Anonym
Der Heliand
Anonym

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Die Speisung der Fünftausend

                                                                                  Da fuhr das Gerücht
Über die Landschaft,   wie der Lehrer bester
Sich Anhang sammle   in der öden Wildnis.
Das Volk fuhr hinzu,   der Begierde voll
Nach den weisen Worten.   Das war auch der Wunsch allein
Des Sohnes Gottes,   daß er solch Gesinde
In das Licht Gottes   laden dürfe,
Sich willig gewinnen.   Der Waltende lehrte
All den langen Tag   die Leute männiglich,
Der Auswärtgen viel,   bis daß am Abend
Die Sonne zur Rüste ging.   Seine zwölf Gesellen
Gingen zu dem Gottessohn   und sagten dem guten,
Wie die Leute Not litten,   der Labe bedürftig
In der wüsten Wildnis:   sie wüßten sich nicht zu fristen,
Die Helden, vor des Hungers Zwang.   »Nun laß, guter Herr, sie ziehn,
Wo sich Wohnungen finden.   Nah sind bewohnte Burgen,
Vielbevölkerte,   da finden sie Mundvorrat
In Weilern und Flecken.«   Da sprach der waltende Christ,
Der Fürst der Völker:   »Ferne sei doch,
Daß sie der Speise wegen   verlassen sollten
Meine liebliche Lehre.   Gebt den Leuten genug
Und gewinnt sie zu weilen.«   Da hielt sein Wort bereit
Philipp, der erfahrne Mann:   »Zu viele sind, zu groß ist
Der Menschen Menge.   Und hätten wir für ihr Mahl
Auch Geld zu geben,   wenn wir's vergelten wollten,
Und der Silberstücke   zusammen dafür
Zweihundert zahlten,   zweifelhaft bliebe noch,
Ob auch nur etwas   auf den einzelnen käme:
So wenig wär's so viel Leuten.«   Der Landeswart erwiderte
Und fragte sie   beflissentlich,
Der Menschen Herr,   was sich zum Mahle denn
Vorrätig fände.   Der Frage entgegnete
Vor den andern Andreas,   dem Allwaltenden
Versetzt' er und sagte:   »Wir sind auf der Reise
Ohne Vorrat ganz und gar;   nur Gerstenbrote
Finden sich fünfe   und Fische zwei:
Was macht das solcher Menge?«   Da sprach der mächtige Christ,
Der gute Gottessohn,   das ganze Gefolge
Sollten sie sondern   und die Scharen setzen,
All das Volk,   auf die Erde hin,
Ins grüne Gras.   Den Jüngern gebot dann
Der Gebornen bester,   die Brote zu holen
Und die Fische zumal.

                                        Das Volk harrte ruhig,
All die Gefolgschaft,   dieweil durch eigne Kraft
Der Menschen Herr   das Mahl weihte,
Der hehre Himmelskönig.   Mit den Händen brach er es
Und gab es den Jüngern:   sie sollten gehn, es dem Volke
Tragen und teilen.   Die taten nach des Herren Wort,
Brachten gern seine Gabe   jedem des Gefolges,
Eine heilige Hilfe.   Unter ihren Händen wuchs
Den Männern die Mundkost.   Die Menge mochte
In Lusten leben.   Alle Leute wurden
Satt, ein selig Volk,   so viele sich gesammelt hatten
Auf weiten Wegen.   Da hieß der waltende Christ
Seine Jünger gehen:   »Gebet wohl acht,
Daß die Überbleibsel   nicht untergehen,
Sondern sammelt sie,   wenn sich gesättigt hat
Der Menschen Menge.«   Da blieb des Mahles,
Der Kost so viel,   daß man Körbe voll las,
Zwölfe zusammen.   Das war ein mächtig Zeichen
Großer Gotteskraft,   denn der Gäste Zahl war
Ohne Weib und Kind,   der wehrhaften Männer,
Fünftausend wohl.   Das Volk erkannte da
Im Gemüt, die Männer,   daß sie einen mächtigen
Herren hatten,   so daß hoch den Himmelskönig
Die Leute lobten:   »An dies Licht kam nie
Ein weiserer Weissager,   noch der Gewalt von Gott
In diesem Mittelgarten   so große gehabt,
So schaffenden Sinn.«   Einstimmig sprachen sie,
Daß er würdig wäre   aller Wonnegüter
Und das Erdenreich sollte   zu eigen haben,
Den weiten Weltthron,   da er solche Weisheit habe,
So große Kraft von Gott.   Sie wurden gänzlich eins,
Daß sie zum höchsten   Herrn ihn erhöben,
Zum König kören.

                                  Das war dem Christ nun
Von wenigem Werte,   da er dies Weltreich ja,
Erd und Himmel oben   allein durch seine Kraft
Selber erschuf   und seither erhielt
Mit Land und Leuten.   Das leugneten freilich
Die wirren Widersacher   daß in seiner Gewalt stand
Der Königreiche Kraft   und des Kaisertums
Und das letzte Weltgericht.   So wollt er durch der Leute Spruch
Keine Herrschaft haben,   der heilige Fürst,
Eines Weltkönigs Würde.   Mit Worten stritt er
Mit dem Volk nicht fürder,   sondern fuhr, wohin er wollte,
Hinauf ins Gebirge.   Der Geborne Gottes
Floh der Frechen Ruhmwort   und befahl den Jüngern,
Über den See zu segeln,   und beschied sie auch,
Wie sie ihm wieder entgegen-   gehen sollten.


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