Anonym
Der Heliand
Anonym

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Golgatha

                        Da ward den Juden übergeben   aller Guten bester,
Den Hassern in die Hände,   in herbe Bande,
In enge, genötigt,   wo ihn die Neidharte,
Die Feinde empfingen,   Volk ihn umdrängte,
Der Meuchler Menge.   Der mächtige Herr
Ertrug in Geduld,   was ihm tat das Volk.
Da ließen sie ihn geißeln,   eh sie ihn an Leib
Und Leben straften,   spien ihm unter die Augen,
Schlugen zum Hohn   ihm mit schnöden Händen
An seine Wangen, die Wichte,   nahmen sein Gewand
Und legten ein rotes   Laken ihm an.
Noch anderes übte   der Abscheulichen Abgunst:
Ein Hauptband hießen   aus harten Dörnern
Die Bürger winden,   es dem waltenden Christ
Aufs Haupt zu heften.   Dann gingen sie hin,
Grüßten ihn als König,   die Knie vor ihm beugend,
Den Nacken neigend:   nur zum Hohn geschah es.
Doch alles ertrug   der teure Fürst,
Der mächtige, aus Minne   zu der Menschen Geschlecht.
Dann ließen sie wirken   mit scharfer Waffe,
Aus hartem Baume   hauen und zimmern
Ein Kreuz, die Knechte,   und geboten dem Christ,
Dem seligen Gotteskind,   es selber zu führen:
Dahin mußt es tragen   der teure Herr,
Wo er sündenlos sollte   verbluten und sterben.
Frohlockend folgte   das Volk der Juden,
Da sie den mächtigen Christ   zur Marter führten.
Da hörte man herbe,   harmvolle Dinge:
Weinend dahinter   gingen Weiber mit Schluchzen:
Die guten Männer klagten,   die von Galiläa
So fern ihm gefolgt waren,   um ihres Fürsten Tod
In schweren Sorgen.   Da sprach er selber,
Der Gebornen edelster,   da er um sich schaute:
»Weint nicht, ihr Leute,   laßt euch nicht
Meine Hinfahrt härmen:   weinet, ihr Helden,
Um eure Sünden,   beseufzt sie mit Tränen,
Mit Zittern und Zagen.   Die Zeit wird kommen,
Da sich die Mütter   noch freuen mögen,
Die Frauen der Juden,   denen Leibesfrucht fehlte
Ihr Leben lang.   Dann werdet ihr der Laster
Grausig entgelten.   Wohl begehret ihr dann,
Daß die hohen Berge   brechend euch hüllten,
In der Tiefe begrüben.   Der Tod wär allen dann
Lieber in diesem Lande,   als solches Leid
Ferner zu erfahren,   wie diesem Volk dann kommt.«

Nun ward auf dem Grieße   zum Galgen errichtet,
Auf dem Felde oben,   von dem Volk der Juden
Ein Baum auf dem Berge,   den Gebornen Gottes
Am Kreuz zu quälen.   Kaltes Eisen schlugen sie,
Neue Nägel,   nietscharf unten,
Mit harten Hämmern   ihm durch Händ und Füße,
Bittere Bänder.   Sein Blut rann zur Erde,
Von dem Teuern triefend;   doch rächt' er die Tat nicht,
Die grimme, an den Juden,   sondern Gott den Vater
Bat er, den mächtigen,   daß er den Männern drum
Nicht zürnen wolle:   »Sie wissen nicht, was sie tun.« –

Nun wollten die Weigande   des Christs Gewänder
Unter sich teilen,   die tapfern Knechte,
Des Mächtigen Kleider.   Die Kämpen mochten
Über den Leibrock   lange nicht einig werden:
Zuletzt beschlossen sie,   das Los zu werfen,
Wer ihn haben sollte,   den heiligen Rock,
Das wonnesamste   aller Gewänder.

Da hieß der Herzog,   über dem Haupte Christs
Am Kreuze kundzutun,   der König der Juden wär's,
Jesus von Nazareth,   der da genagelt stünde
An den neuen Galgen,   aus Neid geheftet
An des Baumes Stamm.   Ihn baten die Leute,
Das Wort zu ändern,   das ihm zu Willen sei,
Da er selber gesagt,   daß sein die Gewalt sei
Als der Juden König.   Da sprach des Kaisers Bote,
Der herbe Herzog:   »Es steht über seinem Haupt
Nun weislich geschrieben,   und ich will es nicht ändern.«

Da schlug zur Strafe   der Juden Schar
Zwei böse Verbrecher   zu beiden Seiten
Des Christ ans Kreuz,   daß sie qualvollen Tod
Am Wolfsholz litten,   ihren Werken zum Lohn,
Ihren leidigen Taten.   Die Leute sprachen rings
Der Hohnworte viel   zu dem Heiligen Christ
Mit beißendem Spott,   da sie den besten der Menschen
Am Kreuze quälen sahn.   »Wenn du der König der Welt bist,
Der Sohn des Herrn,   wie du selber sprachst,
So entnimm dich nun   dem nötenden Zwange,
Steig heil herab:   dann wollen der Helden Söhne,
Diese Leute an dich glauben.«   Lästerung sprach ihm auch
Ein kecker Jude,   der vor dem Kreuze stand:
»Weh dieser Welt,   wenn du sie gewaltetest!
Du getrautest dich,   an einem Tag zu zerstören
Das hohe Haus   des Himmelskönigs,
Der Steinwerke stärkstes,   und es erstehn zu lassen
Am dritten Tage,   des sich doch noch nie
Der Frechste vermaß:   nun sieh, wie du gefestigt stehst
Und schwer versehrt:   du magst dir selbst nicht helfen
Aus scharfer Qual.«   Da sprach von seinem Kreuz
Auch der Schächer einer,   wie er von den andern hörte,
Mit widrigen Worten   (nicht war sein Wille gut,
Des Kämpen Gedanke):   »Wenn du der König bist,
Christ, Gottes Kind,   so komm herab vom Kreuz,
Entschlüpfe den Seilen,   und uns allen zusammen
Hilf und heil uns:   wenn dir der Himmel gehorcht,
Dem Walter dieser Welt,   so bewähr es an dem Werke,
Verherrliche dich hier!«   Da hub auch der andre an,
Der am Hängeholz   geheftet hing,
Mit entsetzlicher Qual:   »Was sprichst du solch ein Wort,
Ihn herbe höhnend,   und hängst am Kreuze geheftet,
Am Baum gebunden?   Wir beide dulden
Den Schmerz für unsere Sünden:   wir verschulden selber
So scharfe Strafe.   Er steht hier ohne Fehl,
Aller Sünde frei,   der selber nimmer
Frevel vollführte,   nur durch des Volkes Haß
Willig in dieser Welt   das Wehe duldet.
Ich will glauben an ihn   und will den Landeswart,
Den Gebornen Gottes,   inbrünstig bitten –
Daß du mein gedenkest   mit deiner Hilfe,
Der Berater bester!   Wenn du in dein Reich kommst,
So sei mir gnädig!«   Der Nothelfer Christ
Erwidert' ihm da:   »Wahrlich, ich sage dir,
Noch heute sollst du   im Himmelreiche
Mit mir zugleich   das Licht Gottes schaun,
Im Paradiese,   wie schwere Pein du nun leidest.«

Da stand auch Maria,   die Mutter Christs,
Unter dem Baume bleich,   wo ihr Geborner litt
In so furchtbarer Qual.   Auch waren andre Frauen
Mit ihr in des Mächtigen   Minne gekommen.
Da stand auch Johannes,   der Jünger Christs,
Harmvoll bei dem Herrn;   sein Herz war krank:
Sie betrauerten seinen Tod.   Da sprach tröstend Christ,
Der mächtige, zu der Mutter:   »Nun will ich dich meinem
Jünger befehlen,   der hier zugegen ist.
Ihm sei gesellt:   für deinen Sohn sieh ihn an.«
Er befahl dem Johannes,   sie gut zu pflegen,
Sie milde zu minnen   wie eine Mutter,
Die Unbefleckte.   In seine Obhut nahm er sie
Mit lauterm Herzen,   wie sein Herz ihm gebot.

Da ward mitten am   Tag ein mächtig Zeichen
Zu Wunder gewirkt   über die weite Welt.
Als der Gottessohn   an den Galgen erhoben war,
Der Christ an das Kreuz,   da macht' es kund überall
Der Sonne Verschleierung:   ihr schallendes Licht,
Ihr schönes, schien nicht mehr,   sondern Schatten umfing sie
Dumpf und düster:   sein Dämmer wirkte
Aller Tage trübsten,   gar traurig dunkeln
Über die weite Welt,   dieweil der waltende Christ
Am Kreuze Qual litt,   der Könige kräftigster,
Bis zur None des Tages.   Der Nebel zerging da,
Der Schatten zerschwang sich,   Sonnenlicht schien wieder
Glänzend am Himmel.   Da rief zu Gott empor
Aller Könige kräftigster,   wie er am Kreuze hing,
An den Armen gefesselt:   »Allmächtiger Vater!
Was verlässest du mich,   mein lieber Herr,
Heiliger Himmelskönig,   hältst mir deiner Hilfe
Fülle fern?   Unter Feinden steh ich hier
In entsetzlicher Marter.«   Die Menge der Juden
Verhöhnt' ihn hämisch drum.

                                                Nun hörten sie den Heiligen Christ
Vor seinem Tode   einen Trunk erbitten.
»Mich dürstet«, rief er.   Die Rotte säumte nicht,
Die wütgen Widersacher:   ihr Wille war gut,
Wo sie ihm Bitteres   herbei mochten bringen.
Bald hatten unsüßen   Essig mit Galle
Gemischt die Meintäter,   und ein Mann stand bereit,
Ein schuldiger Schächer,   dazu beschieden
Und angestiftet:   der nahm in einen Schwamm
Das leidigste Getränk,   an langen Schaft
Von Rohr gesteckt,   reicht' er ihn dem Gottessohn,
Dem mächtigen, zum Munde.   Der erkannte die Meintat,
Fühlte die Falschheit   und wollte ferner
So Bittres nicht kosten.

                                          Der Geborne Gottes rief laut
Zu dem himmlischen Vater:   »In deine Hände befehl ich
Meinen Geist, in Gottes Willen.   Er ist nun ganz bereit,
Zu dir zu fahren,   aller Völker Herr!«
Da neigt' er sein Haupt,   den heiligen Odem
Entließ sein leiblich Teil.

                                              Als der Landeswart
An dem Stamme starb,   da wurde stracks
Ein Wunder gewirkt,   daß des Waltenden Tod
Alles Sprachlose selbst   verspüren sollte.
Bei seinem Abscheiden   bebte die Erde,
Die starren Berge schütterten,   harte Steine barsten,
Die Kiesel kloben.   Klaffend riß der Vorhang
Mitten entzwei,   der schon so manchen Tag
Wunderbar gewirkt   in dem Weihhaus innen
Heil gehangen,   daß der Helden Kinder
Nicht schauen sollten,   was ihnen der Schleier
Heiliges hüllte.   Nun sahen den Hort
Die Judenleute.   Aus den Gräbern gingen
Die Entschlafenen hervor,   die durch des Schöpfers Kraft
In ihren Leichnamen   nun lebend erstanden
Aus offener Erde   und vor Augen erschienen
Den Menschen zur Mahnung.   Das war ein mächtig Zeichen,
Daß da Christi Tod   erkennen sollte
Das Sprach und Fühllose,   das nie zuvor gesprochen
Ein Wort in dieser Welt.   Wiewohl nun die Juden
So Seltsames sahen,   doch war ihr arger Sinn so
Verhärtet in ihrem Herzen,   wieviel ihnen heiliger
Zeichen gezeigt ward,   ihnen zeugt' es nicht bessern
Glauben an Christi Kraft,   daß er der König wäre
Über die Erdensöhne.   Doch sprachen etliche,
Die des heiligen Leichnams   hüten sollten,
In Wahrheit war es   des Waltenden Sohn,
Klärlich Gottes Kind,   der da am Kreuze verschied,
Der Gebornen bester.   An die Brust auch schlugen
Viel weinende Weiber,   die sein wunderbar Weh
Im Herzen härmte,   um ihres Herren Tod
In schweren Sorgen.

                                      Nun war Sitte der Juden,
Daß sie die Erhenkten   am heiligen Tage
Länger nicht hängen ließen,   wenn ihnen das Leben entwichen war,
Die Seele geschwunden.   Da gingen schnöde Männer
Neidvoll näher,   wo genagelt standen
Die schuldigen Schächer,   die da scharfe Qual
Bei dem Erlöser litten.   Sie lebten beide noch,
Bis jetzt die grimmen   Judenleute
Ihnen die Beine brachen,   daß sie beide zugleich
Das Leben ließen,   ein ander Licht zu suchen.
Christ den Herren brauchten   sie nicht umzubringen
Noch mit neuem Frevel,   er lebte nicht mehr,
Seine Seele war entsandt   auf sichern Wegen
Zu langwährendem Licht:   seine Glieder kalteten,
Sein Geist war entwichen.   Da ging der Wütigen einer
Neidvoll näher,   einen genagelten Speer
In den Händen haltend,   stach herb mit der Spitze,
Ließ die scharfe Waffe   eine Wunde schneiden,
Daß an derselben   Seite dem Christ
Der Leib erschlossen ward.   Die Leute sahen,
Wie Blut und Wasser beide   alsbald entsprangen
Aus der Wunde wallend,   wie es sein Wille war
Und voraus geordnet   den Erdenwohnern
Zu ewigem Frommen:   erfüllt war nun alles.


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