Anonym
Der Heliand
Anonym

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Kaiphas

                                                                  Doch waren im Volke
Viel mutstarre Männer,   die Gottes Macht nicht
Kundbar erkennen wollten,   sich seiner großen Kraft
Mit Worten widersetzten:   ihnen war des Waltenden
Lehre so leid!   Andre Leute nun suchten
Sie in Jerusalem auf,   wo des Judenvolkes
Höchster Gerichtshof,   ihre Hauptstadt war,
Das große Gaumal   des grimmen Volkes,
Und verlautbarten da,   daß sie den lebend gesehen
Mit eigenen Augen,   der in der Erde gelegen,
Der Tiefe vertraut   vier Tag' und Nächte,
Tot und begraben,   bis er durch seine Tat,
Sein Wort ihn erweckte,   daß er diese Welt wieder schaute.
Sehr widerwärtig   war das den störrischen
Judenleuten:   sie ließen ihr Volk
Sich in Rotten scharen   und zur Versammlung rufen
Die Menge der Menschen,   wider den mächtigen Christ
Rat zu pflegen:   »Nicht ratsam ist es,
Daß wir es ferner dulden:   zu viel dieses Volkes
Glaubt schon seiner Lehre:   nicht lange, so wird
Ein Aufstand erstehen:   ihn zu stillen, kommen dann
Die Römer geritten,   und des Reiches müssen wir
Verlustig leben   oder gar den Leib verlieren,
Das Haupt, wir Helden.«

                                              Da sprach ein gehehrter Mann,
Ein Oberhirt der Männer,   der über das Volk
In der Burg bestellt war   zum Bischof den Leuten,
Kaiphas geheißen;   gekoren hatten ihn
In jenem Jahre   die Judenleute,
Daß er das Gotteshaus   behüten sollte,
Des Weihtums warten:   »Wundern sollte mich,
Erleuchtete Männer,   die von so manchem Kunde habt,
So ihr wirklich nicht wüßtet,   ihr Weisesten der Juden,
Daß es besser wäre   der Gebornen jeglichem,
Wenn wir einem einzelnen   das Alter kürzten,
Daß er blutig stürbe   mit eurer Bestimmung,
Sein Leben verlöre   für diese Leute all,
Als daß zugrunde ginge   das ganze Volk!«

Wohl war es sein Wille nicht,   daß er so Wahres sprach,
So frei vor dem Volke   aller Menschen Frommen
Vor der Menge vermeldete:   durch die Macht Gottes kam es ihm
Durch sein heiliges Amt,   da er das Haus des Herrn
Versehen sollte   in der Stadt Jerusalem,
Des Weihtums warten:   darum sprach so wahr
Der Bischof der Leute,   Gottes Geborner sollte
Alle Erdenvölker   durch seinen Tod, des einen,
Mit seinem Leben erlösen.   Allen Leuten half er so,
Denn es führte damit   auch die Völker der Heiden,
Alle Welt zu seinem Willen   der waltende Christ.

Da kamen überein   die Übermütigen,
Die Rotten der Juden,   und beschlossen im Rat,
Die mächtige Menge,   sie möchte nichts irren,
Und wofern man im Volke   ihn finden möchte,
Sollt er gefangen werden   und vorgeführt
Dem Malgericht der Männer:   nicht möchten sie's dulden mehr,
Daß der eine Mann   so alles Volk
Gewinnen wollte.

                                  Der waltende Christ
Kannte der Männer   Mutgedanken
Und haßgrimmes Herz:   verhohlen blieb ihm nichts
In dieser Mittelwelt.   Da mocht er in die Menge
Nicht öffentlich ferner   unter das grimme Volk
Der Juden gehen:   der Gottessohn harrte
Der lichten Zeit,   die ihm zukünftig war,
Wo er den Leuten zuliebe   leiden wollte,
Dulden für das Volk;   wußt er zuvor doch wohl
Tag und Stunde.   Da ging der teure Herr,
Der allwaltende Christ,   um zu Ephraim,
Der heilige Herr,   in der hohen Burg
Mit den Jüngern zu weilen,   und wandte sich wieder
Gen Bethanien dann   mit dem breiten Gefolge,
Seiner ganzen Jüngerschaft.   Die Juden besprachen es
Mit manchem Worte,   da sie so große Menge
Ihm folgen sahen.   »Nun ist kein Frommen mehr,
Kein Rat für das Reich,   wie recht wir auch sprechen,
Kein Ding gedeiht uns,   da doch das Volk
Nach seinem Willen sich wendet,   so weite Schar ihm folgt
Der Leute, seiner Lehre halb,   daß wir kein Leid
Vor all dem Anhang   ihm antun mögen.«
Da kam gen Bethanien   der Geborne Gottes
Sechs Nächte zuvor,   eh die Volksversammlung
Der Judenleute   in Jerusalem
An den festlichen Tagen   gefeiert wurde,
Da sie die heiligen Zeiten   halten sollten,
Der Juden Pascha.   Da weilte der Gottessohn
In der Menge, der mächtige.   Viel Männer waren da
Seiner Worte wegen,   und zwei Weiber zumal,
Maria und Martha,   die ihm mildes Herzens
In Demut dienten.   Diesen gab der Herr
Langdauernden Lohn:   alles Leides erließ er sie,
Aller Schuld und Sünde.   So gebot er ihnen,
Daß sie in Frieden führen   vor der Feinde Drang
Mit gutem Urlaub,   denn sie hatten ihr Amt
Ihm nach Wunsch verwaltet.


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