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Vom heiligen Grale

Vom Gral und von der Tafelrunde
Vernehmt nun wunderbare Kunde,
So reich und voll, wie kaum zuvor
Es noch vernommen hat ein Ohr.

Als Lucifer der hehrste war
Der Engel in der Himmelsschar,
Da war die schönste Krone sein
Und drin der reichste Edelstein.
Es war ein Jaspis jener Art,
Dem Wunderkraft verliehen ward,
Der jeden Wunsch sogleich gewährt,
Unsterblichkeit verleiht und nährt.
Wer ihn geschaut, dem schafft der Tod
Die nächste Woche keine Not.
Er ist der Stein auch, dessen Kraft
Dem Phönix neues Leben schafft.

Doch wehe, Lucifer empörte
Sich gegen Gott, und der Bethörte
Ward vom getreuen Michael,
Dem Kämpfer ohne Furcht und Fehl,
Im tobenden Getümmel
Geworfen aus dem Himmel;
Da ward sein Name umgewandt,
Daß er ward »Lucifur« genannt,
Es sei ihm leid oder lieb.
Der Name sagt: »des Lichtes Dieb«.

Da so der Schalk mit Astarot,
Belcimon, Radamant, Belot,
Sich gegen Gottes Macht empörte
Und unterlegen war, zerstörte
Die Krone Michael der Held.
Der edle Stein fiel auf die Welt,
Ward dann entdeckt und fand im Schatz
Der Könige von Iran Platz.
Melchisedech hatt' ihn nach dem,
Der Priesterkönig von Salem.
Dem weisen Salomon gab ihn
Frau Balkis, Sabas Königin.
Der weihte ihn dem Gotteshaus
Und machte eine Schale draus,
Die ward seitdem der »Gral« genannt.
Nabuchodonosor fiel ins Land
Und raubte sie nach Babylon.
Belsazar trank daraus zum Hohn,
Doch nicht das Leben, sondern Tod.
Das wunderköstliche Kleinod
Gab Melchior aus Morgenland
Darnach in des Christkindleins Hand,
Dem es gebührte ganz allein.
Es mochte auf der Flucht wohl sein,
Daß es verloren ging. Es kam
Dann zu Herodes. Von dem nahm
Die Tochter der Herodias
Die Schüssel, ach, vom Blute naß
Des guten Täufers. Doch aus Reue
Gab Salome den Stein aufs neue
Hinweg. So kam er in die Hand
Des Nikodemus wohl bekannt.
Der war des lieben Heilands Wirt
Am Ostertage; unbeirrt
Von Furcht lud er die Jünger ein.
Der Heiland gab sein Blut, den Wein,
Beim letzten Abendmahle
Aus dieser Gralesschale
Den Jüngern; und am Tag darauf
Da fingen sie sein Blut drin auf,
Das ihm aus seiner Seite brach,
Die des Longinus Speer durchstach.

Joseph von Arimathia
Begrub den Leib des Heilands da,
Der treue, den dafür die Juden
Mit Ketten schwer beluden.
Dem Hungertod war er geweiht;
Doch Christ erschien ihm in dem Leid,
Bracht' ihm den Gral, der gab fürwahr
Ihm Speise volle vierzig Jahr.

Indessen Joseph im Gefängnis
Erfuhr die bitterste Bedrängnis,
Lag auch in schweren Siechtums Bann
Der Römerkaiser Vespasian.
Da brachte Heilung ihm allein
Veronikas Schweißtüchelein.
Der Kaiser hörte da vom Christ,
Wie der gemartert worden ist.
Titus, sein Sohn, der sollt' es rächen,
Jerusalem mußt' er zerbrechen.
Er endete auch des Joseph Leid.
Der ging nach langer Leidenszeit
Nun frei aus seinem Kerker fort
Und predigte des Herren Wort
In Sarras. Dort saß auf dem Thron
Evalach, der von Babylon
Das Lehen trug. Mit seinem Schwager
Seraphe grad im Felde lag er;
Da kam Joseph ins Schlachtgefild.
Ein rotes Kreuz auf weißem Schild
Gab er dem König, und im Krieg
Ward diesem wunderbarer Sieg.
Evalach nahm die Taufe an,
Zugleich mit ihm noch mancher Mann.

In diesem ritterlichen Bunde
Schuf Joseph nun die Tafelrunde.
Ein runder Tisch trug jenen Gral
Und einte sie zum Liebesmahl.
Nur einen Sessel ließ man frei
Ob des Judas Verräterei.
Mit den Genossen und dem Gral
Zog Joseph nun durch Berg und Thal.
Der heilige Philipp schickte ihn
Nach Gallien, nach Britannien hin,
Zu predigen des Heiles Kunde;
Auch dort hielt er die Tafelrunde.

Doch nach des frommen Joseph Sterben
Kam in den heiligen Bund Verderben.
Statt reiner Liebe nahm allein
Stolz, Haß und Geiz die Herzen ein.
Da wich hinweg das Himmelsglück,
Gott nahm den teuren Gral zurück;
Er übertrug des Grales Hut
Den Engeln, die nicht bös' noch gut
Beim Abfall Lucifers sich zeigten
Und sich auf keine Seite neigten.

Doch Gott erkor nun das Geschlecht
Des Fürsten Senabor, edel und echt
Dem alten Troia entsprossen.
Mit ihren Kampfgenossen
Waren die Söhne des Senabor,
Berylle, Sabilor, Assibor,
Bei Titus und Vespasian,
Da man Jerusalem gewann.
Vom Heiland hörte dort Berylle
Und nahm die Taufe in der Stille.
Nach Rom hin lud Vespasian
Die drei Gebrüder lobesan
Und gab dem tapferen Berylle
Die eigene Tochter Argusille.
Ihr Sprosse hieß Titurison,
Und Titurel war dessen Sohn.
Der durfte wieder den Gral erschauen
Und ihm den Wundertempel bauen
In Spanien in Biskayens Näh',
Zu Salvaterre dort beim See
Brumbane. Wohl dreihundert Jahre
Baute daran der Lobebare
Und starb doch nicht. In Ehren stand
Das Reich des Grals. Die Ehre schwand,
Als dann der Sohn des Titurel,
Der minnedurstige Frimutel,
Und dessen Sohn Amfortas gar
Weltlicher Lust erlegen war.
Das war zu König Artus' Zeit.
Erst Parzifal hat gottgeweiht
Des Grales Würde wieder gehoben
Und sein Sohn Lohengrin, hoch zu loben.

Indessen ward zu Salvaterre
Das Volk so bös', daß Gott der Herre
Den Gralesrittern anbefahl,
Aus jenem Land den teuren Gral
Gen Osten wiederum zu führen.
Und sie gehorchten nach Gebühren.
Nach Indien zogen sie zumal,
Wo Feirefis, des Parzifal
Halbbruder, herrschte; und ganz nah
Dem Paradiese waltet da
Priester Johannes nach heiligem Brauch,
Mit ihm Sankt Thomas' Nachfolger auch.
Dort ragt des Grales Tempel wieder;
Doch davon singen andere Lieder,
Die künd' ich euch ein andermal
Zu Ruhm und Ehr' dem heiligen Gral.

Vom heiligen Grale. Dies Kapitel ist einer umfassenden Bearbeitung der gesamten Sage vom Gral und von der Tafelrunde entnommen, die ich zur Herausgabe vorbereite.


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