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Dionysius, genannt
Areopagita, war bekannt
Weithin als Philosoph. Es lehrte
Zu
Athen der Hochgeehrte
Auf dem Areopag. Zur Zeit,
Da Christus trug das Todesleid
Und Finsternis über die Erde kam,
Erschraken die Meister lobesam
Dort zu Athen und stritten sich
Ueber den Grund so wunderlich
Dieser Verfinsterung allhie,
Die nach der Kunst der Astronomie
Nimmer zu erklären war.
Dieses nur schien ihnen klar:
»Entweder hat sich die Natur
Verkehrt, oder es lügen nur
Die Elemente, oder es litt
Der Herrscher der Natur, und mit
Dem Herrscher leidet die Natur.«
So dachten sie. Auf dieser Spur
Kam Dionysius ganz nah'
Der Wahrheit, und er sagte da:
»Die neue Nacht, die uns so quält,
Bedeutet ein neues Licht der Welt!«
Dem Worte keiner widersprach.
Die Athener machten darnach
Nach der Philosophen Gebote
Einen Altar dem großen Gotte
Der Natur und schrieben
Darauf, von gutem Willen getrieben:
»Dem unbekannten Gotte sei
Der Altar geweiht!« – Dabei
Wurde kein Opfer gebracht,
Denn die Philosophen hatten gedacht,
Daß der Herr der ganzen Natur
Nicht der Gaben brauche, nur
Mit Gebet sei er erfreut
Und mit des Herzens Innigkeit.
Nicht lang nachdem dies war gescheh'n,
Kam auch zur schönen Stadt Athen
Der heilige
Paulus hin und lehrte
Das Volk, wodurch er viele bekehrte.
Da brachte man ihn vor den Rat;
Der hatte seine rechte Statt
Auf dem Areopage dort.
Dionysius führte das Wort
In dieser Versammlung. Da begann
Nun Paulus und hub vor ihnen an
Die Lehre vom unbekannten Gotte,
Der nach der rechten Weisheit Gebote
Ein Geist ist und ein Mensch zugleich,
Der da herrscht über der Engel Reich,
Der uns erschuf nach seinem Exempel,
Der weder Haus hat noch auch Tempel,
Der unseres Gutes nicht bedarf,
Der jedes Götzenbild verwarf;
Wir sind in ihm und leben
In ihm mit ganzem Streben.
Da sprach auch Dionysius:
»Du, Fremder, kamst zu jenem Schluß,
Daß dein Gott so mannigfalt
Beweise seine Allgewalt.
Sieh', dort schleicht über den Markt dahin
Ein Blinder! Höre, kannst du ihn
Durch deines Gottes Namen heilen,
So will ich deine Weisheit teilen.«
Da sprach Sankt Paulus: »Nein, ich nicht,
Du selber sei es, der da spricht!
Sag' du zu ihm: Durch Jesus Christ,
Der von Maria geboren ist,
Der an dem Kreuz erlitt die Not,
Und der erstanden ist vom Tod,
Der all den Himmel, alle Erden
Beherrscht, mögst du nun sehend werden!«
Und Dionysius sagte so;
Da ward des Lichts der Blinde froh.
Bei diesem Wunder ließen sich taufen
Gar viele aus dem Heidenhaufen,
War es auch manchen anderen leid.
Paulus blieb dreier Jahre Zeit
Dort, von den Griechen hochgeehrt.
Man sagt, er habe da gelehrt,
Was er im dritten Himmel sah,
Als er, wie es zuvor geschah,
Dahin entzückt ward. Diese Lehren
Von der Engel neunfachen Chören
Hat Dionysius dann den lieben
Mitbrüdern treulich aufgeschrieben.
Wir haben noch dies Buch zur Hand.
Paulus zog in ein ander Land
Darauf hinweg und ließ in Athen
Dionysius als Bischof besteh'n,
Der dort allzeit nach Ehren warb.
Als uns're liebe Fraue starb,
Maria, die schöne,
Und mit Sanges Getöne
Von Engeln ward zum Himmel gebracht,
Da war mit guter Andacht
Dionysius auch dabei gewesen,
Wie wir in seinen Schriften lesen.
Als er sodann vernahm die Märe,
Daß
Petrus und
Paulus gefangen wäre,
Da ließ er seine Treue schauen;
Sein Bistum eilte er zu vertrauen
Einem andern heiligen Mann
Und zog nach Rom, allwo er sann,
Den beiden Aposteln Trost zu bringen.
Doch als sie mit des Glaubens Schwingen
Zum Himmel sich erhoben
Durch der Heiden Toben,
Da bat
Clemens, der Bischof klar,
Der des Petrus Nachfolger war,
Den Dionysius, hinzuwandern
Nach
Gallien, um dort noch andern
Die Lehre zu künden eiferlich.
Zwei Gefährten nahm er mit sich,
Rusticus und
Eleutherius.
Ihnen gelang es auch zum Schluß
Zu Paris und anderwärts,
Vieler guter Heiden Herz
Dem Glauben zuzuwenden
Und ihren Götzendienst zu enden.
Dies mochte nicht erleiden
Des üblen Teufels Neiden;
Darum trieb er
Domitian,
Den bösen Kaiser, also an,
Daß er befahl, die Christen zu ergreifen,
Zum Götzenopfer hinzuschleifen,
Und wenn sie sich weigerten, sie zu erschlagen.
Groß war die Trübsal in diesen Tagen.
Da kam auch ein Vogt in der Gallier Land,
Fescentinus war er genannt.
Der ließ auch den Dionysius
Mit Rusticus und Eleutherius
Fangen, dieweil ein thöricht Weib
Sie hatte verklagt auf Leben und Leib
Als die Verführer ihres Gatten.
Gar schlimme Peinen und Martern hatten
Die drei Heiligen zu besteh'n.
Man ließ sie schlagen, darauf geh'n
Ueber feurige Kohlenglut.
Doch Dionysius sprach voll Mut:
»Nun erst versteh' ich des Propheten
Wort: Ja, Herre, deine Reden
Sind ein Feuer, und dein Knecht
Liebt es so; es ist gerecht.«
Man reizte auf sie manch wildes Tier.
Als sie, trotz ihrer Peiniger Gier
Noch lebten und im Kerker lagen,
Da wollte noch eine Messe sagen
Der Heilige vor seinen Getreuen.
Sieh', da erschien, ihn zu erfreuen
Christus selber, der ihm bot
Zum Amte ein gesegnet Brot.
Man führte d'rauf den andern Tag
Die Heiligen in den Tempelhag
Des Gottes Merkur. Dem falschen Gott
Sprachen sie aber kühnlich Spott.
Da ließ man ihnen das Haupt abschlagen.
Nun hört von großem Wunder sagen!
Dionysius, der tote, nahm
Sein eigen Haupt in die Hände und kam
Damit bis zu jener Stätte,
Die er zum Grab erkoren hätte.
Durch dieses Wunder bekehrten sich
Gar viele Leute inniglich,
Voran die Heidenfrau, durch deren
Anklage starben jene Hehren.
Sie bekannte ihr Unrecht mit heiligem Mut
Und vergoß zur Sühne ihr Blut.
Dionysius hatte einen Freund,
Regulus hieß er, treu vereint
Ihm in Liebe, Bischof auch er.
Seine Messe las der Herr
An fernem Orte. Sieh', da ward
Des Freundes Tod ihm offenbart.
Er sah auf dem Kreuz ob dem Altar
Drei Tauben sitzen licht und klar,
Die hatten der drei Heiligen Namen
Auf ihren Brüsten, mit wundersamen
Blutigen Zeichen. Daraus ersah
Der Bischof, daß die Heiligen da
Gestorben wären und eingeschrieben
Im Buche des Lebens bei dem lieben
Könige der Engelscharen,
Wohin auch wir einst mögen fahren.
Dionysius Areopagita, 9. Okt. Passional II. 544. Die Legende vermischt den Bischof von Athen mit dem von Paris, der einer späteren Zeit angehört, ebenso nimmt sie keinen Anstand, ihm die berühmten pseudodionysischen Schriften zuzuweisen.