Anonym
Der Heliand
Anonym

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Aussendung der Jünger

                                                        Im Herzen wunderte sich
Der Menschen Menge,   da sie des mächtigen Gottes
Liebliche Lehre hörten.   Sie waren im Lande
Ungewohnt, von solchen Dingen   sagen zu hören,
Solchen Worten und Werken.   Die Weisen verstanden,
Daß sie so da lehrte   der Leute Herr
Mit wahren Worten,   wie er Gewalt besaß,
Gar ungleich allen,   die ehedem
Unter den Leuten   als Lehrer waren
Erkoren und bestellt.   Nicht hatten Christi Worte
Ihresgleichen unter Menschen,   die er vor der Menge sprach,
Auf dem Berge gebot.   Beides verlieh er ihnen,
Den Jüngern, zu sagen   mit seinen Worten,
Wie man das Himmelreich   erhalten möge,
Ewig währendes Wohl;   er gab ihnen Gewalt auch,
Daß sie heilen mochten   Hinkende und Blinde,
Der Leute Lähmung,   langwierig Lager
Und schwere Suchten.   Denselben gebot er dann,
Daß sie Lohn von den Leuten   nicht verlangten noch nähmen
Köstliche Kleinode.   »Bedenkt, von wem die Kraft euch kam,
Wissen und Weisheit:   daß Gewalt euch verleiht
Aller Lebenden Vater.   Ihr findet sie nicht feil
Für Geld und Gut:   so seid denn allen gern
In euerm Herzen   zur Hilfe bereit.
Lehret die Leute   langdauernden Rat,
Und fördert sie vorwärts.   Aber Frevelwerk scheltet,
Beschwerende Sünde.   Haltet Silber und Gold
Der Ehre nicht würdig,   daß es in eure Gewalt kommt,
Den schimmernden Schatz.   Es mag euch zum Segen nicht
Werden, zum Wohl.

                                    Gewandes sollt ihr mehr nicht
Zu eigen haben,   als was ihr anzuziehn,
Euch auszurüsten braucht,   wenn ihr reisen sollt
Unter die Menge.   Um Mundkost sorgt nicht,
Um Leibesnahrung,   denn der Lehrer muß
Das Volk ernähren,   dem er frommen soll,
Zum lieblichen Lohn,   daß er die Leute lehrt.
Der Werkmann ist wert,   daß man ihn wohl versehe
Mit dem Mahle, den Mann,   der so manchem soll
Für die Seele sorgen,   zur Seligkeit führen
Die Geister auf Gottes Au.   Das ist ein größer Ding,
Wer da sorgen soll   für der Seelen so viel,
Wie er sie erhalte   für das Himmelreich,
Als daß man den Leib   der Leutekinder
Mit Speise versorge.   Darum sollen ihn alle
In Hulden halten,   der zum Himmelreich
Die Wege weist,   sie den Würgegeistern,
Den Feinden, vorwegfängt   und Frevelwerk schilt,
Schwere Sünden rügt.   Nun ich euch senden soll
Über diese Landschaft   wie Lämmer unter Wölfe,
So fahrt unter eure Feinde,   unter viel der Völker,
Sehr mancherlei Menschen.   Euer Gemüte waffnet
Mit Schlauheit wider sie,   wie der schlaue Wurm,
Die bunte Natter,   wo sie nahe weiß
Den gefährlichen Feind,   daß man im Volk euch nicht
Auf der Sendung beschleiche.   Sorgen sollt ihr,
Daß euch die Menschen   den Mut nicht mögen,
Den Willen wenden.   Seid wachsam wider sie
Und ihre Falschheit,   wie man gegen Feinde soll.
In euerm Tun jedoch   seid Tauben gleich,
Wider alle Menschen   habt einfältgen Sinn,
Mildes Gemüte:   so mag kein Mensch
Durch eure Taten   betrogen werden,
Versucht durch eure Sünde.

                                                Nun sollt ihr fahren
Auf eure Botschaft:   da müßt ihr viel bittre Mühe
Von den Leuten erleiden   und lastenden Zwangs
Viel und mancherlei:   weil ihr in meinem Namen
Die Leute lehrt,   darum müßt ihr viel Leid,
Von den Weltkönigen   Widerwärtigkeit dulden.
Oft müßt ihr vor Gericht   ob meines rechten Worts
Gebunden stehen   und beides ertragen,
Hohn und Harmrede.   Laßt euer Herz nicht zweifeln,
Die Seele schwanken.   Ihr dürft nicht Sorge
Im Herzen hegen,   wenn man vor die Herrschaft,
In den Gastsaal   euch gehen heißt,
Wie ihr da gute Worte   entgegnen wollt
Und weise sprechen;   weise Sprache kommt euch schon,
Hilfe vom Himmel:   der Heilige Geist spricht
Mächtig aus euerm Munde.   Drum scheut nicht der Männer Gedräng,
Noch fürchtet ihre Feindschaft:   haben sie Vollmacht gleich,
Des Leibes und Lebens   euch zu erledigen,
Mit dem Schwert zu erschlagen, –   an der Seele mögen sie
Euch doch nicht schaden.   Nur den waltenden Gott scheut,
Fürchtet euern Vater   und erfüllet gern
Seine Gebote:   beider hat er Gewalt,
Über das Leben,   den Leib der Leute,
Und der Seele zugleich.   Wenn ihr sie auf der Sendung
Verliert um meine Lehre,   am Lichte Gottes sollt ihr sie
Einst wiederfinden:   denn euer Vater
Hält sie, der heilige Gott,   im Himmelreiche.

Zum Himmel kommen nicht alle,   die hier zu mir rufen,
Die Männer zu dem Mundherrn.   Manche sind,
Die hier so Nacht als Tag   dem Herrn sich neigen,
Hilfe heischend,   und denken im Herzen an anderes,
Wirken Schandwerke:   denen frommen die Worte nicht.
Nur die gelangen   zu dem himmlischen Licht,
Gehen ein zu Gottes Reich,   die gerne sich fleißen,
Daß sie hier vollführen   des allwaltenden Vaters
Werk und Willen:   die dürfen mit Worten nicht
viel Erst Hilfe heischen,   denn der heilige Gott
Weiß aller Menschen   Gemüt und Gedanken,
Wort und Willen   und gibt ihnen der Werke Lohn.
Drum sollt ihr nur sorgen,   wenn ihr auf der Sendfahrt seid,
Wie ihr eure Botschaft   überbringt dem Volk.
Eure Fahrt denn lenket   über die Lande hin,
Über die weite Welt,   wie die Wege führen,
Breite Burgstraßen.   Immer kiest euch den besten
Mann aus der Menge,   euern Mut ihm zu künden
Mit wahren Worten.   Wenn sie dann so würdig sind,
Daß sie eure guten Werke   gerne leisten
Mit lauterm Herzen,   in ihrem Hause mögt ihr dann
Nach Willen wohnen   und ihnen wohl lohnen,
Die Guttat vergelten,   indem ihr sie Gott
Durch eure Worte weiht:   sagt ihnen gewissen Frieden zu,
Die heilige Hilfe   des Himmelskönigs.
Wenn sie aber so selig   durch selbsteigene Tat
Nicht werden mögen,   daß sie eure Werke tun,
Eure Lehre leisten,   so verlaßt solche Leute,
Fahrt dahin von dem Volke;   ihr findet euern Frieden
Selber auf eurer Sendung.   In Sünden laßt sie so,
Bei ihrer Bosheit bleiben;   eine andre Burg sucht auf,
Andre Stätte,   und laßt des Staubs nicht von dort
Euch an den Füßen folgen,   wo man euch nicht empfing:
Schüttelt ihn von den Schuhen,   ihnen zur Schande,
Daß sie an dem Wahrzeichen wissen,   ihr Wille tauge nichts.
Noch sag ich euch wahrlich,   wenn diese Welt endet
Und jener mächtige Tag   über die Menschen dahinfährt,
Daß dann die Sodomsburg selbst,   die ihrer Sünden halb
In den Grundfesten   durch der Glut Gewalt,
Durch Feuer gefällt ward,   mehr Frieden haben soll,
Mildern Mundherrn,   als jene Männer,
Welche euch hier verwerfen,   euern Worten nicht folgen wollen.
Wer euch aber empfängt   mit frommem Sinn
Und mildem Gemüt,   der hat mir damit
Den Willen gewirkt   und auch den waltenden Gott,
Euern Vater, empfangen,   den Herrn der Völker,
Den reichen Ratgeber,   der das Rechte kennt
Und weiß, der Waltende,   und den Willen lohnt
Einem jeden droben,   was er hier Gutes tut,
Und wenn er aus Gottesminne   der Menschen einem
Einen Trunk Wassers   nur mit gutem Willen gibt,
Daß er dem Dürftigen   den Durst stille
Aus kühler Quelle.   Ich künd euch Wahrheit,
Daß es nicht lang unterbleibt,   bis er Lohn dafür,
Vor Gottes Augen   Vergeltung empfängt,
Mannigfaltigen Dank,   was er mir zur Minne tat.
Wer mich aber verleugnet   von den Leutekindern,
Von dieser Helden Heer,   dem tu ich auch im Himmel so
Dort oben vor dem allwaltenden Vater,   vor aller seiner Engel Schar,
Der mächtigen Menge.   Wer es aber von den Menschen
In dieser Welt nicht will   mit Worten meiden,
Meinen Jünger sich bekennt   vor den Kindern der Welt,
Den will auch ich erkennen   vor den Augen Gottes,
Vor aller Lebenden Vater,   wo der Völker viel
Vor den Allwaltenden   abzurechnen
Gehn mit dem Mächtigen:   da will ich ihm gern gerecht sein,
Ein milder Mundherr,   jedem, der nach meinem
Wort sich wendet   und die Werke tut,
Die ich hier auf dem Berge   geboten habe.«

Da hatte wahrlich   des Waltenden Sohn
Die Leute gelehrt,   wie sie Gottes Lob
Wirken sollten.   Da ließ er die Werten
Nach allen Seiten hin,   die Scharen der Männer,
Zur Heimat hinziehn.   Sie hatten selbst sein Wort
Gehört, des Himmelskönigs   heilige Lehren,
Wie immer in der Welt   in Worten und Taten
Der Männer manche   über diese Mittelwelt
Gerechter und weiser sind,   die die Rede vernahmen,
Die da auf dem Berge sprach   der Gebornen mächtigster.


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