Anonym
Der Heliand
Anonym

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Barrabas

                                                                          Die Entscheidung nahte
Durch die hehre Macht Gottes,   die Mitte des Tags,
Da sie die Todesqual   erteilen sollten.
Nun lag in Banden   dort in der Burg
Ein beschrieener Schächer,   der schon in den Landen
Manchen hatt ermordet,   viel Menschen erschlagen,
Der berüchtigte Räuber;   im Reich war seinesgleichen nicht.
Seiner Sünden wegen   saß er in Banden dort,
Barrabas geheißen,   in den Burgen rings
Durch seine Meintaten   männiglich bekannt.
Nun war es Landesbrauch   den Leuten der Juden,
Daß sie jegliches Jahr   um Gottes willen
An dem heiligen Tage   der Verhafteten einem
Erbitten durften,   daß ihm der Burgwart,
Der Lenker der Leute,   das Leben schenke.

Da begann der Herzog   in der Juden Versammlung
Das Volk zu fragen,   das da vor ihm stand,
Welchen von den beiden   sie ihn bitten wollten
Ihnen freizugeben,   die da gefesselt waren
In harten Haften.   Die Häupter der Juden
Hatten die Ärmern   alle beredet,
Daß sie dem Landschächer   das Leben erbäten,
Den Dieb sich bedingten,   der in düsterer Nacht
Manchen gemeuchelt;   den mächtigen Christ jedoch
Am Kreuze quälten.   Da ward das kund überall,
Welch Urteil gefällt war.   Nun sollt es vollführt werden,
Erhängt das heilige Kind.   Das ward dem Herzog noch
Zu schweren Sorgen,   daß er selber wohl wußte,
Wie nur aus Neid   den Nothelfer Christ
Die Herrschenden haßten,   und ihnen Gehör gab,
Ihren Willen gewährte.   Darum ward ihm Wehe
Zu Lohn in diesem Licht;   aber viel längeres
Wehe gewann er,   als er die Welt verließ.


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