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Oberstabsarzt Kuhlenbeck telephonierte mit Dr. Kessel: »Kollege, können Sie heute um drei operieren kommen? eine kleine Kugelextraktion …«
Dr. Kessel meinte, daß er es kaum möglich machen könne, seine Zeit sei so knapp.
»Ist Ihnen wohl zu einfach, das bißchen Kugelschneiden, mir auch … man muß genügsam sein … auf die Dauer allerdings ist das kein Leben, keine Arbeit, ich lasse mich auch versetzen … aber heute hilft's nichts … ich befehle Ihnen zu kommen, schicke Ihnen das Auto, in einer halben Stunde sind wir fertig.«
Kuhlenbeck legte den Hörer hin. Lachte: »Nun, für zwei Stunden ist er versorgt.«
Flurschütz saß daneben: »Ich habe mich ohnehin gewundert, daß Sie Kessel wegen einer solchen Kleinigkeit kommen lassen.«
»Der brave Kessel fällt mir immer wieder rein. Den Appendix von Kneese nehmen wir gleich mit.«
»Den wollen Sie wirklich operieren?«
»Warum nicht? der Mann soll ein Vergnügen haben … und ich auch.«
»Will er sich denn operieren lassen?«
»Na, Flurschütz, jetzt sind Sie auch schon so naiv wie unser alter Kessel, – habe ich schon je einen gefragt? hinterher waren sie alle noch dankbar. Und die vier Wochen Krankenurlaub, die ich einem jeden verschaffe … na, sehen Sie.«
Flurschütz wollte etwas sagen. Kuhlenbeck winkte ab: »Ach, lassen Sie mich mit Ihren Sekretionstheorien zufrieden … lieber Freund, wenn ich in einen Bauch hineinschauen kann, brauche ich keine Theorien … folgen Sie mir und werden Sie Chirurg … die einzige Möglichkeit, jung zu bleiben.«
»Und meine ganze Drüsenarbeit soll ich an den Nagel hängen?«
»Hängen Sie ruhig … Sie operieren doch schon ganz nett.«
»Mit dem Jaretzki muß etwas geschehen, Herr Oberstabsarzt, … der Mann ist fertig.«
»Probieren wir's mit einer Trepanation.«
»Sie haben ihn ja schon abgemeldet … der gehört mit seinen Nerven in eine Spezialbehandlung.«
»Ich habe ihn für Kreuznach gemeldet, dort wird er sich schon aufrappeln … Ihr seid mir eine Generation! ein bißchen Saufen, und schon klappt Ihr zusammen und müßt in eine Nervenheilanstalt … Ordonnanz!«
Die Ordonnanz erschien im Türrahmen.
»Sagen Sie Schwester Carla, daß um drei operiert wird … ja, und der Marwitz von Zimmer zwei und Kneese auf drei bekommen heute nichts zu essen … 's ist gut … sagen Sie, Flurschütz, eigentlich würden wir den armen Kessel gar nicht brauchen, wir machen das ganz hübsch alleine … Kessel würdigt es sowieso nicht, beklagt sich bloß, daß ihm die Beine weh tun; ein richtiger Sadismus von mir, ihn herauszusprengen … na, was denken Sie, Flurschütz?«
»Mit Verlaub, Herr Oberstabsarzt, mit mir geht es ja noch, aber lang wird es nicht mehr dauern … und dann wird es nicht mehr möglich sein, die Medizin einfach zum Operieren zu kommandieren.«
»Insubordination, Flurschütz?«
»Bloß theoretisch, Herr Oberstabsarzt, … nein, ich glaube, daß in nicht allzu ferner Zeit die Medizin sich so weit spezialisiert haben wird, daß ein Konsilium zwischen einem Internisten und einem Chirurgen oder einem Dermatologen überhaupt zu keinem Ergebnis wird führen können, einfach weil es kein Verständigungsmittel zwischen den Spezialisierungen mehr geben wird.«
»Falsch, ganz falsch, Flurschütz, in Kürze wird es überhaupt nur noch Chirurgen geben … das ist das einzige, was von dieser ganzen poweren Medizin übrigbleiben wird, … der Mensch ist ein Schlächter und überall bleibt er ein Schlächter, was anderes versteht er nicht … aber das versteht er aus dem FF.« Und Dr. Kuhlenbeck betrachtete seine großen geschickten behaarten Hände und die ganz kurz geschnittenen Nägel.
Dann sagte er sinnend: »Wissen Sie, wer sich mit dieser Tatsache nicht abfindet, der könnte wirklich wahnsinnig werden … man muß es nehmen, wie es ist, und seine Freude daran haben …, also, Flurschütz, lassen Sie sich raten, satteln Sie um und werden Sie Chirurg.«