Anonym
Der Heliand
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Der Jüngling zu Nain

                                                                  Der Heilige Christ begann
Nun weiterzuwandern.   Allmächtig erwies er
An der Tage jeglichem,   der gute Herr,
Den Leutekindern Liebes,   lehrte und wies
Gottes Willen den Guten,   hatte der Jünger viel
Zu Gefährten immerfort,   ein selig Volk Gottes,
Große Menge der Männer   aus mancherlei Stämmen,
Eine heilige Heerschar.   Er half gütig
Und milde den Menschen.   Mit der Menge kam er da,
Dem Haufen, Gottes Sohn,   zu der hohen Burg,
Gen Nain, der Nothelfer,   wo sein Name vor den Menschen
Sollte verherrlicht werden.   Da schritt der Herrschende zu,
Der Nothelfer Christ,   bis er ihr nahe kam,
Christ, der Erlöser.   Da sahen sie eine Leiche,
Einen leblosen Leib   von den Leuten getragen:
Auf der Bahre brachten sie   zum Burgtor hinaus
Einen kindjungen Mann.   Die Mutter ging dahinter
Im Herzen betrübt   und die Hände ringend,
Beklagte kummervoll   ihres Kindes Tod,
Die unselige Frau.   Es war ihr einziger Sohn;
Sie selber war Witwe,   der Wonne sonst entblößt.
Zu dem einzigen Sohn   versah sie allein
Der Wonne sich wieder:   der war ihr genommen nun
Durch des Mächtigen Ratschluß.   In der Menge folgte
Der Burgleute Gedräng,   wo man auf der Bahre trug
Zu Grabe den Jüngling.   Da ward ihr Gottes Sohn,
Der Mächtige, mild   und sprach der Mutter zu,
Wollte, daß vom Weinen   die Witwe ließe,
Von der Klage nach dem Kinde.   »Du sollst hier die Kraft schaun
In des Waltenden Wirken.   Nach Wunsche werde dir
Trost vor dem Volke.   Betrauern darfst du nicht mehr
Des Gebornen Leben.«   Zu der Bahre ging er da,
Berührte selber ihn,   der Sohn des Herrn,
Mit heiligen Händen,   und hub zu dem Jüngling an,
Hieß den alljungen   auferstehen,
Von der Rast sich errichten.   Und rasch erhob sich
Der Sohn auf der Bahre:   in die Brust war ihm gekehrt
Der Geist durch Gottes Kraft,   daß er entgegensprach
Verwandten und Freunden.   Da befahl ihn der Mutter wieder
Zu Händen der Heiland.   Das Herz war zur Wonne
Dem Weibe gewandt,   da ihr der Wunsch gewährt ward.
Zu Füßen fiel sie Christ,   den Herrn der Völker preisend
Und lobend vor den Leuten,   der zu des Lieben Leben
Ihr half vor der Macht des Geschicks.   Sie verstand, es sei der mächtige Herr,
Der heilige Himmelswalter,   der auch helfen mag
Allen Erdenvölkern.

                                      Da achteten manche
Des gewirkten Wunders:   der Waltende nahe, sagten sie,
Seinem Volk, der Himmelsfürst:   vorgesandt hab er so hehren
Wunderer in diese Welt,   der ihnen solche Wonne schüfe.

Da wurden der Edeln viel   mit Ängsten befangen,
Das Volk geriet in Furcht,   da er dem befahl zu leben
Und des Tages Licht zu schaun,   der den Tod schon gelernt,
Auf dem Siechbett verscheidend.   Gesund war er wieder,
Kindjung erquickt.   Das ward da kund überall
Israels Abkommen.

                                    Als der Abend kam,
Versammelten sich   alle siechen Männer,
Was irgend lebte   von Lahmen und Krummen,
Und leidender Leute:   die leitete man hin,
Daß sie zu Christo kamen,   und seine große Kraft
Heilte sie hilfreich   und ließ sie heimgehn gesund
Nach Wunsch und Willen.   Drum mag man seine Werke loben,
Verherrlichen seine Taten,   denn der Herr ist er selber,
Der mächtige Schutzherr   dem Menschengeschlecht,
Den Leuten allen,   die da glauben an ihn,
Seinen Worten und Werken.


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