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Dr. Flurschütz untersuchte im Operationszimmer Jaretzkis Armstumpf: »Sieht prächtig aus … der Oberstabs wird Sie nächster Tage auch abmelden … ist Ihnen doch recht … in irgendein Erholungsheim.«

»Natürlich ist's mir recht, höchste Zeit, daß man hier rauskommt.«

»Scheint mir auch, sonst müssen wir Sie noch mit Delirium dabehalten.«

»Was soll man denn machen außer Saufen … das habe ich mir wirklich erst hier angewöhnt.«

»Sie haben früher nie getrunken?«

»Nö, nie … na ja, so'n bißchen, wie eben ein jeder … wissen Sie, ich war am Polytechnikum in Braunschweig … wo haben denn Sie Ihren Doktor her?«

»Erlangen.«

»Na, da müssen Sie doch auch Ihre Zeit gesoffen haben … es gehört schon mal dazu in den kleinen Städten … und wenn man dann so rumsitzt wie hier, da kommt's eben von selber wieder …« Flurschütz fingerte noch immer an dem Armstumpf herum, »... sehen Sie, die eine Dreckstelle will und will nicht zuheilen … wie ist's mit meiner Prothese?«

»Schon bestellt … ohne Prothese schicken wir Sie nicht weg.«

»Schön, dann machen Sie aber, daß sie kommt … wenn Sie nicht Ihren Beruf hier hätten, würden Sie auch wieder saufen.«

»Weiß nicht … ich hätte auch sonst einiges zu tun … mit einem Buch hat man Sie wahrlich noch nie gesehen, Jaretzki.«

»Sagen Sie mal, aber ehrlich, lesen Sie wirklich den Haufen Bücher, den Sie da in Ihrem Zimmer herumliegen haben?«

»Ja.«

»Merkwürdig … und hat das irgendeinen Sinn und Zweck?«

»Nicht den geringsten.«

»Dann bin ich beruhigt … wissen Sie, Doktor Flurschütz … ja, ich halt schon still … Sie haben doch schon eine Reihe Menschen vom Leben zum Tode befördert, dazu sind Sie ja da, aber wenn man so richtig ein paar umgebracht hat … sehen Sie, dann braucht man wohl sein ganzes Leben lang kein Buch mehr in die Hand zu nehmen … das ist so ein Gefühl von mir … man hat schon alles erledigt … deshalb wird auch der Krieg nicht aufhören …«

»Kühner Gedankenflug, Jaretzki, was haben Sie heute schon getrunken?«

»Nö, ich bin nüchtern wie ein Säugling …«

»So, fertig … in längstens vierzehn Tagen werden wir es mit der Prothese versuchen … Sie müßten dann eigentlich in so 'ne Schule gehen … Sie wollen doch zeichnen …«

»Ja, wie man's nimmt, ich kann es mir bloß nicht mehr vorstellen.«

»Und die A.E.G.?«

»Also meinetwegen Prothesenschule … manchmal denke ich mir, daß Ihr mir das Ding höchst überflüssigerweise heruntergesäbelt habt … sozusagen bloß aus Gerechtigkeitssinn habt Ihr es getan, weil ich dem Franzosen damals die Handgranate zwischen die Beine geschmissen hab' …« Flurschütz sah ihm aufmerksam in die Augen: »Achtung, Jaretzki, bleiben Sie bei Besinnung, Sie sind ja beängstigend … wieviel haben Sie heute wirklich schon intus?«

»Nicht der Rede wert … ich bin Ihnen ja dankbar für Ihren Gerechtigkeitssinn, und ausgezeichnet habt Ihr operiert … fühle mich jetzt viel wohler auf dieser Welt … scheißwohl und alles schön erledigt … und die A.E.G. wartet bloß auf mich.«

»Im Ernst, Jaretzki, Sie sollten dort eintreten.«

»Aber daß Sie's nur wissen … den falschen Arm habt Ihr erwischt … mit dem da«, Jaretzki schlug mit zwei Fingern auf die Glasplatte des Instrumententischs, »mit dem hab ich die Granate geschmissen … wahrscheinlich hängt er mir deshalb noch immer wie ein Bleigewicht am Leib.«

»Das kommt schon noch in Ordnung, Jaretzki.«

»Ohnehin schon alles in Ordnung.«

 


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