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28

Oberstabsarzt Kuhlenbeck und Dr. Kessel operierten. Im allgemeinen wurde Dr. Kessel, der zwar im Lazarett Hilfsdienst versah, aber durch Zivil- und Krankenkassenpraxis überlastet war, von Kuhlenbeck verschont; jetzt aber hatte die Offensive neues Krankenmaterial gebracht, und da war's nicht zu vermeiden. Ein Glück, daß bloß leichtere Fälle zugewiesen wurden. Was man eben so leichtere Fälle nennt.

Und weil sie richtige Ärzte waren, sprachen sie von den Fällen, als sie später in Kuhlenbecks Zimmer saßen. Auch Flurschütz hatte sich eingefunden.

»Schade, daß Sie heute nicht mit dabei waren, Flurschütz, Sie hätten Ihre Freude gehabt«, sagte Kuhlenbeck, »es ist kolossal, was man so zulernt … wenn wir nicht operiert hätten, wäre der Mann sein Leben lang krank herumgelaufen …« er lachte, »jetzt kann er sich in sechs Wochen aufs neue totschießen lassen.«

Kessel sagte: »Ich wollte bloß, unsere armen Krankenkassenpatienten hätten es so gut wie die Leute hier.«

Kuhlenbeck sagte: »Kennen Sie die Geschichte vom Delinquenten, der die Gräte verschluckt und den man operiert hat, um ihn am Morgen aufhängen zu können? das ist beiläufig unser Metier.«

Flurschütz sagte: »Wenn die Ärzte aller Kriegführenden streiken würden, dann wäre es mit dem Krieg bald zu Ende.«

»Nanu, Flurschütz, Sie können ja den Anfang machen.«

Dr. Kessel sagte: »Ich hätte alle Lust, das Bändchen zurückzuschicken … schämen Sie sich nicht, Kuhlenbeck, einem alten Kollegen das einzubrocken!«

»Was soll ich machen, ich mußte Sie eingeben … für Zivilisten ist das weiß-schwarze normiert.«

»Ja, und Sie laufen mit dem schwarz-weißen herum … Sie sind übrigens auch schon längst an der Reihe, Flurschütz.«

Flurschütz sagte: »Im Grunde liegt's doch daran, daß man hier herumsitzt und von mehr oder minder interessanten Fällen spricht, ohne an was andres zu denken … wir haben ja überhaupt keine Zeit, an etwas anderes zu denken … und so ist es überall. Man wird aufgefressen von dem, was man tut, … glattweg aufgefressen.«

Dr. Kessel sagte: »Du lieber Himmel, ich bin sechsundfünfzig, woran soll ich noch denken … ich bin froh, wenn ich abends in mein Bett komme.«

Kuhlenbeck sagte: »Wollen Sie einen Schnaps auf Regimentsunkosten … um zwei Uhr kriegen wir wieder so an die zwanzig Mann … bleiben Sie zur Übernahme hier?«

Er war aufgestanden und zu dem Medikamentenschrank beim Fenster getreten, dem er eine Flasche Kognak und drei Gläser entnahm. Wie er im Profil beim Fenster stand und ins Fach des Schrankes hinauf langte, zeichnete sich sein Bart gegen das Licht ab, und er sah mächtig aus.

Flurschütz sagte: »Wir werden alle ausgeleert von dem Beruf, in dem wir eben stecken … und das Militär und der Patriotismus sind auch nichts anderes als solche Berufe … man kann schlechterdings nicht mehr begreifen, was in einem anderen Bereich als in dem eigenen vorgeht.«

»Gottseidank«, sagte Kuhlenbeck, »Ärzte brauchen nicht zu philosophieren.«

Schwester Mathilde trat ein. Sie roch gewaschen. Oder man glaubte, daß sie so riechen mußte. Ihr schmales langnasiges Gesicht kontrastierte mit ihren roten Dienstmädchenhänden.

»Herr Oberstabsarzt, vom Bahnhof wird angerufen, daß der Transport eingelangt ist.«

»Na, schön, noch eine Zigarette zum Abschied … Schwester, Sie fahren mit?«

»Schwester Carla und Schwester Emmy sind ohnehin bereits am Bahnhof.«

»Auch recht …, also los, Flurschütz.«

»Mit dem Pfeil, dem Bogen«, sagte Dr. Kessel, aber ohne rechtes Animo.

Schwester Mathilde war an der Tür stehengeblieben. Sie liebte es, sich im Ärztezimmer aufzuhalten. Und als sie alle hinausgingen, erhaschte Flurschütz den Schimmer ihres weißen Halses, sah die Sommersprossen beim Haaransatz und war ein wenig gerührt.

»Tag, Schwester«, sagte der Oberstabsarzt.

»n' Tag, Schwester«, sagte auch Flurschütz.

»Gott mit uns«, sagte Dr. Kessel.

 


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