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Seitdem es ruchbar geworden war, daß Gödicke gelacht hatte, versuchten die Zimmergenossen alles mögliche, um ihn wieder dazu zu bringen. Es wurden ihm die schweinischesten Witze aufgetischt, und wenn er im Bette lag, ging selten einer vorbei, der nicht erwartungsvoll das Gestell zum Wackeln gebracht hätte. Doch es fruchtete nichts. Gödicke lachte nicht mehr. Er blieb stumm.
Bis eines Tages Schwester Carla eine Feldpostkarte brachte: »Gödicke, Ihre Frau hat Ihnen geschrieben …« Gödicke regte sich nicht, »ich will's Ihnen vorlesen.« Und Schwester Carla las ihm vor, daß seine getreue Frau nun schon lange nichts mehr von ihm gehört habe, daß sie und die Kinder wohlauf seien und daß sie alle hofften, er möge bald zurückkommen. »Ich werde für Sie antworten«, sagte Schwester Carla. Gödicke gab kein Zeichen des Verständnisses von sich, und man hätte meinen können, daß er tatsächlich nichts verstanden habe. Und wahrscheinlich wäre es ihm auch wirklich geglückt, den Sturm in seiner Seele vor jedem Betrachter zu verbergen, diesen Sturm, der die Teile seines Ichs durcheinanderrüttelte und in rascher Folge an die Oberfläche hob, um sie ebenso rasch wieder in die dunklen Wogen unterzutauchen, es wäre ihm geglückt, den Sturm zu beruhigen und mählich wieder zum Stillstand zu bringen, wenn nicht in diesem Augenblick der Spaßvogel des Zimmers, der Dragoner Josef Sattler, vorbeigekommen wäre und sich in gewohnter Weise an das Fußende des Bettes gehängt hätte, um so'n bißchen daran zu wackeln. Da tat der Landwehrmann Gödicke einen Schrei, der keineswegs das Lachen war, das man von ihm erwartete und zu dem er eigentlich verpflichtet gewesen wäre, er tat einen bösen und schweren Schrei, setzte sich auf, keineswegs so langsam und mühselig, wie man es sonst an ihm gewohnt war, er entriß Schwester Carla die Feldpostkarte und er zerfetzte die Feldpostkarte. Dann sank er zurück, denn die rasche Bewegung hatte ihm Schmerzen verursacht, und er hielt sich den Unterleib.
So lag er da, schaute zur Decke empor und versuchte, eine notdürftige Ordnung in seinen Gedanken herzustellen. Er war sich bewußt, richtig gehandelt zu haben; er hatte mit voller Berechtigung den Eindringling abgewehrt. Daß dieser Eindringling das Dienstmädchen Anna Lamprecht samt drei Kindern gewesen war, das war fast gleichgültig und durfte rasch wieder vergessen werden. Er freute sich geradezu, daß er den Mann, der das Dienstmädchen Lamprecht geehelicht hatte, so rasch wieder zur Ruhe bringen und auf seinen Platz hinter der dunklen Barriere hatte verweisen können, – dort soll er warten, bis er gerufen wird. Trotzdem war es damit nicht abgetan: wer einmal gekommen ist, der kann wiederkommen, auch wenn er nicht gerufen wird, und wenn man einmal eine Türe geöffnet hat, dann kann jede andere Tür von selber auffliegen. Voll Schrecken fühlte er, hätte er es auch nicht zu formulieren gewußt, daß jeder Einbruch in irgendeinen Teil der Seele alle anderen Teile in Mitleidenschaft zog, ja, daß sie alle dadurch verändert wurden. Es war wie ein Dröhnen in seinen Ohren, ein Dröhnen der Seele, ein Dröhnen des Ichs, das so stark dröhnte, daß er es mit dem ganzen Körper spürte, aber es war auch, wie wenn man einen Erdknebel unter die Zunge geschoben bekam, einen erstickenden Knebel, der einem alle Gedanken veränderte. Oder vielleicht war es auch anders, jedenfalls aber war es etwas Übermächtiges, dem man sich ausgeliefert fühlte. Es war, als wollte man den Mörtel auf eine Ziegellage auf streichen und der Mörtel erstarrte schon auf der Kelle. Es war, als gäbe es hier einen Baupolier, der zu einer unstatthaften und unmöglichen Eile antrieb und die Ziegel in rasender Eile auf das Gerüst schaffen ließ, so daß sie sich türmten und nicht aufzuarbeiten waren. Das Gerüst mußte einstürzen, wenn man, solchem Treiben Einhalt zu tun, die Ziegelwinde und die Betonmischmaschine nicht rechtzeitig unbrauchbar machte. Am besten wäre es, die Augen würden einem wieder zuwachsen und die Ohren würden wieder verstopft werden; der Mann Gödicke dürfte nichts sehen, nichts hören, nichts essen dürfte er. Hätte er jetzt nicht so arge Schmerzen, er würde in den Garten gehen und sich eine Handvoll Erde holen, die Löcher zu verstopfen. Und während er sich den bösen Unterleib hielt, aus dem die Kinder herausgeflossen waren, während er die Hände darauf preßte, als sollte nie mehr etwas aus ihm herausfließen dürfen, während er die Zähne aufeinanderbiß und die Lippen schmal machte, damit nicht einmal das Seufzen des Schmerzes ihnen entgleite, da war es ihm, als würden ihm solcherart die Kräfte wachsen, als könnten die wachsenden Kräfte das Gerüst immer höher und immer lichter bauen, als wäre er selber allgegenwärtig auf jedem Stockwerk und auf jeder Ebene des Gerüstes und als würde er schließlich doch ganz allein im obersten Stockwerk, an des Gerüstes Spitze stehen, stehen können, stehen dürfen, schmerzlos und gelöst, singend, wie er immer droben gesungen hatte. Die Zimmerleute würden unter ihm arbeiten, hämmern, Klammern einschlagen, und er würde hinunterspucken, wie er immer hinuntergespuckt hat, im weiten Bogen über sie hinwegspucken, und wo es unten hintreffen und aufklatschen würde, dort würden Bäume wachsen, die, so hoch sie auch wüchsen, dennoch nicht bis zu ihm hinaufreichen werden.
Als Schwester Carla mit dem Waschbecken und den Tüchern kam, lag er ruhig und ließ sich auch ruhig in die Kompressen packen. Zwei Tage lang verweigerte er wieder Trank und Speise. Und dann trat bald das Ereignis ein, bei dem er zu sprechen begann.