Anonym
Der Heliand
Anonym

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Das Gleichnis vom Sämann

                                                        Doch wollten nicht erkennen
Die Judenleute,   daß er Gott wäre.
Sie glaubten seinen Lehren nicht,   stritten leidigen Streit
Wider seine Worte   und erwarben dafür
Auch leidigen Lohn,   der noch lange währen wird,
Weil sie nicht hören wollten   des Himmelskönigs
Christi Lehren,   die er kundtat allwärts,
Weit über diese Welt,   und ließ sie seine Werke sehn,
An der Tage jeglichem   seine Taten schaun,
Hören sein heilig Wort,   das er zu Hilfe sprach
Den Menschenkindern   und so manches mächtige
Zeichen zeigte,   damit sie nicht zweifelten
Und seinen Lehren glaubten.   Am Leibe so viele doch
Entband er böser Sucht,   Besserung schenkend,
Gab dem Toten Leben,   der schon angetreten
Hatte die Höllenfahrt:   der Heiland mocht ihn,
Christ, durch seine große Kraft,   vom Tod erquicken,
Hieß ihn wieder dieser Welt   Wonne genießen.
So heilt' er die Hinkenden   und half den Krummen,
Die Blinden ließ er wieder   dies prächtige Licht,
Das ewig schöne, schauen   und tilgte die Sünden,
Der Menschen Grimmwerk.   Nicht ward den Juden doch,
Den leidigen Leuten,   der Glaube lauterer
An den Heiligen Christ:   sie hatten ein hartes Herz,
Stritten stark wider ihn,   wollten nicht verstehen,
Wie sie so sich verfingen   in des Feindes Strick,
Die Glaubenlosen.

                                  Doch ließ nicht ab darum
Der Sohn des Herrn:   er sagte und lehrte,
Wie sie des Himmelreiches   habhaft würden.
Im Lande lehrend,   hatt er der Leute viel
Gewonnen durch sein Wort,   daß ihm wunderviel
Des Volkes folgte.   Vieles sprach er nur
In Bildern, der Geborne Gottes,   was sie in ihrer Brust nicht mochten,
In ihrem Sinn verstehn,   eh der selige Christ
Über all die Menge   mit offenen Worten
Ihnen selber später   es sagen wollte,
Seine Meinung melden.   Eine mächtige Menge
Umdrängt' ihn des Volks:   ihr Bedürfnis war groß,
Daß sie hören möchten   des Himmelskönigs
Wahrfestes Wort.

                                Er stand an eines Wassers Gestad
Und wollt im Gedränge   nicht über die Degen all
Auf dem Lande oben   seine Lehre künden;
Da ging der Gute,   und seine Jünger mit,
Das Friedenskind Gottes,   der Flut näher
Und stieg in ein Schiff,   das er schalten hieß
Das Land entlang,   daß die Leute so sehr nicht
Ihn drängten und drückten.   Mancher Degen stand
Am Wasser wartend,   wo der waltende Christ
Über der Leute Volk   seine Lehre sagte:

»Ich sag euch wahrlich,   ihr Gesellen mein,
Daß ein Ackerer einst   über die Erde Korn
Mit den Händen säte.   Auf harten Stein
Fiel aber einiges   und hatte nicht Erde,
Mochte nicht wachsen   und Wurzel fassen,
Bekleiben und keimen:   das Korn ging verloren,
Die liebe Feldfrucht.   Anderes fiel auf Land,
Edle Erde,   darauf begann es
Wonnig zu wachsen   und Wurzel zu fassen,
Warf lustig Loden,   denn das Land war gut,
Fängig und fähig.   Noch anderes fiel
Auf die starre Straße,   wo Stapfen gingen
Von der Hengste Hufschlag   und der Helden Schritt.
Wohl wuchs es im Wege,   doch weggenommen war es
Von des Volkes Füßen;   anderes lasen Vögel auf:
Der Eigner konnte   nichts ernten davon
Nach Wunsch und Willen,   was so auf den Weg fiel.
Einiges fiel dahin,   wo allzuviel
Dichter Dornen stand,   als das gesät ward:
In Erde kam es wohl   und ging auch auf,
Keimte und bekleibte;   aber die Kräuter dazwischen
Wehrten seinem Wachstum,   und ein Wald von Laub
Überfing es oben;   es konnte nicht Frucht bringen,
Der Dornen Dickicht   drängt' es zu sehr.«

Da saßen und schwiegen   die Gesellen Christs:
Die wortweisen Männer   wunderte sehr,
Mit welchen Bildern   Gottes Geborener
Seine wahrhaften Sprüche   zu sagen anhub.
Da begann ihn der Jünger   einer zu fragen,
Den holden Herrn,   sich hin vor ihm neigend
Gar würdiglich:   »Wahrlich, du hast Gewalt,
Heiliger Herr,   im Himmel wie auf Erden,
Dort oben wie hier unten   bist du der Allwalter
Über der Menschen Geister.   Wir, deine Jünger,
Sind dir hold von Herzen,   guter Herr und Meister!
Wenn es dein Wille ist,   so laß uns deine Worte
Auch zu Ende hören,   daß wir einst sie wie du
Verkünden können,   das erste Christenvolk.
Wir wissen, daß deinen Worten   wahrhafte Bilder
Zugrunde liegen,   drum ist uns große Not,
Daß wir deine Wort und Werke,   die von solcher Weisheit stammen,
Hier in diesem Lande   von dir erlernen.«

Da entgegnete gleich   der Guten bester,
Ihm antwortend:   »Nicht mein ich irgendwas
Geheimzuhalten   von meinen Handlungen,
Worten und Werken:   wissen sollt ihr alles,
Ihr meine Jünger,   weil euch gegeben hat
Der Walter dieser Welt,   daß ihr wohl erkennt
Das himmlische Geheimnis   in euern Herzen.
Den andern soll man in Bildern   die Gebote Gottes
Weisen und deuten.   Nun will ich euch wahrhaft,
Was ich meinte, melden,   damit ihr desto mehr
Über diesen Landen   all meine Lehre versteht.
Der Same, von dem ich sagte,   seht, das ist sein Wort,
Die heilige Lehre   des Himmelskönigs,
Die ihr melden sollt   über diesen Mittelkreis,
Weit über diese Welt.   Ihr wißt, wie ungleich
Der Menschen Gemüt ist:   mancher hegt solchen Mut,
Rauh ist sein Herz   und roh seine Seele,
Er würdigt wenig,   nach euern Worten zu tun,
Daß er meine Lehre   leisten wolle,
Sondern verloren gehen   meine Lehren all,
Gottes Gebote   und eure Worte, ihr Guten,
An dem übeln Mann;   wie ich euch eben sagte,
Daß das Korn verkam,   das nicht keimen mochte
Und über dem Steine   eine Stätte finden.
So sind all verloren   der Edeln Reden,
Gottes Sendung,   was man den schlechten Mann
Immer lehren mag,   da er zur linken Hand
Unter der Feinde Volk   die Fahrt erkiest,
Zu Gottes Unwillen   und übler Geister Jubel,
Wo ihn Feuer umfängt   und er ewig verfluchen wird
In seiner Brust Gedanken   die breite Lohe.
Doch laßt es nicht,   den Landen meine Lehre
Zu weisen deswegen.   Wären auch viele
Also Gesinnter auf Erden,   einen andern gibt es wieder,
Der ist jung und glau   und guten Gemüts,
In der Sprache weise:   der erspäht der Worte Sinn
Und hält ihn im Herzen,   hört mit den Ohren hin,
Genau nachsinnend,   und tritt euch näher
Und birgt in der Brust   die Gebote Gottes,
Lernt und leistet sie.   Ist sein Glaube so gut,
Er eifert, den andern   auch umzustimmen,
Den meintätigen Mann,   daß er im Gemüte trage
Herzliche Treue   zum Himmelskönig.
Dann breitet sich in seiner Brust   das Gebot Gottes,
Der liebreiche Glaube,   gleichwie im Lande tut
Das keimende Korn,   wo es bekleiben mag
Und der Grund ihm günstig ist   und des Wetters Gang,
Regen und Sonne,   daß ihm sein Recht geschieht.
So tut Gottes Lehre   an dem guten Mann
Bei Tag und Nacht:   ihm bleibt der Teufel fern
Und widrige Wichte;   aber die Wächter Gottes
Treten ihm näher   bei Tag und Nacht,
Bis sie ihn bringen dazu,   daß beides geschieht:
Die Lehre gereicht   den Leuten zum Heil,
Die von seinem Munde geht,   und der Mann wird Gottes.
So wechselt' er ein   in dieser weltlichen Zeit
Mit seines Herzens Gedanken   des Himmelreiches Anteil,
Die größte der Wonnen:   er fährt in Gottes Gewalt,
Der Laster ledig.   Treue lohnt
So gut und giebig,   kein Goldeshort
Gleicht solchem Glauben.   Seid mit euern Lehren
Den Menschen milde.   Mannigfach gesinnt
Ist der Helden Herz.   Mancher ist harten Muts,
Widrigen Willens   und wandelbar,
Der Falschheit voll   und der Frevelwerke.
Vielleicht bedünkt ihn,   wenn er im Gedränge steht
Und zwischen den Leuten   lauschend verkünden hört
Gottes Lehre, ihn dünkt,   daß er sie gerne
Nun leisten wolle:   so beginnt ihm die Lehre
Im Herzen zu haften,   bis ihm zuhand wieder kommt
Erwerb und Gewinn   und des Nachbarn Wohlstand.
Da verleiten bald   ihn leidige Wichte,
Daß er Goldbegier   sich umgarnen läßt,
Und sein Glauben erlischt.   Dann lohnt es ihm wenig,
Was er im Herzen hatte,   wenn er es nicht halten will.
Der ist wie das Gewächs,   das am Wege begann
Zu wachsen und zu wurzeln   und wieder zertreten ward.
So bewältigt der Sünde Macht   in des Mannes Herzen
Gottes heilige Lehre,   wenn er sie nicht hütet:
Dann fällt sie ihn nieder   in der Flammen Abgrund,
In die heiße Hölle,   wo er dem Himmelskönig
Fürder nicht frommen mag;   die Feinde sollen ihn
Da martern und strafen.   Seid milde mit Worten,
Im Lande zu lehren!   Ich kenne der Leute Sinn,
Den unsteten Mut   des Menschengeschlechts.
An Besitz hängt dem der Sinn:   er sorgt viel mehr,
Wie er ihn behalte,   als wie er des Himmelskönigs
Willen wirke:   drum mag nicht wachsen
Gottes heilig Gebot,   ob erst es haftete
Und wurzeln wollte;   die Weltgüter drängen es.
Gleichwie Kraut und Dorn   das Korn befangen,
Ihm das Wachstum wehren,   so der Wohlstand dem Mann.
Sein Herz haftet dran,   daß er nicht beherzigen mag
In seinem Mute, der Mann,   wes er zumeist bedarf,
Wie er das erwirke,   dieweil er in dieser Welt ist,
Daß er in ewigen Tagen   dereinstmals dürfe
Des Herren Gnade haben   und des Himmels Reich,
So endloses Wohlsein,   wie kein einziger Mann
In dieser Welt mag wissen.   Denn wie weit auch immer
In seinem Mute der Mann   gedenken möge,
So erfaßt es doch nicht   das forschende Herz,
Daß es in Wahrheit wisse,   was der waltende Gott
Gutes bereitet hat,   das all gegönnt wird
Der Menschen jeglichem,   der ihn hier minnet wohl
Und selber sorglich   seine Seele bewahrt,
Daß er an Gottes Licht   gelangen möge.«


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