Anonym
Der Heliand
Anonym

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Die Steuerzahlung

              So erfuhr ich, daß im Weihtum   der waltende Christ
An der Tage jeglichem,   der teure Herr,
Unterwies und lehrte.   Viel Leute umstanden ihn,
Groß Volk der Juden,   hörten ihn gute Worte
Und süße sagen.   So selig war mancher
In der Menge der Menschen,   es zu Gemüt zu nehmen.
Sie lernten die Lehre,   die der Landeswart
In Bildern sprach,   der Geborne des Herrn.
Doch leid war andern   die Lehre Christs,
Des Waltenden Wort.   Ihm widrigen Sinn
Hegten, die in der Herrschaft   die Höchsten waren,
Die Fürsten des Volkes.   Gefährde sannen ihm
Die ergrimmten Männer   und hatten ihm einen Gegner
Sich zu Hilfe geholt,   des Herodes Knecht,
Des Königs Kämpen:   der kam und stellt' ihm nach,
Mit widrigem Willen   seine Worte behorchend:
Wofern er sich verfinge,   daß sie in Fesseln ihn,
In Gliederbande   legen könnten,
Den Sündelosen.   Die Gesellen gingen hin,
Bitterböse   dem Gebornen Gottes,
Und wandten das Wort an ihn,   die Widersacher:

»Du bist Gesetzgeber   den Völkern gesamt
Und weisest die Wahrheit nur.   Du würdigst nie,
Ein Wort zu meiden   einem Manne zulieb,
Weil er reich und vornehm ist:   das Rechte sprichst du,
Damit du der Männer   Menge auf Gottes Weg
Mit deinen Lehren leitest.   Nicht den leisesten Tadel
Findet dies Volk an dir.   Nun sollen wir dich fragen,
Gewaltiger Volksherr:   Welches Recht hat
Der Kaiser von Rom,   von dem Könige hier
Zinsen zu fordern   und die Zahl zu bestimmen,
Wieviel wir jedes Jahr   ihm geben sollen
Vom Haupt als Steuer?   Laß hören, was dünkt dich,
Ist es recht oder nicht?   Rate deinen
Landsleuten wohl:   deiner Lehre bedürfen wir.«
Verneinen sollt er's nur;   doch genau erkannt er
Ihren widrigen Willen.

                                          »Weshalb, ihr Heuchler,
Fragt ihr so verfänglich?   Es soll euch nicht frommen,
Daß ihr Betrüger   mit tückischer List
Mir Fallstricke legt.«   Da befahl er, die Münzen
Zur Schau herbeizuschaffen,   die sie schuldig seien,
Als Gülte zu geben.   Die Juden brachten
Einen Silberling herbei.   Da sahen manche zu,
Wie er gemünzt sei.   In der Mitte sah man
Des Kaisers Bild;   sie erkannten wohl
Ihres Herren Haupt.

                                    Da fragte der Heilige Christ,
Wessen Bildnis   da gebildet sei.
Sie erwiderten, es wäre   des Weltkaisers Bild
Von Romaburg,   der des Reiches all
Über die weite Welt   Gewalt besitze. –
»So will ich euch denn   in Wahrheit raten,«
Sagt' er zu ihnen,   »daß ihr ihm das Seine gebt:
Dem Weltherrn sein Bild,   und dem waltenden Gott
Selber, was sein ist,   daß eure Seelen seien
Den guten Geistern.«

                                      So ward der Juden Absicht
Bei der Anfrage vereitelt.   Den Übeltätern
Ward es so wohl nicht,   wie sie doch wünschten,
Daß sie ihn mit Falschheit fingen.   Das Friedenskind Gottes
Nahm sich in acht   vor den Argen und antwortete
Mit lauterer Lehre,   obwohl sie so glücklich nicht waren,
Sie aufzufassen,   wie es ihr Frommen wäre.


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