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Nun hört mich von Pilatus sagen!
Es war ein König vor jenen Tagen,
Cyrus, ein reicher Heide,
Von dem ich euch bescheide.
Da er nach Gewohnheit einmal
Zur Jagd ausritt über Berg und Thal,
Ward er in die Irre gebracht
Und mußte bleiben über Nacht
In einer Mühle, dem Walde nah,
Wo er des Müllners Tochter sah;
Die war so schön, daß die Minne
Zu ihr bezwang des Königs Sinne.
Er ritt darauf mit seinen Mannen
Zu Hause hin von dannen.
Die Maid gebar ein Söhnlein da.
Sie selber hieß
Pila,
Und ihr Vater
Atus;
Drum nannte sie
Pilatus
Das Kind. Es wurde schön und klar
Und wuchs bis in das dritte Jahr.
Da wurde es zu Hofe gesandt.
Der König empfing zuhand
Den Sohn mit väterlichem Mut
Und ließ ihn erziehen gut
Wie seinen rechten Sohn,
Den ihm die Königin schon
Geboren hatte vor kurzer Zeit.
Doch in unseligem Neid
Schlug Pilatus den Bruder nieder.
Der König wollte nicht wieder
Den Mord durch Tötung rächen,
Doch sandte er den Frechen
Als Geisel in das römische Land.
Nun war aus Gallien versandt
Nach Rom auch eines Fürsten Sproß,
Der den Pilatus arg verdroß.
Es kam zum Streit in einem Spiel;
Pilatus schlug und jener fiel.
Zur Sühnung für den zweiten Mord
Ward nun Pilatus wieder fort
Geschickt in ein Land,
Das
Pontus ist genannt,
Das ein Volk der Bosheit voll
Bewohnte; doch gelang es wohl
Den Listen, die Pilatus erdachte,
Daß er das Land zur Ruhe brachte.
Er herrschte mächtig in dem Land,
Dach welchem er
Pontius ward genannt.
Er bedrückte die Leute dort
Und gewann so großen Hort,
Daß er damit nach Roma zog
Und den Kaiser
Tiberius bewog,
Judäa ihm zu übergeben.
So ward erreicht sein hohes Streben.
Ihm zur Seite waltete da
Sein Weib
Claudia Procula;
Vergebens suchte diese zu retten
Den Heiland aus des Neides Ketten.
Pilatus fällte doch den Spruch
Des Todes, sich selber zum Fluch.
Und es geschah zu dieser Zeit,
Daß Kaiser
Tiberius großes Leid
Von einer Krankheit hatte empfangen,
Dawider Heilung zu erlangen
Von keinem Arzte möglich war.
Da hörte er fürwahr
Von einem Heiland auserkannt
Zu Judäa im fernen Land,
Der nur mit seinem Wort allein
Heilen konnte alle Pein.
Da sandte er den
Volusian
Zu Pilatus, daß er den Mann
Ihm sende; der erschrak gar sehr
Ueber des Kaisers Begehr.
Doch es fügte sich allda,
Daß einst der Frau
Veronica
Begegnete Volusian.
Nun fragte sie der gute Mann,
Wo der Arzt wohl wäre,
Von dem so weite Märe
Flöge in die Lande,
Nach dem der Kaiser sandte,
Daß er bald käme
Und ihm sein Leid benähme.
Jesus, sprach er, sei sein Name.
Da sprach die Frau, die lobesame:
»Wehe, Herre, wehe mir!
Von dem kann ich wohl sagen dir,
Weil ich ihn wohl kannte,
Als sein Heil sich wandte
In jämmerliche Todesnot.
O wehe, er ist leider tot.
Pilatus, der falscheste Mann,
Hat es den Juden zu Willen gethan
Neulich vor diesen Tagen.
Ich sah ihn selbst das Kreuze tragen.
Sein Antlitz war von Schweiß und Blut
Beronnen; mit traurigem Mut
Bat er mich um mein Schleierlein,
Damit zu trocknen sein Antlitz rein.
Dasselbe Tuch hab' ich bei mir;
Es zeigt sein völlig Abbild schier,
Als ob es wäre darauf gemalt,
Von segenbringender Kraft umstrahlt.
Würde dies zu deinem Herrn gebracht,
Daß er mit rechter Andacht
Einmal sähe darein,
Alle seine Sucht und Pein
Schlüg' es gleich darnieder.«
Da sprach Volusianus wieder:
»Ist es um Silber oder Gold,
Daß dieses Kleinod, Fraue hold,
Dem Kaiser kann zu eigen sein?«
Da sprach Veronica: »O nein.
Kein Gut vergilt dies Kleinod reich;
Doch will ich mit dir also gleich
Nach Rom zum Kaiser kommen
Zu seinem Heil und Frommen
Und ihm mein Tüchlein bringen hin;
Denn ich weiß wohl, es rettet ihn
Und läßt all sein Leid zergehn,
Will er es nur gläubig ansehn.«
So kam nach Rom Veronica.
Tiberius lag noch krank allda,
Als Volusianus zu ihm ging.
Der Kaiser, der ihn fröhlich empfing,
Fragte ihn nach dem Arzt allein.
»Ach Herre, lieber Herre mein,«
Sprach er, »den Arzt, den ich dir
Sollte bringen her mit mir,
Den haben die Juden verraten
Alldort vor Pilaten,
Der ihn verurteilt hat zum Tod.
Manche ängstliche Not
Sie da an ihm begingen,
Bis sie ans Kreuz ihn hingen.
Doch eine Frau, die dem guten Mann
Heimlich war unterthan,
Bringt dir zum Heil ein Tüchelein;
Sein Antlitz drückte er darein.
Dies Bildnis mag dir Friede bringen
Und deine Krankheit niederringen.«
Den Kaiser mußte das erfreuen.
Er hieß gar bald bestreuen
Den Weg mit seidener Tücher Pracht.
So ward das Bild vor ihn gebracht,
Getragen von der Frauen.
Als er begann zu schauen
Das Bild des Herrn der Herrlichkeit,
Da brach entzwei all sein Leid,
Und er ward auch zur selben Stund'
Von aller Krankheit ganz gesund.
Doch umso größer wuchs sein Grimm
Gegen Pilatus, der so schlimm
Gewaltet hatte im Judenland.
Eilig ward nach ihm gesandt.
Pilatus merkte nach dem allen,
Er sei in Ungnade gefallen.
Darum erfand er diese List:
Er trug den Rock, der Jesu Christ
Zuvor war gewesen,
Ob er dadurch möchte genesen.
So trat er vor Tiberius hin.
Und wunderbar! Der zornige Sinn
Des Kaisers auf einmal verschwand,
Daß er gegen ihn aufstand
Und wie ein Freund den Freund empfing.
Jedoch sobald er von ihm ging,
Erwachte wieder seine Wut:
So wechselte des Kaisers Mut.
Da fügt es Gott, wie er wohl kann,
Daß es dem Kaiser ward kund gethan,
Wie nur der heilige Rock es sei,
Den jener trug, was ihn so frei
Von allem Zorn des Kaisers mache.
Um zu vollenden seine Rache,
Ließ ihm der Kaiser den Rock abziehn;
Dann stieß man in den Kerker ihn,
Wo, fürchtend größeres Ungemach,
Pilatus selber sich erstach.
Man band den Leichnam an einen Stein
Und warf ihn in den Tiber hinein,
Worauf die üblen Geister kamen,
Den bösen Leichnam nahmen
Und damit übten solches Spiel,
Daß alle Leute Furcht befiel,
Mit Blitz und Donner, Sturm und Flut.
Um zu bannen der Hölle Wut,
Schaffte man die Leiche hindann
Bis an den Wasserfluß
Rhodan.
Doch da auch dort die Höllenrotte
Nicht ließ von argem Schimpf und Spotte,
Warf man den unglückseligen Rumpf
Noch weiter weg in einen Sumpf
Auf einem Berg im Schweizerland,
Der nach ihm
Pilatus ist genannt.
So endete der Ueble da.
Doch sein Weib
Claudia Procula
Ward später in der heiligen Frommen
Gemeinschaft treulich aufgenommen
Und empfängt nun im Himmel den Lohn
Für ihre Sorge um Gottes Sohn.
Pilatus und Procula. Passional S. 81 f. Veronica bedeutet sonst auch das Bild, Verona die Frau.