Anonym
Der Heliand
Anonym

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Christus auf dem Ölberg

                                Da erhob sich der Herrliche   in dem Hause dort,
Der Nothelfer Christ,   und ging in die Nacht hinaus,
Er selbst und die Gesellen.   In Schmerzen schritten,
In großem Jammer   die Jünger Christs,
In wehem Mute.   Er wollt auf den hohen Berg
Der Ölbäume:   auf ihn war er gewohnt
Mit den Jüngern zu gehen.   Das wußte Judas wohl,
Der bösherzge Mann,   der auf dem Berg oft mit ihm war.
Da grüßte der Gottessohn   seine Jünger so:
»Ihr seid nun betrübt,   meinen Tod zu wissen,
Jammert und grämt euch,   und die Juden sind in Lusten.
Das Volk freut sich,   frohlockt und jubelt,
Die Welt ist voll Wonne.   Doch wenden wird sich das
Sehr geschwinde:   dann wird schwer das Herz
Jenen und jammervoll,   wenn ihr jubeln sollt
Einst am Ewigkeitstage,   denn Ende kommt dann nicht
Noch Wende eures Wohls.   Drum laßt dies Weh euch nicht schmerzen,
Meine Hinfahrt nicht härmen,   denn Hilfe kommt davon
Den Erdegeborenen.«

                                        Da gebot er den Jüngern,
Auf dem Berge zu warten:   zum Gebete wollt er
Auf dem Holmhange   noch höher steigen.
Dreie hieß er dann   der Degen mit ihm gehen,
Jakobus und Johannes   und den guten Petrus,
Den dreistgemuten Degen.   Mit ihrem Dienstherrn
Gingen sie gerne.   Da hieß sie der Gottessohn
Auf dem Berge oben   zum Gebet sich neigen,
Gott grüßen   und inbrünstig begehren,
Daß er sie schirme   vor des Versuchers Kraft,
Der Widrigen Willen,   daß ihnen der Widersacher nicht,
Der Meintäter möchte   den Mut verkehren.
Auch neigte sich selber   der Sohn des Herrn,
Der Kräftige, zum Kniegebet,   der Könige mächtigster.
Vor sich fallend,   den Vater aller Menschen
Grüßt' er, den guten,   mit jammernden Worten,
In tiefer Trauer.   Sein Herz war betrübt,
Nach seiner Menschheit   das Gemüt ihm bewegt.
Sein Fleisch war in Furcht,   ihm entfielen Tränen,
Sein teurer Schweiß enttroff,   wie Tropfen Bluts
Aus Wunden wallen.   Im Widerstreit waren
Dem Gotteskinde   Geist und Leib:
Der eine gern bereit,   den Heimweg zu gehn,
Der Geist zu Gottes Reich;   aber in Jammer stand
Christi Leib: dies Licht   ließ er nicht gerne,
Bangte vor dem Tode.   Im Gebet zu dem Herrn
Rief er mehr und mehr   den Mächtigen an,
Den hohen Himmelsvater,   den heiligen Gott,
Den Waltenden, mit den Worten:   »Mögen anders nicht werden
Erlöst die Menschen   und muß ich lassen
Das liebe Leben   für der Leute Kinder
In entsetzlichen Schmerzen,   so geschehe dein Wille!
Dann will ich ihn kosten,   den Kelch, und leeren,
Ihn dir zu Ehren trinken,   mein Herr, mein teurer
Schirm- und Schutzherr!   Sieh nicht auf meines
Fleisches Wohlfahrt,   da ich erfüllen soll
Deinen weisen Willen:   du hast Gewalt über alles!«

Er erhob sich und ging   zu den Jüngern hin,
Die er auf dem Berge gelassen.   Der Geborne des Herrn
Fand sie in Sorgen schlafen:   das Herz war ihnen schwer,
Daß der liebe Herr   sie verlassen sollte.
So wird das Gemüt bewegt   der Menschen jeglichem,
Wenn er verlassen soll   den geliebten Herrn,
Von dem guten scheiden.   Da sprach zu den Jüngern
Der Waltende und weckte   sie mit diesen Worten:
»Wie dürft ihr nun schlafen?   Mögt ihr nicht mit mir
Eine Weile wachen?   Das Wehgeschick naht,
Da es so ergehen soll,   wie es Gott der Vater,
Der Mächtige maß.   Mir wankt der Mut nicht,
Mein Geist ist ergeben   in Gottes Willen
Und fertig zur Fahrt:   nur das Fleisch ist schwach,
Der Leib will mich nicht lassen,   ihm ist es leid,
Dies Weh zu tragen.   Doch den Willen soll ich
Meines Vaters erfüllen.   Habt festen Mut!«

Da ging er aber,   zum andern Male,
Den Berg hinauf,   zu beten dort,
Der mächtige Herr,   und sprach da noch manche
Der guten Worte.   Gottes Engel kam jetzt,
Der heilige, vom Himmel,   sein Herz zu festigen,
Für die Bande zu stärken.   Im Gebet fuhr er stets
Fort mit Fleiß   und rief den Vater an,
Den Waltenden, mit den Worten:   »Wenn es unwendbar ist,
Allmächtiger Herr,   daß ich für dies Menschenvolk
Den Tod ertragen soll,   so getrau ich deinen
Willen zu wirken.«

                                  Wiederum ging er dann
Seine Gesellen suchen   und fand sie schlafen,
Grüßte sie jählings   und ging zum drittenmal
Auf den Berg, zu beten,   und sprach, der Gebieter,
Dieselben Worte,   der Sohn des Herrn,
Zum allwaltenden Vater,   wie er zuvor getan.
Er mahnte den Mächtigen   an der Menschen Heil
Nachdrücklichst,   der Nothelfer Christ,
Und er ging zu den Jüngern   und grüßte sie:
»Schlaft ihr und ruhet?   Nun wird er schleunig
Mit Kraft hieher kommen,   der mich verkauft hat,
Den Sündelosen verraten.«


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