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Huguenau erwachte zeitig. Er ist ein fleißiger Mensch. Anständiges Zimmer; keine Knechtkammer wie bei dem Pfaffen; gutes Bett. Huguenau kratzte seine Schenkel. Dann versuchte er, sich zu orientieren.
Gasthof, Marktplatz, drüben liegt das Rathaus.
Eigentlich würde ihn vieles auffordern, das Leben dort wieder anzuknüpfen, wo man es ihm abgerissen hatte, manches spräche dafür, kaufmännische Pflichten zu erfüllen und als Kettenhändler von Butter und Textilien das Geld auf der Straße aufzulesen. Daß er trotzdem jeden Gedanken an Buttertonnen, Kaffeesäcke und Textilgewebe so widerwillig beiseite schob, befremdete ihn selber, und solches konnte einen Menschen, für den es seit seiner Knabenzeit keine andern Inhalte des Redens und Denkens gegeben hatte als Geld und Geschäft, auch wirklich befremden. Und verwunderlich tauchte der Gedanke an Schulferien wieder auf. Huguenau denkt lieber an die Stadt, in der er sich befindet.
Hinter der Stadt sind die Weinberge. Ja, und in manchen steht das Unkraut. Der Mann ist gefallen oder in Gefangenschaft. Die Frau kann's allein nicht schaffen. Oder treibt sich mit einem andern herum. Außerdem sind die Weinpreise unter Staatskontrolle. Wer es da nicht versteht, von hintenherum zu verkaufen, für den verlohnt es sich nicht, den Weingarten zu bestellen. Dabei sind's prima Sorten! ein bißchen schwer im Kopf wird einem davon.
Eigentlich müßte so eine Kriegerwitwe so einen Weinberg billig verkaufen.
Huguenau überlegte, welche Käufer für Moselweinlagen in Betracht kämen. Die müßte man finden. Daran wäre keine schlechte Provision zu verdienen. Weinhandlungen kämen in Betracht. Friedrichs in Köln, Matter & Co. in Frankfurt. Dorthin hatte er ehedem Schläuche geliefert.
Huguenau sprang aus dem Bett. Sein Plan war gefaßt.
Vor dem Spiegel machte er sich zurecht. Kämmte sich die Haare zurück. Sie waren lang gewachsen, seitdem sie der Kompagniefrisör abrasiert hatte. Wann war das nur gewesen? es war wie in einem früheren Leben, – würden im Winter die Haare nicht so langsam wachsen, sie müßten jetzt eigentlich noch viel länger sein. Bei Leichen wachsen die Haare und die Nägel weiter. Huguenau nahm eine Strähne und legte sie über die Stirn; sie reichte fast bis zur Nasenspitze. Nein, so konnte man nicht unter Leute gehen. Vor Feiertagen läßt man sich die Haare schneiden. Es waren zwar keine Feiertage. Aber so ähnlich war es doch.
Der Morgen war hell. Ein wenig kühl.
Im Frisörladen standen zwei gelbe Lehnsessel mit schwarzen Ledersitzen. Der Meister, ein wackliger alter Mann, tat Huguenau den nicht ganz saubern Frisiermantel um; oben steckte er ihm Papier in den Kragen. Huguenau scheuerte ein wenig mit dem Kinn hin und her; das Papier kratzte.
Am Haken hing eine Zeitung und Huguenau ließ sie sich reichen. Es war der in der Stadt erscheinende »Kurtriersche Bote« (mit der Beilage »Landwirtschaft und Weinbau im Moselland«). Just das, was er brauchte.
Er saß still, studierte das Blatt, und dann betrachtete er sich im Spiegel; man hätte ihn für einen der Honoratioren des Ortes halten können. Die Haare waren jetzt wunschgemäß geschoren, kurz, solid und deutsch. Auf der Kuppe des Hauptes blieb ein schmaler Streifen längerer Haare zur Errichtung eines Scheitels. Dann wurde rasiert. Der Meister schlug dünnen Schaum, der sich kalt und spärlich ums Gesicht strich. Die Seife war ein Dreck.
»Die Seife taugt nichts«, sagte Huguenau.
Der Meister gab keine Antwort, sondern klatschte das Messer gegen den Riemen. Huguenau war beleidigt, sagte aber nach einer Weile entschuldigend: »Kriegsware.«
Der Meister begann zu rasieren. Mit kurzen schabenden Strichen. Er rasierte schlecht. Trotzdem ist es angenehm, rasiert zu werden. Selbstrasieren ist auch so eine Kriegssache, aber billiger ist es. Na, ausnahmsweise ist es angenehm, sich bedienen zu lassen. Feiertäglich. An der Wand gab es ein stark dekolletiertes Mädchen, darunter war »Lotion Houbigant« zu lesen. Huguenau hatte den Kopf zurückgelegt, hielt die Zeitung in müßigen Händen. Der Kerl schabte ihm jetzt Kinn und Hals, der wird wohl nie zu einem Ende kommen. Immerhin, Huguenau hatte nichts dagegen; wir haben ja Zeit. Und um die Angelegenheit noch weiter hinauszuzögern, befahl er »Eine Lotion Houbigant«. Er bekam Kölnisch-Wasser.
Frisch rasiert, ein rasierter und frischer Mensch mit dem Geruch von Kölnisch-Wasser in der Nase, marschierte er zum Gasthof zurück. Als er den Hut abnahm, roch er hinein. Es roch nach Pomade, und auch dies war zufriedenstellend.
Im Speisesaal war es leer. Huguenau erhielt seinen Kaffee, und die Kellnerin brachte auch eine Brotkarte, von der sie einen Abschnitt abtrennte. Butter gab es nicht, bloß eine schwärzliche, sirupartige Marmelade. Auch der Kaffee war kein Kaffee, und während Huguenau die heiße Flüssigkeit schlürfte, rechnete er, wieviel die Fabrikanten am Kaffee-Ersatz verdienten; er rechnete neidlos und fand es in Ordnung. Freilich, Weinlagen in der Moselgegend zu billigem Preis erwerben, war auch kein schlechtes Geschäft, war eine prima Kapitalplacierung. Und als er sein Frühstück beendet hatte, machte er sich daran, eine Kaufanzeige für preiswerte Weinlagen aufzusetzen. Dann begab er sich mit dem Inserat zum »Kurtrierschen Boten«.