Anonym
Der Heliand
Anonym

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Die Verklärung

                                                        Von den Jüngern kor er
Darauf ohne Säumen   den Simon Petrus,
Und Jakobus und Johannes,   die guten zween
Gebrüder beide,   und den Berg bestieg
Mit den Sondergesellen   das selige Gotteskind,
Mit den Degen dreien   der Drost der Völker,
Der Walter dieser Welt.   Er wollt ihnen der Wunder viel,
Der Zeichen zeigen,   daß sie nicht zweifelten,
Er selber sei   der Sohn des Herrn,
Der heilige Himmelskönig.   Den hohen Wall hinan
Stiegen sie, Stein und Berg,   bis sie zur Stätte kamen
Unweit den Wolken,   die der waltende Christ,
Der Könige kräftigster,   erkoren hatte,
Weil er seine Gottheit da   den Jüngern wollte
Aus eigener Kraft   anschaulich zeigen,
Ein prächtiges Bild.   Denn als er nun betete,
Ward ihm da oben   ganz anders gestaltet
Gewand und Antlitz;   seine Wangen wurden licht,
Blendend wie der Sonne Bild   schien der Geborne Gottes;
Sein Leib leuchtete,   Lichtstrahlen flossen
Wonnig von des Waltenden Sohn.   Sein Gewand war weiß
Wie Schnee zu schaun,   und ein seltsam Ding
Ereignete sich:   Elias und Moses
Kamen zu dem Christ,   mit dem Kraftreichen
Worte zu wechseln.   Die Sprache war wonnesam
Unter den Guten,   da der Gottessohn
Mit den hehren Helden   sich unterhielt.
Die Höhe erhellte sich,   ein holdes Licht schien,
Einem schönen Garten glich sie,   einer grünenden Au,
Dem Paradies.   Petrus begann da,
Der hochgemute Held,   und sprach zu seinem Herrn,
Den Gottessohn grüßend:   »Hier ist gut sein,
Wenn du es wünschtest,   waltender Christ,
Daß man hier auf der Höhe   dir ein Haus erbaute,
Ziervoll gezimmert;   dazu ein andres für Moses,
Und eins für Elias,   denn hier oben ist's selig,
Wonnig zu wohnen.«   Als er das Wort noch sprach,
Da zerließ sich die Luft,   eine Lichtwolke schien
In gleißendem Glanz,   die guten Männer umgab
Blendende Schönheit.

                                      Da scholl aus der Wolke
Gottes heilige Stimme,   und zu den Helden dort
Sagte er selber:   »Dies ist mein Sohn,
Der liebste der Lebenden:   der geliebt mir wohl
In meinem Herzen:   ihr sollt ihm gehorchen
Und gerne folgen.«

                                    Da konnten die Jünger Christs
Der Wolke Wunderglanz   und dem Worte Gottes,
Seiner gewaltigen Macht   nicht mehr widerstehn:
Sie fielen vor sich hin,   in der Furcht verzweifelnd
An längerm Leben.   Da ging der Landeswart,
Berührte sie mit Händen,   der Heilande bester:
Sie sollten sich nicht entsetzen:   »Schaden mag euch nicht,
Was ihr Seltsames hier   gesehen habt,
Wunderbarer Dinge.«   Da wurde den Männern
Das Herz erheitert   und heil der Mut.
Ihre Kraft kehrte wieder:   da sahn sie das Kind Gottes
Noch allein da oben,   alles andere geschwunden,
Verhüllt das Himmelslicht.

                                                Nun ging der Heilige Christ
Vom Berge nieder   und gebot darauf
Den guten Jüngern,   daß sie dem Judenvolk
Das Gesicht nicht sagten,   »bevor ich selber
Mich hoch und herrlich   erhebe vom Tode,
Von der Rast errichte:   dann berichtet es frei,
Meldet's über den Mittelkreis   der Menge der Völker,
Über die weite Welt.«

                                        Da ging der waltende Christ
Nach Galiläaland wieder   zu den lieben Verwandten,
Besuchte die Gesippten   und sagte da vieles noch
In Bildern den Brüdern.   Der Geborne Gottes barg
Den süßen Gesellen   die Schmerzenskunde nicht:
Ihnen allen   sagt' er es offenbar,
Den guten Jüngern,   wie ihn die Juden sollten
Entsetzlich versehren.   Da sah man die weisen Männer
In schweren Sorgen;   ihr Sinn war siech
Und harmvoll ihr Herz,   da sie den Herren hörten,
Des Waltenden Sohn,   wahrhaft erzählen,
Was er unter den Leuten   erleiden solle,
Willig unter der Würger Schar.


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