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Abgesehen davon, daß das Essen im Gasthof kostspielig war und Huguenau es sich erst vergönnen wollte, nachdem er seinen neuen Erwerb gefunden haben würde, hatte er das sichere Empfinden, daß er die bevorstehende Aktion gefährden könnte, falls er dem Major allzu häufig unter die Augen käme. Weitere Unterhandlungen hätten bloß geschadet und kaum etwas gefördert, und es erschien vorteilhafter, wenn der Major ihn bis zur Freitagszusammenkunft vergessen würde. Also nahm Huguenau seine Mahlzeiten in einer bescheideneren Wirtschaft ein und tauchte erst am Freitagabend wieder im Speisesaal auf.
Er hatte sich nicht getäuscht. Da saß der Major und zeigte sich durchaus überrascht, wie er in hurtig herzlicher Weise auf ihn zutrat und ihm aufs neue für die so freundliche und ehrende Einladung dankte. »Ja«, sagte der Major, der sich nun endlich erinnerte, »ja, ich werde Sie den Herren vorstellen.«
Huguenau dankte nochmals und setzte sich bescheiden an einen andern Tisch. Als aber der Major mit dem Abendbrot fertig war und aufschaute, da lächelte Huguenau ihm zu und erhob sich ein wenig, um zu zeigen, daß er dem Major zu Befehl stünde. Gemeinsam gingen sie denn auch in das kleine Nebenzimmer hinein, wo der Freitagstammtisch der bürgerlichen Herren sich befand.
Die Herren waren vollzählig beisammen, sogar der Bürgermeister war da. Huguenau konnte sich die Namen all der Herren gar nicht merken. Er hatte sofort beim Eintreten das Gefühl gehabt, mit warmer Sympathie begrüßt zu werden, und hatte das Vorgefühl eines großen Erfolges. Das Gefühl trog nicht. Die meisten der Herren wußten bereits von seiner Anwesenheit in der Stadt und im Gasthof; er war offenbar schon Gesprächsthema gewesen, und man brachte seinen Ausführungen, wie er später Esch erzählte, das wärmste Interesse entgegen. Der Abend endigte mit einem ungemein positiven Resultat.
Das war schließlich kein Wunder. Die Herren standen unter dem Eindruck, an einem geheimen Konventikel teilzunehmen, und es war gleichzeitig eine Art Femgericht, das über den Rebellen Esch abgehalten wurde. Und wenn Huguenau ein so überaus wohlgefälliges Ohr bei seinen Zuhörern fand, so lag dies nicht nur an seinem starken Willen, es zu gewinnen, lag nicht nur an seiner traumwandlerischen Sicherheit, sondern es lag auch daran, daß er kein Rebell war, vielmehr einer, der für sich und seine Tasche sorgte, und daß er damit die Sprache redete, die die anderen verstanden.
Huguenau hätte die Herren mit Leichtigkeit dahin bringen können, die von Esch verlangten 20 000 Mark zu zeichnen. Aber er tat es nicht. Irgendeine geheime Angst befahl, daß alles im Beiläufigen und gerade noch Haltbaren verbleiben müsse, weil die wahre Sicherheit außerhalb oder oberhalb des Realen schwebt und weil eine allzu große Solidität gefährlich ist wie irgendeine unerklärliche Belastung. Das mag sinnlos aussehen; allein, es läßt sich zu jeder Unsinnigkeit etwas Vernünftiges denken, und so war denn das, was Huguenau dazu dachte, völlig vernünftig und führte sonderbarerweise zu dem nämlichen Ergebnis: würde er von den Herren allzu viel Geld verlangen oder annehmen, so könnte doch einer auf die Idee kommen, ihn nach seiner Legitimation zu fragen; wenn er aber stolz war und zu hohe Beteiligungen ablehnte, den Hauptteil der Zeichnungen seiner eigenen (legendären) Gruppe vorbehielt, so stand es für jedermann außer Zweifel, daß man in ihm tatsächlich den Exponenten der kapitalkräftigsten Industriegruppe des Reiches zu sehen hatte (Krupp). Und wirklich zweifelte keiner, und zu guter Letzt glaubte Huguenau selber daran. Er erklärte sich außerstande, den geehrten Herren eine größere Beteiligung als ein Drittel der in Betracht kommenden M. 20 000.–, also insgesamt M. 6600.– überlassen zu können; er sei jedoch bereit, mit seiner Gruppe Rücksprache zu pflegen, ob sie sich statt mit der Zweidrittelmajorität auch mit einfacher Majorität von 51 % begnüge, und er nehme auch gerne Vormerkung für spätere Kapitalserhöhungen entgegen, – für den Augenblick freilich müßten die Herren, so leid es ihm täte, sich mit der geringeren Summe bescheiden.
Das war bedauerlich für die Herren, aber es ließ sich nichts dagegen machen. Es wurde vereinbart, daß die Zahlungen gegen interimistische Anteilscheine geleistet werden sollten, sobald Huguenau den Kauf des »Kurtrierschen Boten« durchgeführt haben würde, und daß nach weiterer Fühlungnahme mit der Zentralgruppe das ausgebaute Unternehmen die Form einer G.m.b.H. oder gar einer A.-G. zu erhalten hätte. Man gedachte der künftigen Aufsichtsratsitzungen, und der Abend schloß mit einem Hoch auf die verbündeten Armeen und auf Seine Majestät den Kaiser.