Ernst Jaedicke
Deutsche Sagen
Ernst Jaedicke

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Die Schwarzenbörner bewirten den Landgrafen

(Hessisches Jahrbuch 1854 [K. Wehrhan])

Einmal saß der hochweise Rat von Schwarzenborn beisammen, um über das Wohl der Stadt zu beratschlagen, als ein milchbärtiges Junkerlein die Straße heraufgaloppiert kam, vor dem Rathause hielt und sagte, er sollte einem ehrsamen Rat vermelden, daß sein Herr, der Landgraf, in der Nähe auf der Jagd wäre und in der getreuen Stadt Schwarzenborn einen Imbiß einzunehmen gedenke. Darob war der Bürgermeister sehr erfreut, teilte den übrigen Ratsherren die Kunde mit und beschloß mit ihnen, den Landgrafen im großen Rathaussaale zu bewirten. Zwölf Schüsseln mit mancherlei Braten, jungem Gemüse und süßen Kuchen wurden in aller Eile bereitet: jeder Ratsherr sollte dem Landgrafen eine davon darbringen.

Als nun wirklich der Fürst mit seinen Hofedelleuten erschien und an der Tafel Platz genommen hatte, da fragten die Ratsherren den Bürgermeister: »Wie sollen wir's machen?« Und der Bürgermeister antwortete: »Ich gehe mit der ersten Schüssel voran; sehet nur auf mich, wie ich es mache, so macht ihr es alle!« Also nahm er die Schüssel und schritt voran. In der Tür des Saales aber stolperte er über die Schwelle und ließ die Schüssel fallen, der Hintermann stolperte vorschriftsmäßig nach und warf seine Schüssel zu der ersten; der dritte stolperte und so fort, bis alle zwölf hereingestolpert waren und ein Berg von Speisen und zerbrochenen Schüsseln schier die Tür versperrte. Fast hätte den Bürgermeister der Schlag gerührt, und seine Ratsherren waren schon in Sorgen, daß sie ihm auch das nachmachen müßten. Der Landgraf aber hatte lachend zugesehen und sagte: »Wir haben zwar samt und sonders leere Mägen, und diese schmackhaften Gerichte würden uns wohlgetan haben; doch denke ich, daß meine guten Bürger von Schwarzenborn noch etwas anderes bieten können, unseren Hunger zu stillen.«

Die ehrsamen Väter der Stadt steckten nun die Köpfe zusammen und fragten einer den andern: »Was sollen wir tun?« Da half ihnen der Landgraf aus der Not, indem er sagte: »Wir haben nun euren guten Willen gesehen, da wir aber sehr hungrig sind, so gebt uns denn, was ihr habt, und sollte es am Ende nur ein halbes Viertel Käse sein.« Die Ratsherren eilten von dannen, nahmen jeder einen Korb und gingen von Haus zu Haus, um Käse einzusammeln. Nach Verlauf einer halben Stunde erschien der Bürgermeister wieder vor dem Landgrafen, schlug sich zerknirscht auf die Brust und sagte, sie hätten allen Käse, der in der Stadt Schwarzendorn zu finden wäre, zusammengebracht, aber es wäre ihnen unmöglich, die gewünschte Menge herbeizuschaffen. Als der Landgraf den betrübten Bürgermeister tröstend ermunterte, das zu bringen, was sie gefunden hätten, schafften die Ratsherren sieben und eine halbe Metze Käse herein. Sie hatten nämlich nach Fruchtmaß gerechnet, wobei sechzehn Metzen auf ein hessisches Viertel gehen. Da der Landgraf sich nun mit einem halben viertel Käse begnügen wollte, so glaubten sie, daß acht Metzen darunter verstanden wären.


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