Anonym
Der Heliand
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Vergib dem Beleidiger

                                              So lehrte der Heilige Christ
Die guten Jünger:   »Wer je wider euch
Eine Sünde wirkt,   den stell er gesondert
Zur Rede und rüg es,   berat ihn freundlich,
Unterweis' ihn mit Worten.   Würdigt er dann nicht,
Auf ihn zu hören,   so hol er einen andern
Guten Freund hinzu   und verweis' ihm den Frevel,
Nach der Schuld ihn scheltend.   Wird ihm die Sünde dann,
Die leidige, nicht leid,   so tu er's den Leuten kund,
Meld es vor der Menge,   lasse der Männer viel,
Was er verwirkte, wissen.   So widert ihm wohl die Tat
Und reut ihn im Herzen,   wenn er hört, wie die Helden
Ihm alle drum abhold sind   und ihm die Übeltat
Verwarnend wehren.   Will er sich dann noch nicht wenden,
Die Menge mißachtend,   so laßt den Mann fahren,
Haltet ihn für einen Heiden,   kehrt das Herz von dem Leidigen,
Meidet ihn im Gemüte,   wenn der milde Gott nicht,
Der hehre Himmelskönig,   ihm noch Hilfe verleiht,
Aller Völker Vater.«   Da fragte Petrus,
Aller Helden hehrster,   den holden Herrn:
»Wie oft soll ich ihnen,   die also wider mich
Beleidigung übten,   lieber Herr,
Soll ich ihnen siebenmal   ihre Sünd erlassen,
Die ruchlosen Werke,   eh ich Rache nehme,
Dem Leid zum Lohne?«   Der Landeswart entgegnete,
Der Gottessohn,   dem guten Degen:
»Ich sagte nicht von siebenmal,   wie du selber sprichst
Und dein Mund es meldet:   ich tue dir mehr dazu:
Siebenmal siebenzig   sollst du die Sünde jedem,
Die Beleidigung erlassen:   die Lehre geb ich dir
Mit wahrhaften Worten.   Da ich dir solche Gewalt gab,
Daß du in meinem Hause   der Hehrste wurdest
Vor aller Menschen Menge,   so sollst du ihnen milde sein,
Gelinde den Leuten.«

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