Anonym
Der Heliand
Anonym

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Vom Weltuntergange

                                                                          Da ging der waltende Christ
Mit dem Volke fort,   der Völker Herr,
Gen Jerusalem.   Da waren der Juden
Heißmütge Herrscher,   die heilige Zeit
Im Weihtum zu feiern.   Noch war des Volks da viel,
Kühner Kämpen,   die Christi Wort
Nicht gerne hörten,   zu dem Gottessohne
In ihrem Gemüte   keine Minne trugen,
Ein feindselig Volk,   ihm völlig abgeneigt
Im Meuchlermute.   Mordlust trugen sie,
Bosheit in der Brust:   ins Böse verkehrten sie
Christi Lehre,   wollten den Kräftigen strafen
Seiner Worte wegen.   Doch waren da viel
Um ihn der Leute   den langen Tag:
Die Geringern hielten ihn   schützend umringt
Wegen seiner süßen Worte,   daß ihn die Widersacher
So vielen Volks halb   zu fahen nicht wagten,
Ihn mieden ob der Menge.   Da stand der mächtige Christ
Mitten in dem Weihtum   und sprach manches Wort
Den Völkern zum Frommen.   Viele blieben um ihn
All den langen Tag,   bis daß die lichte
Sonne sich senkte.   Da schied aus dem Tempel
Auch die wogende Menge.

                                                Nun war ein berühmter
Berg bei der Burg,   der war breit und hoch,
Grün und schön;   die Juden hießen ihn
Ölberg mit Namen:   da hinauf begab sich
Der Nothelfer Christ,   da die Nacht begann,
Und blieb da mit den Jüngern;   der Juden keiner
Wußt ihn da weilen,   denn im Weihtum wieder
War der Leute Herr,   wenn das Licht von Osten kam,
Empfing das Volk da   und sagt' ihm viel
Wahrer Worte.   In dieser Welt ist nicht,
In diesem Mittelgarten,   ein Mann so beredt
Unter der Leute Kindern,   daß er die Lehren könnte
Zu End erzählen,   die da alle sprach
Im Weihtum der Waltende.   Ihnen wies sein Wort,
Nach dem Gottesreiche   begehren sollten
Die Menschen am meisten,   daß sie an jenem mächtigen Tage
Dereinst ihres Herren   Herrlichkeit empfingen.
Er mahnte sie der Sünden:   die müßten sie vor allem
Zu löschen verlangen   und das Licht Gottes
Im Gemüte minnen,   Meintat lassen
Und die leidige Hoffart,   und Demut lernen,
Sie im Herzen hegen:   so würd ihnen das Himmelreich,
Der Güter höchstes.

                                      Da ward der Hörer viel
Zu seinem Willen gewandt,   da sie das Wort Gottes,
Das heilige, hörten   und des Himmelskönigs
Hohe Kraft erkannten   und des Heilands Kommen,
Des Herren Hilfe.   Ja, das Himmelreich war
Rettend nun genaht   und Gnade Gottes
Den Menschenkindern.

                                          Doch ward ihm mancher
Nun gänzlich gram   der grimmen Juden,
Bissig böse.   Die Erbitterten wollten
Sein Wort nicht hören,   wehrten sich mächtig
Gegen Christi Kraft,   konnten nicht dazu kommen,
Die Leute, vor leidgem Streit,   daß sie den Glauben an ihn
Fest erfaßten:   das Heil blieb ihnen fern,
Daß sie das lichte Himmelreich   erlangen mochten.

Da ging der Gottessohn,   und seine Jünger mit ihm,
Aus dem Weihtum, der Waltende,   nach freiem Willen,
Und erstieg den Berg,   der Geborne Gottes,
Saß mit den Seinen da   und sagt' ihnen viel
Der wahren Worte.   Von dem Weihtum sprachen da
Die Jünger, dem Gotteshaus:   es gebe kein schöneres,
Edleres auf Erden   irgend, durch Menschenarbeit.
Von Künstlerhand   also vollkommen
Und reich errichtet.   Da sprach der reiche,
Hehre Himmelskönig:   die andern hörten es:
»Ich kann euch verkünden,   kommen wird die Zeit,
Da nicht stehenbleibt   ein Stein ob dem andern:
Zu Boden fällt der Bau,   von Feuer erfaßt,
Von gieriger Lohe,   obgleich er so schön nun ist
Und weislich gewirkt.   Nichts währt dann auf dieser Welt,
Die grüne Au zergeht.«   Da gingen die Jünger zu ihm
Und fragten ihn stille: »  Wie lange steht noch
Diese Welt in Wonne,   eh die Wende kommt,
Daß der letzte Tag   des Lichtes scheint
Durch den Wolkenhimmel?   Oder wann willst du wieder kommen
In diesen Mittelgarten,   dem Menschengeschlecht
Das Urteil zu erteilen,   Toten und Lebenden,
Herr, mein Guter?   Gar heftig verlangt uns
Zu wissen, waltender Christ,   wann das geschehen soll.«
Worauf zur Antwort   der allwaltende Christ
Gütlich gab   den Jüngern umher:
»Das hält so heimlich   der Herr, der gute,
So hat es verhohlen   des Himmelreichs Vater,
Der Walter dieser Welt,   wissen mag es nicht
Ein Held hier auf Erden,   wann die hehre Zeit
In diese Welt soll kommen;   auch kennen sie wahrlich nicht
Gottes Engel,   die gegenwärtig sind
Immer vor seinem Angesicht:   sie selber auch
Wüßten es nicht zu sagen,   wann es geschehen solle,
Daß er in diesem Mittelgarten,   der mächtige Herr,
Die Völker heimsuche.   Der Vater weiß es allein,
Der heilige, im Himmel,   verhohlen bleibt es
Lebenden und Toten,   wann er den Leuten naht.
Doch erzählen mag ich euch,   welche Zeichen zuvor
Wundersam werden,   eh er in diese Welt kommt
An dem mächtigen Tage.   Das wird am Monde kund
Und so an der Sonne.   Sie schwärzen sich beide,
Von Finsternis befangen,   die Sterne fallen,
Die schimmernden Himmelslichter,   die Erde schüttert,
Die breite Welt erbebt.   Solcher Zeichen bieten sich viel;
Die große See ergrimmt,   der tiefe Golfstrom des Meers
Wirkt mit seinen Wogen   den Erdenwohnern Grausen.
Dann erstarren die Sterblichen   vor des Sturmes Zwang,
Alles Volk vor Furcht.   Dann ist nirgend Friede,
Waffenkampf wird weit   über diese Welt,
Heißgrimm erhoben,   die Herrschaft breitet
Volk über Volk,   die Fürsten befehden sich
In mächtiger Heerfahrt,   die Menge erliegt
Im offenen Allkrieg.   Das ist ein ängstlich Ding,
Daß Menschen müssen   solchen Mord erheben.
Weit wütet Pest auch   über diese Welt,
So groß Menschensterben,   als nie auf diesen Mittelkreis
Seuche senkte.   Dann sieht man Sieche liegen,
Zum Tode taumeln,   ihre Tage enden,
Mit ihrem Leben füllen.   Dann fährt unleidlicher
Hunger heißgrimm   über die Heldenkinder,
Die quälendste Kostgier.   Das ist nicht das kleinste
Weh in dieser Welt,   das da werden soll
Vor dem Unheilstage.   Wenn ihr das alles
Seht auf Erden geschehen,   so mögt ihr sicher wissen,
Daß der letzte Tag   den Leuten nah ist,
Der mächtige, den Menschen,   und die Macht Gottes,
Der Himmelskraft Bewegung,   des Heiligen Kunft,
Des Herrn in seiner Herrlichkeit.   Seht, hievon mögt ihr
An diesen Bäumen   ein Bild erkennen:
Wenn sie knospen und blühen   und Blätter zeigen,
Laub sich löst,   dann wissen die Leute,
Daß ihnen sicher   der Sommer nah ist
Warm und wonnesam,   mit schönem Wetter.
So zeigen auch die Zeichen,   die ich aufgezählt,
Wann der letzte Tag   den Leuten naht.
Dann sag ich euch wahrlich,   daß auf der Welt nicht eher
Dies Volk zerfahren wird,   bevor sich erfüllt
Mein Wort und bewährt.   Die Wende kommt
Des Himmels und der Erde,   und mein heilig Wort
Steht fest und währt fort,   und erfüllt wird alles,
In diesem Licht geleistet,   was ich vor den Leuten sprach.
Nun wacht und wahrt euch,   denn gewiß wird kommen
Der große Gerichtstag,   der eures Gottes Kraft zeigt,
Seiner Macht Strenge:   die schreckliche Zeit,
Die Wende dieser Welt.   Davor wahret euch,
Daß sie euch nicht schlafend,   in des Schlummers Ruh
Fährlich befange,   in Frevelwerken,
Der Untaten voll.   Das Weltende kommt
In düstrer Nacht   wie ein Dieb geschlichen,
Der sein Tun verbirgt:   so bricht der Tag herein,
Der letzte dieses Lichtes,   eh es die Leute denken –
Völlig wie die Flut tat   in der Vorzeit Tagen,
Die in steigenden Strömen   die Menschheit zerstörte
In Noahs Zeiten,   den allein aus der Not nahm,
Ihn und sein Haus,   der heilige Gott
Aus der umfangenden Flut.   So fiel auch Feuer
Heiß vom Himmel,   als die hohen Burgen
In Sodomas Land   schwarze Lohe umfing,
Grimm und gierig:   da entging niemand
Außer Lot allein;   denn ihn entleiteten
Die Boten Gottes   mit seinen beiden Töchtern
Einen Berg hinauf,   weil brennend Feuer alles,
Land und Leute   die Lohe verzehrte.
Wie das Feuer da jählings kam   und die Flut gefahren,
So jäh der Jüngste Tag.   Daran soll jeglicher
Gedenken vor dem Dinge:   des ist große Durft
Den Menschen allen.   Drum mögt ihr in Sorgen sein;
Denn wenn das geschehn wird,   daß der waltende Christ,
Der hehre Menschensohn,   mit der Macht Gottes
Kommt in seiner Kraft,   der Könige reichster,
Zu sitzen in seiner Stärke,   und zusammen mit ihm
Die Engel alle,   die da oben sind,
Die heiligen, im Himmel,   dann sollen der Helden Kinder,
Der Erde Geschlechter   alle versammelt werden,
Was von Leuten lebt,   was je in diesem Licht
Von Menschen erzeugt war.   Dieser Menge wird dann,
Allem Menschengeschlecht   der mächtige Herr
Erteilen nach ihren Taten.   Dann weist er die Verteilten,
Die verworfnen Leute   zur linken Hand;
Die Seligen schart er   zur rechten Seite,
Und gegen die Guten   grüßend kehrt er sich:
›Kommt, ihr Erkorenen,   kommt in dies herrliche
Reich, das bereitet ward   den Gerechten allen
Nach der Wende der Welt.   Geweiht hat euch
Aller Völker Vater:   ihr dürft der Freuden genießen,
Dieses weiten Reichs walten,   weil ihr mir oft zu Willen wart,
Mir gerne gabet   aus gütiger Hand.
Da ich bedrängt war   von Durst und Hunger,
Von Frost befangen,   oder in Fesseln lag,
Bekümmert im Kerker,   so kam dem Beklemmten
Hilfe von eurer Hand;   euer Herz war mir milde,
Ihr besuchtet mich liebreich.‹

                                                    Dann entgegnen die Seligen:
›Mein Fürst, wann fanden wir   so dich befangen,
So bedrängt und darbend,   wie du vor diesem Volk
Erwähnst, du Gewaltiger?   Wann je sah man dich
In Bedrängnis darben?   dich, der aller Dinge gewaltest,
Aller Güter zugleich,   die je der Menschen Söhne
In dieser Welt gewannen.‹   Und der Waltende erwidert:
›Was ihr auf Erden tatet   in eures Herren Namen,
Was ihr Gutes gabet   zu Gottes Ehre
Den Menschen, den mindesten   in dieser Menge,
Den aus Demut Bedrängten,   darum, weil sie
Meinen Willen wirkten –   was ihr denen eures Wohlstands
Hingabt zu meiner Verherrlichung,   das hat euer Herr empfangen,
Die Hilfe kam dem Himmelskönig.   Darum will der heilige Herr
Euern Glauben lohnen   mit ewigem Leben.‹

Dann wendet zur Linken   der Waltende sich
Und spricht zu den Verteilten:   ›Eurer Taten entgeltet nun,
Eures Meinwerks ihr Menschen.   Nun müßt ihr,‹ spricht er,
›Verfluchte, fahren   in das ewige Feuer,
Das da den Gegnern   Gottes bereitet ward,
Dem Volk seiner Feinde   für ihre Frevelwerke.
Ihr habt mir nicht geholfen,   wenn mich Hunger und Durst
Entsetzlich quälten;   wenn ich der Kleider bar
Jammermütig ging   in großer Bedrängnis.
Ihr habt mir nicht geholfen,   wenn ich in Haften lag,
In Ketten und Banden,   oder auf dem Krankenbette
Schweres Siechtum litt.   Dann besuchtet ihr mich nicht,
Erwiest mir keine Wohltat,   ich war euch nicht würdig,
Daß ihr mein gedächtet:   dafür duldet nun
In Feuer und Finsternis.‹

                                            Dann entgegnet das Volk ihm:
›Ei, waltender Gott,   wie willst du doch so
Vor dieser Menge reden?   Wann bedurftest du der Menschen,
Daß sie Gut dir gönnten?   Du gabst uns ja allen
Wohlstand in dieser Welt.‹   Aber der Waltende erwidert:
›Wenn ihr die ärmsten   der Erdenkinder,
Die mindesten der Menschen   in euerm Mute,
Ihr Helden, überhörtet,   sie haßtet im Herzen,
Ihnen Wohltat weigertet:   das ward euerm Herrn getan,
Die Wohltat mir geweigert.   Drum will euch der Waltende,
Euer Vater, nicht empfangen.   In Feuer fahrt ihr
In den tiefen Tod,   den Teufeln zu dienen,
Den wütigen Widersachern,   für eure Werke.‹
Nach diesen Worten   wird das Volk geschieden,
Die Werten von den Bösen.   Die Verworfnen fahren
In die heiße Hölle,   das Herz voll Harms,
Die ewig Verdammten,   Weh zu erdulden,
Endloses Übel.   Aber aufwärts führt
Der hehre Himmelskönig   der Lautern Heerschar
In langwährendes Licht:   da ist ewiges Leben,
Gottes Reich bereit   den Rechtschaffenen all.‹

So hört ich, daß den Helden   der herrliche Herr
Der Welt Wende   mit Worten schilderte,
Wie die Welt währen soll,   dieweil da wohnen dürfen
Die Erdensöhne,   und wie sie am Ende soll
Zergleiten und zergehn.


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