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Das Städtchen lag von Weinbergen umgeben in einem Nebental der Mosel. Oben auf der Höhe stand der Wald. Die Weinberge waren bereits bestellt, geradlinig waren die Stöcke gerichtet, da und dort unterbrochen von rötlichem Felswerk. Huguenau bemerkte mißbilligend, daß manche Besitzer das Unkraut in ihrem Grundstück nicht ausgerodet hatten und daß solch ein vernachlässigter Garten sich wie eine gelbe rechteckige Insel zwischen der grau-rosa Erde der übrigen ausnahm.

Nach den letzten Wintertagen in der Eifel droben war es mit einem Male richtiger Frühling geworden. Wie ein Zeichen unverlierbarer Ordnung und Wohlanständigkeit lächelte die Sonne heiteres Behagen und leichte Sicherheit ins Herz hinein; Angst, die vielleicht darin gesessen hatte, konnte ausgeatmet werden. Mit Genugtuung sah Huguenau das staatliche Bezirkskrankenhaus vor der Stadt, dessen lange Front im lauen Vormittagsschatten lag, er fand es angemessen, daß alle Fenster wie in einem südlichen Sanatorium geöffnet waren und es war ihm eine liebenswürdige Vorstellung, wie die leichte Frühlingsluft die weißen Krankensäle durchflutet. Er fand es auch richtig, daß das Dach des Krankenhauses mit einem großen roten Kreuz versehen war, und hatte im Vorbeiwandern ein wohlwollendes Auge für die Krieger, die mit ihren grauen Kitteln angetan, teils im Schatten, teils in der Gartensonne ihrer Genesung entgegenreiften. Drüben, jenseits des Flusses, lag die Kaserne, an ihrer üblichen ärarischen Bauweise als solche kenntlich, lag ein klosterähnliches Gebäude, von dem Huguenau später erfuhr, daß es die Strafanstalt war. Doch die Straße senkte sich freundlich und bequem zur Stadt hinab, und als er durch das mittelalterliche Stadttor schritt, ein Fiberköfferchen in der Hand, wie einst den Musterkoffer, da war es Huguenau nicht einmal unangenehm, daß dies so sehr an seinen Einzug in württembergische Orte erinnerte, die er einstmals – wie lange war dies schon her – zwecks Kundenbesuchs betreten hatte.

Auch jenes erzwungenen Nürnberger Ferientags mußte er sich angesichts der altertümlichen Straßen erinnern. Hier in Kurtrier hatte der pfälzische Krieg nicht so erbarmungslos gewütet wie sonst westlich des Rheins; unversehrt standen die Häuser des XV. und XVI. Jahrhunderts, stand auf dem Markt das gotische Rathaus mit dem Renaissanceaufbau und dem Turm, davor die Prangersäule. Und Huguenau, der auf seinen Geschäftsreisen schon manch schöne alte Stadt besucht, aber noch keine bemerkt hatte, wurde von einem Gefühl erfaßt, einem zwar unbekannten Gefühl, das er weder benennen, noch von irgendeinem Ursprung hätte ableiten können und das ihn dennoch seltsam anheimelte: wäre es ihm als ästhetisches Gefühl bezeichnet worden oder als ein Gefühl, das seine Quelle in der Freiheit besitzt, er hätte ungläubig gelacht, gelacht wie einer, den noch nie Ahnung von der Schönheit der Welt berührt hat, und er hätte insoweit sogar Recht damit gehabt, als niemand entscheiden kann, ob die Freiheit es ist, in der die Seele sich der Schönheit erschließt, oder ob es die Schönheit ist, die der Seele die Ahnung ihrer Freiheit verleiht, aber er hat trotz alledem unrecht, da auch für ihn ein tieferes menschliches Wissen, ein menschliches Sehnen nach einer Freiheit vorhanden sein muß, in der alles Licht der Welt anhebt und aus der die Heiligung des Lebendigen sonntäglich aufsprießt – und weil dies so ist und weil dies nicht anders sein kann, so mag es wohl auch in jenem Augenblick geschehen sein, in dem Huguenau aus dem Graben kroch und sich erstmalig der menschlichen Verbundenheit entlöste, daß ein Schimmer des höheren Glanzes, der die Freiheit ist, auf ihn fiel, auch ihm zuteil wurde, und er in diesem Augenblick zum ersten Male dem Sonntag geschenkt war.

Derartigen Meditationen abgewandt, belegte Huguenau ein Zimmer in dem Gasthof auf dem Marktplatz. Als müßte er seine Ferien noch einmal recht genießen, machte er sich einen guten Abend. Der Moselwein wurde ohne Lebensmittelkarte verabreicht und war ein ausgezeichneter Tropfen geblieben trotz des Krieges. Huguenau vergönnte sich drei Kännchen, und es wurde spät dabei. Bürger saßen an verschiedenen Tischen, Huguenau gehörte nicht zu ihnen; hie und da warf einer einen flüchtig fragenden Blick zu ihm herüber. Sie alle hatten ihre Beschäftigungen und Geschäfte, und er selber hatte nichts. Dessenungeachtet war er froh und zufrieden. Er wunderte sich selber: ohne Geschäft und trotzdem zufrieden! so zufrieden, daß er gerne bei dem Gedanken an all die Schwierigkeiten verweilte, die sich unweigerlich einstellen würden, wenn ein Mann wie er, ein Mann ohne Ausweispapiere, ohne Kundenstock in einer fremden Stadt ein Geschäft begründen und Kredit finden wollte. Und sich diese Verlegenheiten auszumalen, war ausgesprochen erheiternd. Möglich, daß der Wein daran Schuld trug. Jedenfalls fühlte sich Huguenau nicht als sorgenbedrückter Geschäftsreisender, sondern als ein fröhlicher und leichtbeschwingter Tourist, da er mit etwas dumpfem Kopf sein Bett aufsuchte.

 


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