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8

Hanna Wendling war erwacht. Sie öffnete nicht die Augen, denn noch bestand eine Möglichkeit, den entweichenden Traum zu erhaschen. Aber der glitt langsam hinweg, und am Schluß blieb nur das Gefühl, in das der Traum getaucht gewesen war. Als auch das Gefühl versickerte, einen Augenblick bevor es gänzlich verschwand, gab Hanna es freiwillig auf und blinzelte kurz zum Fenster hin. Durch die Spalten der Jalousien sickerte jetzt milchiges Licht; es mußte noch früh am Tage sein oder es gab regnerisches Wetter. Das streifige Licht war wie eine Fortsetzung des Traumes, vielleicht weil mit ihm kein Geräusch hereindrang, und Hanna entschied, daß es noch sehr zeitig sein müsse. Es bewegten sich die Jalousien leise schaukelnd zwischen den geöffneten Fensterflügeln; das war wohl der frühe Morgenwind, und seine Kühle einzufangen, schnaubte sie ein wenig durch die Nase, als könnte sie damit die Stunde erschnuppern. Dann, geschlossenen Auges, griff sie links zum Nebenbett hinüber; es war nicht geöffnet, Polster, Plumeau, Decken waren ordentlich geschichtet und unter dem Plüschüberwurf verpackt. Ehe sie die Hand zurückzog, um sie samt der nackten Schulter wieder unter die laue Decke zu stecken, fuhr sie nochmals über den nachgiebigen und ein bißchen kühlen Plüsch, und das war wie eine Vergewisserung, allein zu sein. Das dünne Nachthemd war bis über die Hüften hinaufgerutscht, bildete dort einen unangenehmen Wulst. Ach, sie hatte wieder unruhig geschlafen. Indes, gleichsam zur Entschädigung, lag die rechte Hand auf dem warmen glatten Körper und die Fingerspitzen streichelten kaum merklich und leise über die Haut und den Flaum an ihrem Schoß. Sie selber mußte an irgendein galantes französisches Rokokobild denken; dann fiel ihr Goyas Unbekleidete Maya ein. Sie blieb noch ein wenig so liegen. Hierauf strich sie das Hemd herunter – seltsam, daß ein hauchdünnes Hemd sofort derartig warm macht –, überlegte, ob sie sich nach links oder rechts wenden sollte, entschied sich für rechts, als würde das aufgeschichtete Nebenbett ihr die Luft entziehen, horchte noch ein wenig nach der Stille auf der Straße und begab sich in einen neuen Traum, flüchtete in den neuen Traum, noch bevor sie von draußen her etwas vernehmen konnte.

Als sie nach einer Stunde neuerdings wach wurde, vermochte sie sich nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der Vormittag schon weit vorgeschritten war. Für einen Menschen, der nur durch sehr schwache und für ihn kaum vorhandene Fäden mit dem verbunden ist, was man oder er selber das Leben nennt, ist das morgendliche Aufstehen stets eine schwere Aufgabe. Vielleicht sogar eine kleine Vergewaltigung. Und Hanna Wendling, die das Unausweichliche des Tages wieder herannahen fühlte, bekam Kopfweh. Im Hinterkopf begann es. Sie verschränkte die Hände im Nacken und als sie in ihre Haare griff, die sich sanft um die Finger legten, vergaß sie für einen Augenblick das Kopfweh. Dann drückte sie auf die schmerzende Stelle; es war ein Ziehen, das hinter den Ohren ansetzte und bis zu den Nackenwirbeln hinunterreichte. Sie kannte es. Wenn sie in Gesellschaft war, überfiel es sie manchmal so heftig, daß sie ganz schwindlig wurde. Mit jähem Entschluß warf sie die Decke zurück, schlüpfte in die steilhackigen Hausschuhe, ließ die Jalousien, ohne sie hochzuziehen, aufklaffen, und mit Hilfe des Handspiegels versuchte sie, den schmerzenden Nacken vor dem großen Toilettespiegel zu betrachten. Was tat dort weh? es war nichts zu entdecken. Sie wandte den Kopf hin und her; die Wirbel spielten unter der Haut – es war eigentlich ein netter Nacken. Auch die Schultern waren nett. Sie hätte gerne im Bette gefrühstückt, aber es war Krieg; schmählich genug, so lange im Bett zu bleiben. Eigentlich hätte sie den Jungen zur Schule bringen sollen. Täglich nahm sie sich's vor. Zweimal hat sie es durchgeführt, dann hat sie es doch wieder dem Mädchen überlassen. Natürlich sollte der Junge schon längst eine Französin oder eine Engländerin haben. Engländerinnen sind für die Erziehung besser. Wenn der Krieg vorbei sein wird, muß man den Jungen nach England geben. Wie sie so alt war wie er, ja, mit sieben Jahren hat sie besser Französisch als Deutsch gesprochen. Sie suchte nach einem Flakon mit Toiletteessig und rieb Nacken und Schläfen, betrachtete aufmerksam ihre Augen im Spiegel; sie waren goldbraun, in dem linken zeigte sich ein rotes Äderchen. Das kommt vom unruhigen Schlaf. Sie warf ihren Kimono um die Schultern und klingelte nach dem Mädchen.

Hanna Wendling war die Gattin des Rechtsanwalts Dr. Heinrich Wendling. Sie stammte aus Frankfurt. Heinrich Wendling war seit zwei Jahren in Rumänien oder Bessarabien oder sonstwo da drunten.

 


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