Anonym
Der Heliand
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Joseph von Arimathiä

        Da nun gesunken war   der Rüste näher
Die heitre Sonne   mit den Himmelsstrahlen
An dem trüben Tage,   da kam ein Vertrauter des Herrn,
Ein kluger Mann,   und Jünger Christs
Seit manchem Tage schon,   obwohl es die meisten
In Wahrheit nicht wußten,   denn mit Willen hehlt' er es
Vor dem Judenvolke;   Joseph war er geheißen.
Heimlich hielt er zu Christ,   den verworfenen Haufen
Nicht im Frevel zu fördern;   im Volke harrt' er
Des heiligen Himmelreiches.   An den Herzog wandt er sich,
Den Boten des Kaisers,   und bat ihn flehentlich,
Daß er ihn lösen ließe   den heiligen Leichnam
Christs von dem Kreuze,   wo er qualvoll gestorben war,
Der Gute, am Galgenholz,   und in ein Grab ihn legen,
Der Erde anvertraut.   Der Amtswalter mocht ihm
Den Willen nicht wehren,   sondern gab ihm Gewalt,
Ihn zu vollführen.   Da fuhr er hin sofort
Und ging zu dem Galgen,   wo er Gottes Kind,
Den Leichnam hangen   wußte des Herrn.
Er entnahm ihn dem neuen Stamm,   von den Nägeln gelöst,
Fing auf in den Armen,   wie man den Fürsten soll,
Des Lieben Leichnam,   bewand ihn mit Linnen
Und trug ihn holdlich hin,   wie der Herr es wert war,
Wo sie die Stätte hatten   in starren Stein
Mit Meißeln gehauen.   Da hatten Menschen noch
Keinen Freund begraben,   wo sie das Gotteskind
Nach des Landes Weise,   der Leiber heiligsten,
Der Erde befahlen   und mit einem Fels beschlossen
Aller Gräber herrlichstes.

                                            Jammernd saßen
Die verarmten edeln Frauen,   die das all mit angesehen,
Seit des Guten grimmem Tod.   Nun gingen von dannen
Die weinenden Weiber,   des Weges wahrnehmend,
Wo sie zum Grabe   künftig gehen möchten.
Sie hatten sich zu Sorgen   hier ersehen genug,
Herbes Herzeleid.   Marien hießen
Die armen Frauen all.   Der Abend brach nun an,
Die Nacht mit Nebel.

                                      Die neidischen Juden waren
Am Morgen wieder   in Menge versammelt,
Im Richthaus Rat zu pflegen.   »Ihr wißt, wie dies Reich
Durch den einen Mann   in Aufruhr gebracht ward,
In wilde Verwirrung.   Nun liegt er wundensiech
Im tiefen Grabe.   Vom Tod am dritten Tage
Verhieß er sich zu erheben.   Noch hängen zu viele
Der Leute an seinen Lehren.   Drum laßt bewachen
Das Grab und achtgeben,   daß ihn die Jünger nicht
Aus dem Steine stehlen   und sagen, erstanden sei
Der Starke dem Steingrab.   Verstören würd es
Die Menge noch mehr,   wenn sie das melden hörten.«

Da ward eine Schar   der Juden beschieden,
Der Wacht zu warten.   Gewaffnet eilten sie,
Zum Grab zu gehen,   des Gotteskindes
Hülle zu hüten.   Der heilige Tag
War den Juden vergangen:   da saßen am Grabe
Die Wächter wartend,   in wolkenloser Nacht
Unterm Heerschild harrend,   bis der herrliche Tag
Über den Mittelkreis   zu den Menschen käme,
Den Leuten zum Lichte.


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