Anonym
Der Heliand
Anonym

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Auf dem Meere wandeln

              Da verliefen sich die Leute   über all dem Lande,
Das Volk zerfuhr,   da ihr Fürst entwichen war
Hinauf ins Gebirge,   der Gebornen mächtigster,
Der Waltende, nach seinem Willen.   An des Wassers Gestad
Sammelten die Gesellen sich,   die er selbst sich erkoren,
Die zwölf, ob ihrer Treue.   Sie zweifelten nicht:
Im Dienste Gottes   wollten sie gerne
Über den See setzen.   Sie ließen in schneller Strömung
Das hochgehörnte Schiff   die hellen Wogen
Schneiden, die lautre Flut.   Das Licht des Tages schied,
Die Sonne ging zur Rüste,   und die Seefahrer hüllte
Nacht und Nebel.   Ihr Nachen trieb
Vorwärts in der Flut.   Die vierte Weile
Der Nacht war genaht.   Der Notretter Christ
Sah den Wogenden nach.   Der Wind wehte mächtig,
Ein Unwetter erhob sich,   die Wogen heulten,
Den Stamm umströmend.   Angestrengt steuerten
Wider den Wind die Männer:   ihr Herz war bewegt,
Ihre Seele sorgenvoll:   sie wähnten selber nicht,
Die starken Steurer,   das Gestad zu erreichen
Vor des Wetters Wut.   Da sahn sie den waltenden Christ
Selber auf dem See   geschritten kommen,
Zu Fuße wandelnd:   in die Flut mocht er nicht,
In den See versinken,   da seine Kraft ihn,
Die heilige, hielt.   Das Herz war in Furchten,
Den Männern der Mut,   daß es der mächtige Feind
Sie zu täuschen täte.   Da sprach ihnen Trost zu
Der heilige Himmelskönig,   daß er ihr Herr wäre,
Ihr mächtiger Meister:   »Nun sollt ihr Mut,
Festen, euch fassen,   ohne Furcht sei euer Herz,
Gebaret mutig!   Gottes Geborner bin ich,
Sein eigener Sohn:   wider den See will ich euch,
Den Meerstrom schützen.«

                                                Da sprach der Männer einer
Vom Rand des Schiffes,   der ruhmwerte Mann,
Petrus der gute:   »Keine Pein soll mir machen
Des Wassers Wut,   wenn du der Waltende bist,
Unser Herr, der gute,   wie mich im Herzen dünkt.
So heiß mich zu dir gehn   über die zürnende Flut,
Trocken über die Tiefe,   wenn du der Teure bist,
Der Menschen Mundherr.«   Da hieß ihn der mächtige Christ
Ihm entgegengehn:   und gerne gehorcht' er,
Stieg aus dem Stamme,   und stapfend ging er,
Fort zu seinem Fürsten.   Die Flut ertrug
Den Mann durch Gottes Macht,   bis sein Mut begann
Die Tiefe zu scheuen,   da er treiben sah
Die Wogen mit dem Winde,   denn Wellen umwallten ihn
Rings, hohe Strömung.   Wie das Herz ihm zweifelte,
Wich das Wasser,   und in die Woge
Versank er, in den Seestrom.   Da schrie er empor
Zu dem Gottessohne   und begehrte flehentlich,
Daß er ihm hilfreich nahte,   da er in Nöten war,
In harter Bedrängnis.   Der Herr der Völker
Empfing und faßt' ihn   und fragte sogleich,
Warum er verzweifle.   »Du solltest nicht zagen,
Denn wisse in Wahrheit,   daß des Wassers Strom
Hier in der See   deinem Schritt nicht mochte
Nachgeben, wo du gingest,   wenn du Glauben fest
Im Herzen hieltest.   Nun will ich dir helfen,
Der Not dich entnehmen.«   Ihn nahm der Allmächtige,
Der Herr, bei den Händen.   Da ward ihm die helle Flut
Wieder fest unter den Füßen,   und fort gingen
Sie beide, bis sie   über Bord des Schiffes
Aus dem Strome stiegen   und am Steuer niedersaß
Der Gebornen bester.   Da war die breite Flut
Und die Strömung gestillt:   zum Gestade kamen sie,
Die Seesegler,   zusammen ans Land
Trotz des Wassers Wut.

                                            Da dankten sie dem Waltenden,
Verherrlichten den Herrn,   den hehren, mit Wort und Tat,
Fielen ihm zu Füßen   und sprachen viel
Weislicher Worte.   Sie wußten nun,
Er war es selber,   der Sohn des Herrn,
Wahrhaft auf dieser Welt,   der Gewalt besitze
Über den Mittelkreis,   den Menschen allzumal
Das Leben zu fristen,   wie er auf der Flut getan
Wider des Wassers Wut.


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