Brächte hin zu dem Grab.
Ihrer einer lief da hinab
Und erfuhr die Märe,
Wie und was da wäre.

Da hub das Volk überall
Unter ihnen zornlichen Schall.
Die Fürsten und die Judenpfaffen
Begannen bald zu schaffen,
Daß jeglicher herauskäme
Und Schild und Schwert nähme.
Ein Pfaffenfürst lief da voran.
Er führte die Rotte an
Und wollte mit Unehren
Die Bahre umkehren.
Die Hände er an die Bahre schlug,
Was ihm Gott doch nicht vertrug.
Ihm klebten Hände und Arme
An der Bahre, daß der Arme
Herrn Petrus schrie um Hilfe an,
Denn er erkannte den heiligen Mann.

Da sprach Petrus: »Willst du gestehn,
Daß alles Heil der Welt geschehn
Durch Marias Sohn,
So hoff' ich, daß zum Lohn
Für dein treu Gemüte
Gott erzeige seine Güte.«
Da sprach der Jude: »Ich glaube, ja!«
Vom Banne ledig ward er da,
Doch lahm noch und schwach.
Petrus zum zweiten Male sprach:
»So küsse nun die Bahre,
Daß Heil Dir wiederfahre!
Dann nimm die Palme unentwegt,
Die Johannes trägt,
Und frage das blinde Volk, das tolle,
Ob es dem Glauben folgen wolle;
So werden Sie sehend werden
Und frei von allen Gefährden!«
Das that er; denn mit Blindheit geschlagen
Waren, die es wollten wagen,
Ihm zu folgen: sie sahen nun wieder
Und sanken vor der Bahre nieder.

Die Fürsten der Christenheit
Brachten nun den Leib der Maid
Zu Josaphat in das Thal.
In der Luft war großer Schall
Von den Engeln Gottes
Nach dem Willen seines Gebotes.
Der Leichnam ward allda begraben.
Nun wollten sie dort Wache haben.
Am dritten Tag ein lichter Schein
Schien den Aposteln allgemein
Ob dem Grab der Frauen.
Sie begannen Wunder zu schauen.
Es schwebten auch viel Engel rein
In jenes Lichtes hellem Schein
Herum und darob;
Die sangen dazu hohes Lob.
Da kam Christus herab
Und hub aus dem Grab
Den reinen Leichnam, daß nach dem Leide
Leib und Seele beide
Vereinigt sollten sein
In der lichten Wolken Schein
Ob aller Heiligen Heiligkeit,
Da ihr Gestühle war bereit.

Die Apostel küßten der Jungfrau Grab
Und gingen fröhlich wieder hinab.
Nun war Sankt Thomas, wie wir lesen,
Nicht an dem Tag dabeigewesen.
Er bat, daß sie mit ihm hinab
Wieder wollten gehn zum Grab,
Daß er möge schauen
Den Leichnam der Jungfrauen.
Als die Apostel hintraten
Und das Grab aufthaten,
Da war darin nichts als das Kleid;
Der Leichnam war im Himmel weit.
Die Erde war dafür zu schwach;
Daher sie das Recht der Natur zerbrach.
Sie war nicht würdig der Ehre,
Daß ihr unterthan wäre
Ein also großes Heiligtum.
Der Himmel und des Himmels Ruhm
Hatte nur die Kraft dazu.
Doch Thomas zweifelte. Im Nu
Erschien Maria selber wieder
Und reichte ihm ihren Gürtel nieder,
Daß er ein Zeugnis des Wunders hätte.
Der Gürtel wird an heiliger Stätte
Noch zu Pistoia aufbewahrt.

Die Gottesmutter rein und zart,
Als Engelskönigin
Und Himmelsherrscherin
Sitzet sie nun oben,
Die wir genug zu loben
Mit aller Macht nicht mächtig sind,
Und fleht für uns bei ihrem Kind.

Mariä Himmelfahrt, 15. Aug. Passional S. 120 ff.


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