Ernst Jaedicke
Deutsche Sagen
Ernst Jaedicke

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Die verwünschte Prinzessin im Gartzer Schrey

(A. Haas)

Der Kroatenberg im Gartzer Schrey hat seinen Namen daher erhalten, daß in früheren Kriegszeiten, vielleicht schon im Dreißigjährigen Kriege, die Kroaten auf dem Berge ihr Lager aufgeschlagen hatten. Nach einer alten Volksüberlieferung wohnt im Kroatenberge eine verwünschte oder verzauberte Prinzessin, die von Zeit zu Zeit aus dem Berge hervorkommt und sich den Menschen zeigt. Zuletzt ist sie im Jahre 1875 gesehen worden. Darüber berichtet Förster Teuchert wie folgt:

Es war im Jahre 1875, wenige Tage vor dem Johannistage, da kam ein vierzehnjähriges Mädchen, das im Gartzer Schrey gewesen war, voller Schrecken und Aufregung nach der Stadt zurückgelaufen und meldete hier, ihr sei soeben – es war in der Mittagsstunde kurz vor zwölf Uhr – die verwünschte Prinzessin auf dem Kroatenberge erschienen; die Prinzessin hätte oben auf dem Berg gesessen und ihr gewinkt, näher heranzutreten. Als sie das getan hätte, habe die Prinzessin zu ihr gesagt, sie könne am Johannistage in der Mittagsstunde erlöst werden, wenn ein reiner Junggeselle sie alsdann auf den Mund küssen werde. Die Prinzessin – so erzählte das Mädchen weiter – habe ein weißes Kleid angehabt und habe wunderhübsch ausgesehen, nur daß sie an Stelle des Mundes eine greuliche Schweineschnauze gehabt hätte.

Die Erzählung des Mädchens brachte die ganze Stadt Gartz in Aufruhr. Ältere Leute erinnerten sich, in ihrer Jugend gehört zu haben, daß die Prinzessin sich schon früher zu gewissen Zeiten gezeigt habe, und als im Jahre 1875 der Johannistag herangekommen war, begaben sich zahlreiche Bewohner von Gartz, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, nach dem Schrey hinaus, um das Erscheinen der Prinzessin mitzuerleben. Allmählich sammelten sich Hunderte von Menschen an, und die Menge stand Kopf an Kopf gedrängt auf dem Kroatenberge, als es Mittag wurde – aber die Prinzessin ließ sich nicht blicken.

Der Berichterstatter fügt hinzu: »Ich hatte im Jahre 1875 kurz vorher mein Amt als Förster im Gartzer Schrey angetreten; daher ist mir der ganze Vorfall so lebhaft in Erinnerung geblieben.«


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