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Huguenau wartete acht Tage, daß irgendeine Belobung oder zumindest eine Antwort vom Major eintreffen werde. Er wartete zehn Tage. Dann wurde er unruhig. Der Bericht hatte den Major offenbar nicht befriedigt. Aber war es seine Schuld, daß der Kretin, der Esch, kein Material bot? Huguenau überlegte, ob er einen zweiten Bericht folgen lassen sollte, doch was sollte er hineinschreiben? daß der Esch sich nach wie vor mit den Weinbauern und Arbeitern herumtrieb, das war nichts Neues, das mußte den Major langweilen!

Der Major sollte sich nicht langweilen, – Huguenau zerbrach sich den Kopf über die Frage, was er dem Major bieten könne. Etwas mußte unbedingt geschehen; in der Redaktion regierte Esch und tat, als ob kein Herausgeber vorhanden wäre, und in der Druckerei war es vor Ödigkeit kaum mehr auszuhalten. Huguenau suchte in den großen Zeitungen nach Anregung und fand sie, als er die Entdeckung machte, daß die Journale allenthalben im Dienst der vaterländischen Wohltätigkeit arbeiteten, während der »Kurtriersche Bote« nichts, rein gar nichts dergleichen unternommen hatte. So sah eben das gute Herz des Herrn Esch aus, das gute Herz, das den Anblick des Elends unter den Weinbauern nicht erträgt. Aber er für seine Person wußte nun, was zu tun war.

Am Freitag abend erschien er nach langer Zeit wieder im Gasthof und begab sich geradewegs ins Honoratiorenzimmer, denn da gehörte er hin. Der Major saß an seinem Tische im vorderen Speisesaal, und Huguenau grüßte gemessen und kurz im Vorbeigehen.

Die Herren war glücklicherweise bereits in größerer Anzahl versammelt, und Huguenau erklärte sich glücklich, sie anzutreffen, denn er habe etwas Wichtiges zu besprechen, und zwar sofort, noch ehe der Herr Major hereinkomme. Und er entwickelte in längerer Rede, daß die Stadt eines richtigen Wohltätigkeitsvereins, wie solche zu Milderung der Kriegsschäden allenthalben bereits seit Jahren bestünden, entbehre, schmerzlich entbehre, und daß er anrege, einen solchen alsogleich zu gründen. Was die Zwecke eines solchen Vereins beträfe, so wolle er unter vielen anderen bloß die Erhaltung von Kriegsgräbern, die Obsorge für Kriegerwitwen und -waisen und noch manches andere anführen, weiters, daß die Mittel für diese edlen Zwecke aufgebracht werden müßten, daß man hiefür z. B. einen »Eisernen Bismarck« auf dem Markt aufstellen könne, den Nagel zu zehn Pfennig, wo es doch eigentlich eine rechte Schande sei, daß gerade hier kein solches Standbild vorhanden sei, und daß schließlich Wohltätigkeitsveranstaltungen verschiedener Art, ganz abgesehen von Sammlungen, den Kassebestand stets ergänzen würden. Und daß der Ehrenschutz über diesen Verein, für welchen den Namen »Moseldank« in Vorschlag zu bringen er sich erlaube, dem Herrn Stadtkommandanten angetragen werden möge. Er selber und sein »Kurtrierscher Bote« stünden – natürlich im Rahmen seiner schwachen Kräfte –, dem Verein und seinen edlen Zwecken jederzeit kostenlos zur Verfügung.

Es brauchte eigentlich kaum erwähnt zu werden, daß das Projekt ungeteilten Beifall fand und einstimmig sowie debattelos angenommen wurde. Huguenau und Herr Apotheker Paulsen wurden designiert, dem Herrn Major den Antrag zu überbringen, und nachdem sie ihre Röcke zurechtgezupft hatten, traten sie mit einiger Feierlichkeit in den Speisesaal.

Der Major sah etwas befremdet auf, dann gab er sich einen kleinen vorschriftsmäßigen Ruck und hörte die Phrasen der beiden Herren aufmerksam, aber verständnislos an. Die Phrasen kreuzten und überholten sich, der Major hörte von einem Eisernen Bismarck, von Kriegerwitwen und einem Moseldank und begriff nicht. Huguenau war schließlich einsichtig genug, das Wort dem Herrn Apotheker Paulsen zu überlassen; es erschien ihm auch bescheidener, dies zu tun, und so saß er still, betrachtete die Uhr an der Wand, das Bild »Kronprinz Friedrich nach der Schlacht bei Gravelotte« und die Tafel »Spatenbräu« (mit der Schaufel), die an einer Schnur neben dem Kronprinzenbild aufgehängt war. Wo bekam man jetzt noch Spatenbräu! Inzwischen hatte der Major die Rede des Apothekers Paulsen begriffen: er glaubte, daß keine militärischen Gründe gegen die Annahme des Ehrenschutzes sprächen, er begrüße die patriotische Aktion, er könne bloß wärmstens danken, und er erhob sich, um seinen Dank zu den übrigen Herren ins Nebenzimmer zu tragen. Paulsen und Huguenau folgten, stolz auf die vollbrachte Leistung.

Man blieb längere Zeit beisammen, denn es war ja eine Art Gründungsfest. Huguenau paßte eine Gelegenheit ab, sich an den Major heranzumachen, und diese Gelegenheit ergab sich denn auch bald, da man auf das Wohl und das Gedeihen des neuen Vereins sowie seines Protektors trank und dabei selbstverständlich den Anreger des schönen Gedankens, Herrn Redakteur Huguenau, nicht vergaß.

Huguenau, das Glas in der Hand, trat die Runde um die Tafel an, gelangte so zu Major v. Pasenow: »Ich hoffe Herrn Major heute mit mir zufrieden.«

Er habe niemals Anlaß zu Unzufriedenheit gehabt, entgegnete der Major.

»Doch, doch, Herr Major, mein Bericht ist überaus dürftig ausgefallen, … aber ich bitte, mir zugute zu halten, daß die Verhältnisse sehr schwierige sind. Dazu meine Überlastung durch die Neueinrichtung der Zeitung; ich bitte, es mir nicht als Pflichtvergessenheit auszulegen, daß ich noch keinen zweiten Bericht folgen lassen konnte …«

Der Major lehnte ab: »Ich meine, daß es sich kaum lohnt, der Angelegenheit weiter nachzugehen; Sie haben Ihrer Pflicht vollkommen Genüge geleistet.«

Huguenau war betroffen: »Oh, noch lange nicht, noch lange nicht«, murmelte er und nahm sich vor, nun erst recht seine Überwachungstätigkeit weiterzuführen.

Als der Major nichts darauf sagte, fuhr Huguenau fort: »Wir werden morgen sofort die Aufrufe für den Moseldank drucken … würden Herr Major bei der Gelegenheit nicht unserem Unternehmen, dem Sie so gütig Pate gestanden sind, die Ehre Ihres Besuches schenken, … das wäre sicherlich die schönste Propaganda für den neuen Verein.«

Der Major sagte, daß er das Unternehmen gewiß sehr gerne besuchen werde; für den morgigen Tag seien die Dispositionen schon getroffen, aber der Tag sei ja gleichgültig.

»Je eher, desto besser, Herr Major«, riskierte Huguenau. »Herr Major werden zwar nichts Besonderes dort vorfinden, … alles höchst bescheiden … und von der Reorganisationsarbeit ist von außen natürlich wenig zu merken, aber die Druckerei ist vollkommen in Ordnung, mit aller Bescheidenheit gesagt …«

Plötzlich hatte er eine neue Idee: »Die Druckerei wäre zum Beispiel für Drucksachen der Heeresverwaltung ausgezeichnet leistungsfähig«, er kam in Feuer, am liebsten hätte er den Major beim Rockknopf genommen, »sehen Sie, Herr Major, sehen Sie, wie der Esch das Geschäft vernachlässigt, … da mußte ich erst kommen, um daran zu denken. Wir müssen Heereslieferungen erhalten, jetzt wo das Blatt sozusagen unter Ihrer direkten Patronanz steht und wo wir so viel Geld hineingesteckt haben, … wie soll ich denn sonst eine Dividende für die Aktionäre herausschinden … bei dem Zustand, in dem ich das Geschäft vorgefunden habe!« er jammerte geradezu und war ehrlich erbittert.

Der Major sagte etwas hilflos: »Das ist nicht mein Ressort …«

»Gewiß, gewiß, Herr Major, aber wenn Herr Major ernstlich wollen … wenn Herr Major die Druckerei gesehen haben werden, werden Sie gewiß auch wollen …«

Er sah den Major verführerisch und lockend, aber zugleich verzweiflungsvoll an. Doch dann besann er sich, er putzte die Brillengläser, blickte im Kreise umher: »Es ist ja auch im Interesse aller beteiligten Herren hier, … selbstverständlich sind alle Herren zur Besichtigung des Unternehmens eingeladen.«

Nun, die meisten kannten Eschs Bude ohnehin. Allein sie sagten es nicht.

 


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