Anonym
Der Heliand
Anonym

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Eingang

                  Manche waren,   die ihr Gemüt dazu trieb,
Daß sie Gottes Wort   beginnen wollten,
Das Geheimnis zu enthüllen,   das der heilige Christ
Hier unter Menschen   herrlich vollendete
Mit Worten und Werken.   Uns wollten viel weiser
Leute Kinder loben   die Lehre Christs,
Des Herren heilig Wort,   und mit Händen schreiben
Offenbar in ein Buch,   wie seinen Geboten
Die Völker folgen sollten.   Doch viere nur fanden sich
Unter der Menge,   die Macht von Gott hatten,
Hilfe vom Himmel,   heiligen Geist
Und Kraft von Christ.   Sie kor er dazu
Von allen allein,   das Evangelium
In ein Buch zu bringen,   die Gebote Gottes,
Das heilige Himmelswort.   Das hatten nicht andre noch
Aus dem Volke zu fördern,   da nur diese viere
Durch die Kraft Gottes   dazu gekoren wurden.
Matthäus und Markus   hießen die Männer,
Lukas und Johannes:   sie waren Gott lieb
Und des Werkes würdig:   der waltende Gott
Hatt ihren Herzen   heiligen Geist
Fest anbefohlen   und frommen Sinn,
Weise Worte verliehen   und großes Wissen,
Daß sie erheben möchten   mit heiligen Stimmen
Die gute Gotteskunde,   die ihr Gleichnis nicht hat
In Worten dieser Welt,   die so den waltenden
Herrscher verherrlichten,   und heillose Tat,
Frevelwerk fällten   und dem tückischen Feind
Im Streit widerstünden;   denn starken Sinn hatte,
Milden und guten,   welcher der Meister war,
Der edle Urheber,   der allmächtige.
Sie viere sollten   mit Fingern schreiben,
Setzen und singen   und gründlich sagen,
Was sie von Christi   Kraft, der großen,
Gesehen und gehört,   das er selber gesprochen,
Gewirkt und gewiesen,   des Wunderbaren viel,
Vor den Menschen und mancherlei,   der mächtige Herr.
Was von Anbeginn   durch seine einige Kraft
Der Waltende sprach,   da er die Welt erschuf,
Und da alles befing   mit einem Wort,
Himmel und Erde   und alles, was darin
Gewirkt war und gewachsen:   das ward mit Gottes Wort
All fest befangen   und zuvorbestimmt,
Welcher Leute Volk   des Landes sollte
Am weitesten walten   und wie die Welt dereinst
Ihre Alter enden sollte.   Deren eins nur stand
Noch bevor den Völkern:   fünfe waren hin;
Das sechste sollte   nun seliglich kommen
Durch die Kraft Gottes   und Christi Geburt,
Des besten Heilands,   daß sein heilger Geist
In dieser Mittelwelt   den Menschen helfe
Und vielen fromme   wider der Feinde Drang,
Böser Geister Zauber.

                                        Zu der Zeit lieh Gott
Den Römerleuten   der Reiche größtes:
Er hatt ihrem Heergeleit   das Herz gestärkt,
Daß sie Zins zu zahlen   alle Völker zwangen.
Von Romburg aus hatten sie   das Reich gewonnen,
Den Helm auf dem Haupte.   Ihre Herzoge saßen
In jeglichem Lande,   der Leute gewaltend
Über alle Reiche.   Herodes war
In Jerusalem   über der Juden Volk
Zum König gekoren:   der Kaiser von Rom
Hatt ihn dahin,   der mächtige Herrscher,
Mit dem Gesinde gesetzt,   obwohl nicht gesippt
Israels Abkommen,   noch durch edle Geburt
Ihrem Geschlecht entstammt:   nur des Kaisers Bestimmung
Von Romburg hatt ihm   das Reich verliehen,
Daß ihm gehorchten   die Heldengeschlechter,
Die kraftkundigen   Nachkommen Israels,
Unwankende Freunde,   dieweil da waltete
Herodes, des Reiches   und Gerichtes pflegend
Über die Leute.


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