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Das Symposion oder Gespräch über die Erlösung

Unfähig, sich selber mitzuteilen, unfähig, seine Einsamkeit zu sprengen, verdammt, Schauspieler seiner selbst, Stellvertreter des eigenen Wesens zu bleiben, – was immer der Mensch vom Menschen erfahren kann, bleibt bloßes Symbol, Symbol eines unfaßbaren Ichs, reicht über den Wert eines Symbols nicht hinaus: und alles, was auszusagen ist, es wird zum Symbol des Symbols, wird zum Symbol zweiter, dritter, n-ter Ableitung und verlangt im wahren Doppelsinn des Wortes nach der Vorstellung. Es wird daher niemandem Schwierigkeiten bereiten und wird höchstens der Kürze der Erzählung dienen, wenn man sich vorstellen wollte, wie das Ehepaar Esch zusammen mit dem Major und Herrn Huguenau sich auf einer Theaterszene befindet, in eine Darbietung verstrickt, der kein Mensch entgeht: als Schauspieler zu agieren.

 

Um den Tisch in Eschs Gartenhause sitzen Frau Esch, ihr zur Rechten der Major, zur Linken Huguenau, ihr gegenüber (mit dem Rücken zum Zuschauer) Herr Esch. Das Abendessen ist vorbei. Auf dem Tische das Brot und der Wein, den Herr Esch von einem inserierenden Weingutbesitzer eingehandelt hat.

Es beginnt zu dunkeln. Im Hintergrund sind noch die Konturen des Gebirgszuges zu erkennen. Zwei Kerzen, in den Glasglocken sogenannter Windleuchter brennend, werden von Mücken umtanzt. Man hört die stoßweise asthmatische Arbeit der Druckmaschine.

 

Esch: Darf ich noch einschenken, Herr Major?

Huguenau: Prächtiges Weinchen, an dem ist nichts auszusetzen; da können wir uns mit unsern Elsässerweinen verstecken. Kennen Herr Major unsere Elsässerweine?

Major: (abwesend): Ich glaube nicht.

Huguenau: Nun, es ist ein harmloser Wein … wir Elsässer sind überhaupt harmlos …, ein ehrlicher Tropfen sozusagen, nichts Hinterhältiges (er lacht) und nachher gibt's höchstens einen einfachen natürlichen Rausch …, man schläft ein, wenn man genug hat, das ist alles.

Esch: Ein Rausch ist nie natürlich, ein Rausch ist eine Vergiftung.

Huguenau: Ei, sieh an, da kann ich mich an Fälle erinnern, wo Sie ganz gerne ein Gläschen über den Durst genehmigten … zum Beispiel … Herr Esch, ich sage bloß Wirtschaft »Zur Pfalz« … übrigens (er schaut Esch aufmerksam an) gar so unvergiftet kommen Sie mir nicht vor.

Major: Ihre Angriffe gegen unseren Freund Esch sind recht bedauerlich, Herr Huguenau.

Esch: Lassen Sie ihn, Herr Major, er meint es nicht ernst.

Huguenau: Doch, ich meine es ernst, … ich sage überhaupt alles gerade heraus, wie ich es mir denke, … unser Freund Esch ist ein Wolf im Schafspelz, … ja, dabei bleibe ich … und, mit Verlaub zu sagen, seine Räusche tut er im geheimen ab.

Esch: (verächtlich): Mich hat noch kein Wein umgeschmissen …

Huguenau: Ja, ja, nur immer hübsch nüchtern, Herr Esch, da verrät man sich nicht.

Esch: … es mag vorkommen, daß ich trinke, ja, und daß dann die Welt so einfach wird, als würde sie aus lauter Wahrheit bestehen … so einfach wie im Traum … einfach und doch schamlos voller falscher Namen … der richtige Name ist nicht zu finden …

Huguenau: Sie müssen eben Meßwein trinken, dann werden Sie Ihre Namen schon erwischen … oder den Zukunftsstaat, wie man's eben nimmt.

Major: Man soll auch im Scherze nicht lästern … auch im Wein und Brot ist das Gleichnis.

Huguenau: (merkt seinen Fauxpas und errötet).

Frau Esch: Ach, Herr Major, so geht es immer, wenn Herr Huguenau mit meinem Mann beisammen ist … gewiß, was sich liebt, das neckt sich, aber manchmal ist es wirklich nicht mehr mitanzuhören, wie er alles in den Kot zerrt, was meinem armen Mann heilig ist.

Huguenau: Scheinheilig! (Er hat sich wieder zurechtgefunden und zündet die erloschene Zigarre umständlich an.)

Esch: (von seinem Gedankengang besessen): Die Wahrheit im Traum kommt auf Krücken … (er schlägt auf den Tisch) die ganze Welt geht auf Krücken … eine hinkende Mißgeburt …

Huguenau: (interessiert): Invalide?

Esch: … wenn es nur einen einzigen Fehler in der Welt gibt, wenn an einer einzigen Stelle das Unwahre wahr sein sollte, dann … ja, dann ist die ganze Welt unwahr … ist alles unwirklich geworden … teuflisch weggezaubert …

Huguenau: Hokuspokus, weg ist sie …

Major: (ohne auf Huguenau zu hören): Nein, Freund Esch, im Gegenteil: unter tausend Sündern braucht bloß ein Gerechter zu sein …

Huguenau: … der große Zauberer Esch …

Esch: (grob): Was wissen Sie von Zauberei … (schreit ihn an) … eher sind Sie ein Taschenspieler, ein Jongleur, ein Messerschmeißer …

Huguenau: Herr Esch, Sie sind in Gesellschaft. Menagieren Sie sich.

Esch: (beruhigter): Zauberei, Taschenspielerei ist teuflisch, das ist das Böse, macht die Unordnung immer nur noch größer …

Major: Wo die Erkenntnis fehlt, dort ist das Böse …

Esch: … und erst muß der kommen, der den Fehler ausmerzt und Ordnung macht … der den Opfertod auf sich nimmt, die Welt zu neuer Unschuld zu erlösen …

Major: Der die Prüfung auf sich nimmt … (mit Festigkeit) doch der ist schon gekommen: er war es, der die falsche Erkenntnis vernichtet und die Zauberei vertrieben hat …

Esch: … noch ist Finsternis und in Finsternis ist die Welt zerfallen … ans Kreuz geschlagen und in letzter Einsamkeit von der Lanze durchbohrt …

Huguenau: Hm, unangenehm.

Major: Eine furchtbare Dunkelheit war um ihn, ein Dämmerlicht stumpfer Unsicherheit, und keiner trat zu ihm, in der Einsamkeit ihm zu helfen … er aber hat das Böse auf sich genommen, er hat die Welt vom Bösen erlöst …

Esch: … noch ist Mord und Gegenmord, und es wird erst Ordnung, wenn wir aufwachen …

Major: Die Prüfung auf sich nehmen, erweckt werden aus der Sünde …

Esch: … noch ist nichts entschieden, wir sind bloß eingekerkert und müssen warten …

Major: … eingekreist sind wir von der Sünde, und der Geist ist Ungeist …

Esch: … wir warten auf das Gericht, noch haben wir Galgenfrist und wir können das neue Leben beginnen … das Böse hat noch nicht gesiegt …

Major: … befreit aus dem Ungeist, befreit durch die Gnade, … dann ist das Böse verschwunden und es war niemals da …

Esch: … ein böser Zauber, ein fauler Zauber war es …

Major: … immer ist das Böse außerhalb der Welt, außerhalb ihrer Grenzen; nur wer über die Grenze tritt, wer aus der Wahrheit heraustritt, der stürzt in den Abgrund des Bösen.

Esch: … wir stehen am Rande des Abgrundes … am Rande des dunklen Schachtes …

Huguenau: Das ist für uns zu hoch, was, Frau Esch?

Frau Esch: (streicht ihr Haar zurück; dann legt sie den Finger an den Mund, um Huguenau Schweigen zu gebieten).

Esch: Viele müssen noch sterben, viele müssen sich opfern, damit Platz werde für den Sohn, der das Haus neu bauen darf … dann erst werden die Nebel sich lichten und es wird das neue Leben, licht und unschuldig …

Major: Das Böse ist bloß scheinbar unter uns, verwandelt in vielerlei Gestalt, aber niemals ist es selber da, … Gleichnis des Nichts – wahrhaft ist bloß die Gnade.

Huguenau: (der sich nicht in die Rolle des schweigenden Zuhörers verweisen lassen will): Na, wenn Diebstahl oder Kinderschändung oder Desertion oder Krida bloß scheinbar ist, dann sieht es ja recht tröstlich aus.

Major: Das Böse ist nicht-existent … die Gnade hat die Welt von dem Bösen erlöst.

Esch: Je ärger das Übel, je tiefer die Finsternis, je schärfer das sausende Messer, desto näher das Reich der Erlösung.

Major: Nur das Gute ist wahrhaft und wirklich … es gibt bloß eine Sünde: das Gute nicht wollen, die Erkenntnis nicht wollen, nicht guten Willens sein …

Huguenau: (eifrig): Ja, Herr Major, das stimmt … ich zum Beispiel, ich bin gewiß kein Engel … (nachsinnend) … allerdings, dann könnte man überhaupt nicht strafen … ein Deserteur, zum Beispiel, der den guten Willen hat, der dürfte nicht erschossen werden, um nur ein Beispiel zu erwähnen.

Esch: Keiner steht so hoch, daß er den andern richten darf, keiner ist so verworfen, daß seine ewige Seele nicht Ehrfurcht gebietet.

Huguenau: Jawohl.

Major: Wer Böses will, kann noch gleichzeitig Gutes wollen, doch wer das Gute nicht will, hat die Gnade verspielt … es ist die Sünde der Beharrung, die Trägheit des Gefühls.

Esch: Nicht auf die guten und schlechten Werke kommt es an …

Huguenau: Ich bitte um Verzeihung, Herr Major, es stimmt doch nicht ganz … ich habe in Reutlingen einmal bei einer Pleite sechshundert Emm verloren, ein schönes Stück Geld, und warum? weil der Mann religiösen Wahnsinn hatte, das konnte man natürlich nicht ahnen … und richtig ist er auch freigesprochen und ins Irrenhaus gesteckt worden. Aber mein Geld war weg.

Esch: Was soll das heißen?

Huguenau: Na, daß da ein guter Mann war, der trotzdem böse Werke getan hat … (feixend) und wenn Sie mich umbringen, Herr Esch, so werden Sie wegen religiösen Wahnsinns freigesprochen, und wenn ich Sie umbringe, so werde ich um einen Kopf kürzer gemacht … was sagen Sie jetzt dazu, Sie, Herr Esch, mit Ihrer Scheinheiligkeit? hn? (Er blickte beifallheischend auf den Major.)

Major: Der Wahninnige ist wie der Träumer; er hat die falsche Wahrheit … er flucht seinem eigenen Kinde … keiner ist ungestraft das Sprachrohr Gottes … er ist der Gezeichnete.

Esch: Er hat die falsche Wirklichkeit … wir haben alle noch die falsche Wirklichkeit … von Rechts wegen müßten wir alle wahnsinnig sein! wahnsinnig in unserer Einsamkeit.

Huguenau: Ja, aber ich werde erschossen und er nicht! ich bitte um Verzeihung, Herr Major, darin steckt eben seine Scheinheiligkeit … (in Eifer geratend) ah, merde, la sainte religion et les curés à faire des courbettes auprès de la guillotine, ah, merde, alors … ich bin ein aufgeklärter Mensch, aber das geht denn doch über die Hutschnur!

Major: Aber, aber, Herr Huguenau, der Moselwein ist Ihrem Temperament doch gefährlich (Huguenau macht eine entschuldigende Geste) … die Prüfung und die Strafe freiwillig auf uns nehmen, wie wir den Krieg auf uns nehmen mußten, weil wir gesündigt haben … das ist nicht scheinheilig.

Esch: (abwesend): Ja, die Sühne auf sich nehmen … in letzter Einsamkeit …

Die Druckmaschine stellt die Arbeit ein; die Schläge verstummen; man hört die Grillen zirpen. Nachtwind bewegt die Blätter der Obstbäume. Um den Mond herum sind einige weißbeleuchtete Wolken sichtbar. In der plötzlich eingetretenen Stille erschweigt das Gespräch.

Frau Esch: Wie gut die Stille tut.

Esch: Manchmal ist es, als sei die Welt nur eine einzige furchtbare Maschine, die nie still wird … der Krieg und alles … es geht nach Gesetzen, die man nicht begreift, … freche selbstsichere Gesetze, Ingenieurgesetze … jeder muß handeln, wie es ihm vorgeschrieben ist, jeder mit dem Gesicht nach vorn … jeder ist eine Maschine, die man nur von außen sieht und die feindlich ist … oh, die Maschine ist das Böse und das Böse ist die Maschine. Ihre Ordnung ist das Nichts, das kommen muß … ehe die Zeit wieder anheben darf …

Major: Symbol des Bösen …

Esch: Ja, ein Symbol …

Huguenau: (zur Druckerei hinhorchend, befriedigt): Jetzt wird Lindner frisches Papier vorlegen.

Esch: (in plötzlicher Angst): Mein Gott, gibt es keine Möglichkeit, daß ein Mensch zum andern kommt! gibt es keine Gemeinschaft, gibt es kein Verstehen! Soll jeder für den andern bloß die böse Maschine sein!

Major: (legt begütigend ihm die Hand auf den Arm): Doch, Esch …

Esch: Wer ist für mich nicht böse, mein Gott?!

Major: Der dich erkannt hat, mein Sohn, … bloß der Erkennende überwindet die Fremdheit.

Esch: (die Hände vor dem Gesicht): Gott, du sollst mein Erkennender sein.

Major: Nur wer Erkenntnis besitzt, dem wird Erkenntnis gegeben, nur wer Liebe säet, wird Liebe ernten.

Esch: (immer die Hände vor dem Gesicht gefaltet): Da ich dich, o Gott, erkenne, wirst du mir nicht mehr zürnen, ich aber bin dein lieber Sohn, herausgehoben aus der Verwaistheit … Wer sich dem Tod unterwindet, ist in der Liebe, … erst wer sich in die fürchterliche Übersteigerung der Fremdheit und des Todes wirft, … dem wird die Einheit.

Major: Und die Gnade kommt über ihn und nimmt ihm die Angst, die Angst, sinnlos auf Erden gewandelt zu sein, unbelehrt und sinnlos und hilflos ins Nichts gehen zu müssen …

Esch: So wird Erkenntnis zu Liebe, und Liebe wird zur Erkenntnis, unantastbar jegliche Seele, die zum Gefäß der erkennenden Gnade bestimmt ist; aufgenommen in die Liebe, die Gemeinde der Seelen schaffend, unantastbar und einsam sie alle und doch erkennend vereint, – höchstes Gebot des Erkennens, Lebendes nicht zu verletzen: habe ich Gott dich erkannt, unsterblich bin ich in dir.

Major: Maske um Maske laß fallen, bis nackt dein Herz und dein Antlitz.
Preisgegeben dem Atem des Ewigen …

Esch: werd ich zum leeren Gefäß, Abgeschieden von allem, entblößt jeder Begierde Nehm' ich die Strafe auf mich, um im Nichts zu vergehn. Furchtbar, oh furchtbar die Angst …

Major: Angst ist die keimende Botschaft Göttliche Gnade, Angst ist Gottes Gebot an der Pforte des Heils, – Schreite hindurch …

Esch: Erkenn' mich, oh Herr, erkenn' mich in furchtbarer Not, Wenn der Vortraum des Todes sich senkt über mich, der ich im Traume gewandelt.
Todesangst rauscht über mir, preisgegeben bin ich und einsam,
Abgeschieden von allem in meinem einsamen Sterben … (Verständnislos lauscht Huguenau und angstvoll Frau Esch ihrem Gatten.)

Major: Und dennoch bist du nicht einsam, wenn im Nichts du erstirbst, Des Bösen entledigt, erschwiegen die Angst, Abnehmend du, auf daß der Herrliche wachse, Dann erst Erkannter erkennst du Mächtig erstanden das All herrlich geöffneter Welt.

Esch: Erkenn' ich dich liebend durch ihn, der mich liebend erkannte, Wandelt die Wüste sich mir zum Garten des ewigen Lichtes, Unermeßlich gebreitet die Wiesen, niemals die Sonne verfinstert …

Major: Garten der Gnade, Garten, die Welt überspannend, Milde im Frühlingshauch, Heimat, angstlos geborgen …

Esch: Sündhaft war ich und böse, böse in wissender Angst, Wissend vom falschen Weg, jagend am Rande des Abgrunds, Gesicht und Hände verdorrt, durch Wüsten und Schluchten gehetzt, Dem Dolche entfliehend geflohen, im Nacken Ahasvers Angst, An den Füßen Ahasvers Furcht, in den Augen Ahasvers Gier Nach dem Einen, den stets ich verlor, nach dem Einen, den ich nicht sah, Dem Einen, den ich verriet und der mich dennoch erkoren Hingegeben dem Sturm, Eissturm im Sternenhauf, – Samen der Gnade versenkt, gehrend, o keimt er nun auf Zur Rettung, die mir geschah …

Major: So sei mir der Bruder von einst, der Bruder, den ich verloren Sei als Bruder mir nah' …

Die beiden im Wechselgesang, etwa im Tone der Heilsarmee (der Major Bariton, Herr Esch im Baß):

Herr Gott, Zebaoth,
Nimm uns auf in deine Gnade,
Schling um uns dein einend Band;
Führe uns mit deiner Hand,
Herr Gott, Zebaoth,
Aus dem Krummen in das Grade,
Führ uns ins gelobte Land,
Herr Gott, Zebaoth.

Huguenau, der bis dahin den Takt auf den Tisch geschlagen hat, einfallend (Tenor):

Schütze uns vor Beil und Rade,
Schütze uns vor Henkers Hand,
Herr Gott Zebaoth.

Alle drei: Herr Gott, Zebaoth.

Frau Esch einfallend (gar keine Stimme):

Dich zu meinem Tische lade,
Den durch dich gedeckt ich fand,
Herr Gott, Zebaoth.

Alle (Huguenau und Esch auf den Tisch trommelnd):

Herr Gott, Zebaoth,
Rette meine Seelen,
Rette sie vor ihrem Tod,
Laß sie nimmer quälen,
Laß sie in dem Glauben baden
Und behüte sie vor Schaden,
Wende ab sie von dem Tand,
Fach ihr Fünklein an zum Brand,
Fünklein an zum Brande rot,
Herr Gott, Zebaoth,
Rett, o rett mich vor dem Tod.

Der Major hat den Arm um Eschs Schulter gelegt. Huguenau, die trommelnde Faust noch auf dem Tische, läßt sie nun langsam herabgleiten. Die Kerzen sind heruntergebrannt. Frau Esch schenkt den Männern den Rest des Weines in die Gläser, sorgsam darauf bedacht, daß jeder gleich viel bekomme; den letzten kleinen Überschuß erhält das Glas ihres Mannes. Der Mond hat sich leicht verdunkelt, und aus der schwarzen Landschaft weht jetzt der Wind kühler, etwa wie aus einer Kellertür. Jetzt nimmt auch die Druckmaschine ihre stoßweise Arbeit wieder auf, und Frau Esch berührt den Arm ihres Gatten: »Wollen wir nicht zu Bette gehen?«

(Verwandlung)
Vor dem Hause Eschs Der Major und Huguenau

Huguenau, mit dem Daumen auf die Schlafzimmerfenster des Ehepaars Esch weisend: »Jetzt legen die sich ins Bett. Esch hätte wohl auch noch mit uns bleiben können … aber sie weiß schon, was sie will … Na, gestatten Herr Major, daß ich Herrn Major noch ein paar Schritte begleite. Ein wenig Bewegung tut gut.«

Sie gehen durch die schweigenden mittelalterlichen Straßen. Die Haustore sind wie schwarze Löcher. In einem steht, an die Tür gedrückt, ein Liebespaar, aus einem andern löst sich ein Hund und läuft auf drei Beinen die Straße hinauf; an der Ecke verschwindet er. Hinter manchen Fenstern brennt noch spärliches Licht, – was aber geht hinter den unbeleuchteten vor? möglich, daß ein Toter dahinter liegt, auf seinem Bette ausgestreckt, die spitze Nase in der Luft, und das Laken macht ein kleines Zelt über den emporgerichteten Zehen. Sowohl der Major als Huguenau schauen zu den Fenstern hinauf, und Huguenau möchte gern den Major fragen, ob Herr Major gleichfalls an Leichen denken müssen, – indes der Major geht stumm, fast bekümmert einher: seine Gedanken sind wahrscheinlich bei Esch, sagt sich Huguenau und er mißbilligt es, daß Esch jetzt bei der Frau liegt und den guten Alten damit betrübt. Aber was zum Teufel, was hat der überhaupt betrübt zu sein?! hat sich prompt mit dem Esch angefreundet, statt sich der Aufdringlichkeit dieses scheinheiligen Pferdes zu erwehren! eine nette Freundschaft hat sich da zwischen den beiden Herren etabliert, zwischen diesen beiden Herren, die offenbar vergessen haben, daß sie ohne ihn niemals zusammengekommen wären: wer also hat die Prioritätsrechte auf den Major? – und wenn der Major jetzt betrübt ist, so geschieht es ihm recht. Im Gegenteil, wenn's nach Recht und Gerechtigkeit ginge, wäre es noch viel zu wenig und der Herr Major mitsamt seinem geliebten Herrn Esch müßte für den Verrat noch besonders büßen … Huguenau stutzte, – ein abenteuerlicher und aufreizender Gedanke war in luzider Helligkeit aufgekeimt: mit dem Major eine neue, eine waghalsige Verbindung einzugehen, den Esch, der bei dem Weib im Bette liegt, gewissermaßen mit dem Major zu betrügen und den Major selber in eine demütigende Situation zu bringen! ja, ein ausgezeichneter und erfolgverheißender Gedanke, und Huguenau sagte: »Herr Major erinnern sich meines ersten Berichtes, in dem ich von meinen Besuchen im Pu...« Huguenau klopfte sich auf den Mund, »verzeihen, im Freudenhaus gemeldet hatte. Der Herr Esch schläft jetzt bieder im Ehebett, aber damals hat er mitgehalten. Inzwischen bin ich der Sache weiter nachgegangen und glaube, eine Spur gefunden zu haben. Ich möchte jetzt wieder mal in das Haus schauen, … wenn Herr Major für die Angelegenheit und für das, ich möchte sagen, interessante Milieu dort Interesse haben, würde ich gehorsamst anregen, daß Herr Major jetzt eine Besichtigung vornehmen.«

Der Major ließ nochmals den Blick über die Fensterfronten gleiten, über die Haustore, die wie Eingänge schwarzer Kellerlöcher aussahen, und dann, zu Huguenaus Überraschung, sagte er ohne weiteren Widerstand: »Gehen wir.«

Sie kehrten um, denn das Haus lag in der entgegengesetzten Richtung und außerhalb der Stadt. Der Major schritt wieder stumm neben Huguenau, vielleicht noch bekümmerter als vordem, und Huguenau, so sehr es ihn auch nach einem leichten und vertrauten Ton gelüstete, wagte nicht einmal, ein Gespräch aufzunehmen. Aber eine noch ärgere Überraschung wartete seiner: als sie vor dem Hause anlangten, über dessen Pforte eine große rote Laterne leuchtete, da sagte der Major plötzlich »Nein« und gab ihm die Hand. Und wie Huguenau ihn verdutzt anstarrte, zwang er sich zu einem Lächeln: »Machen Sie Ihre Recherchen heute doch lieber allein.« Der alte Mann wandte sich wieder der Stadt zu. Huguenau sah ihm mit Zorn und Bitterkeit nach; dann allerdings dachte er an Esch, zuckte die Achseln und öffnete die Tür.

Nach einer knappen Stunde verließ er das Haus. Seine Stimmung war besser geworden; Angst, die auf ihm gelastet hatte, war verflogen, er hatte irgend etwas in Ordnung gebracht, und wußte er es auch nicht zu benennen, er empfand trotzdem deutlich, daß er wieder sich selbst und seiner klaren Nüchternheit zurückgegeben war. Mochten die anderen treiben was sie wollten, mochten sie ihn ausschließen, ihm konnte es schnurz sein. Er schritt rüstig fürbaß, ein Heilsarmeelied, das er wo gehört haben mußte, fiel ihm ein, und zu jedem Schritt skandierte er mit seinem Stock auf den Boden: »Herr Gott, Zebaoth.«

 


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