Anonym
Der Heliand
Anonym

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Judas der Verräter

                                                                  Die Gesellen Christs
Erwachten bei den Worten:   da gewahrten sie Volk
Den Berg hinaufziehn   in brausendem Schwarm,
Wütige Waffenknechte.   Judas wies den Weg,
Der grimmgesinnte;   die Juden drangen nach
In feindlicher Volksschar.   Sie trugen Feuer bei sich,
In Lichtgefäßen flammend,   und führten Fackeln
Brennend aus der Burg,   da sie den Berg hinauf-
Stiegen zum Streit.   Die Stätte wußte Judas,
Wohin er die Leute   geleiten sollte;
Dazu noch zum Zeichen,   eh sie zogen, sagt' er
Dem Volk zum voraus,   daß die Knechte nicht fingen
Einen andern aus Irrtum:   »Ich gehe zuerst zu ihm
Und küß ihn kosend:   das ist Christ selber dann,
Den ihr fahen sollt   mit Volkeskraft
Auf dem Berg und binden   und zur Burg ihn von hinnen
Geleiten vor die Leute.   Er hat sein Leben
Verwirkt durch seine Worte.«   Die Gewaffneten eilten,
Bis sie zu Christo   gekommen waren,
Die grimmigen Juden,   wo er mit den Jüngern stand,
Der mächtige Herr,   der Gottesschickung harrend,
Der entscheidenden Zeit.   Da schritt ihm der treulose
Judas entgegen,   vor dem Gotteskinde
Mit dem Haupt sich neigend   und seinen Herren grüßend,
Küßte den Kräftigen,   mit diesem Kuß
Ihn den Gewaffneten weisend,   wie sein Wort verheißen.
Das trug in Geduld   der teure Herr,
Der Walter dieser Welt;   doch wandt er das Wort an ihn
Und fragt' ihn frank:   »Was kommst du mit diesem Volk,
Leitest die Leute her?   Du hast mich den Leidigen
Verkauft mit deinem Kusse,   den Kindern der Juden
Verraten dieser Rotte.«   Dann rief er die Männer an,
Die andern Gewaffneten,   und fragte, wen sie
Mit solchem Gesinde   zu suchen kämen
Bei Nacht und Nebel,   als gedächten sie Not
Irgendwem zu schaffen.   Da sprach die Waffenschar,
Man habe den Heiland   auf der Höhe des Berges
Ihnen angezeigt,   der da Zwietracht stifte
Unter den Judenleuten   und sich Gottes Sohn
Selber heiße:   »Den kommen wir suchen
Und griffen ihn gerne.   Von Galiläaland ist er,
Von Nazarethburg.«

                                    Als nun der Nothelfer Christ
Ohne Säumen sagte,   er selber sei es,
Da ward von Furcht befallen   das Volk der Juden,
So eingeschüchtert,   daß sie hinunterliefen,
Eilends die ebene   Erde zu suchen.
Die Gewaffneten wußten   dem Worte Gottes nicht,
Seiner Stimme zu stehen,   ob streitbare Männer.
Doch wieder aufwärts stiegen sie,   stärkten ihr Herz,
Faßten frischen Mut,   und voller Bosheit
Gingen sie hastig näher,   bis sie den Nothelfer Christ
Mit Waffengewalt umgaben.   Die weisen Männer standen
In großem Kummer,   die Jünger Christs,
Umher bei der heillosen Tat   und riefen dem Herren zu:
»Wär es dein Wille nun,   waltender Fürst,
Daß sie an der Speere Spitzen   uns spießen sollten,
Mit Waffen verwunden,   dann wär uns nichts so gut,
Als standhaft im Streit   für den Herrn zu sterben,
Im Kampf zu erbleichen.«   Da erboste sich
Der schnelle Schwertdegen   Simon Petrus:
Ihm wallte wild der Mut,   kein Wort mocht er sprechen,
So härmt' es ihn im Herzen,   als sie den Herrn ihm da
Zu greifen begehrten.   Ingrimmig ging
Der dreiste Degen   vor den Dienstherrn stehn,
Hart vor seinen Herren.   Sein Herz war entschieden,
Nicht blöd in der Brust.   Blitzschnell zog er
Das Schwert von der Seite   und schlug und traf
Den vordersten Feind   mit voller Kraft,
Davon Malchus ward   durch des Messers Schärfe
An der rechten Seite   mit dem Schwert gezeichnet,
Am Gehör verhauen:   das Haupt war ihm wund,
Daß ihm waffenblutig   Backen und Ohr
Barst im Gebein   und das Blut nachsprang,
Aus der Wunde wallend.   Als die Wange schartig war
Dem vordersten Feinde,   wich das Volk zurück,
Den Schwertbiß scheuend.

                                                Da sprach der Sohn des Herrn
Zu Simon Petrus:   »Dein Schwert stecke,
Das scharfe, in die Scheide.   Wollt ich vor dieser Schar
Wider Gewaffnete   mit Waffen kämpfen,
Dann möcht ich den mächtigen   Gott wohl mahnen,
Den heiligen Vater   im Himmelreiche,
Daß er so manchen Engel   von oben sendete,
Des Kampfs so kundigen,   es könnten diese Männer
Sie im Streit nicht bestehn:   stünde des Volkes auch hier
Noch so mächtige Menge,   doch möcht ihr Leben
Bewahrt nicht werden.   Aber der waltende Gott
Hat es anders geordnet,   der allmächtige Vater:
Wir sollen alles dulden,   was dieses Volk uns
Bitteres bringt.   Wir sollen uns nicht erbosen,
Nicht wider sie wehren,   denn wer da Waffenstreit,
Grimmen Gerkampf   gerne üben mag,
Der soll von des Schwertes   Schärfen umkommen,
Traurigen Tod sterben.   Unser Tun soll
Dem Waltenden nicht wehren.«

                                                        Da ging er zu dem Wunden,
Leitete Leib   zu Leibe weise
An seines Hauptes Wunde,   daß heil sofort war
Des Schwertes Biß.   Dann sprach der Geborne Gottes
Zu der wütigen Waffenschar:   »Wunder nimmt mich,
Wenn euch gelüstete,   mir Leides zu tun,
Was fingt ihr mich nicht früher,   wenn ich unter dem Volk
Im Weihtum war   und manch wahres Wort
Den Sinnigen sagte?   Da schien die Sonne,
Das teure Tageslicht:   doch tatet ihr mir nie
Ein Leid bei dem Lichte.   Und nun leitet ihr die Leute
In düstrer Nacht zu mir,   wie man dem Diebe tut,
Den man fahen will,   weil er verfallen ist
Dem Tod, der Übeltäter.«

                                              Der Troß der Juden
Griff da den Gottessohn,   die grimme Rotte,
Der haßvolle Haufen.   Hart umdrängten ihn
Scharen schonungslos:   sie scheuten die Meintat nicht.
Sie hefteten die Hände   ihm mit harten Banden,
Die Arme mit Armschellen.   Ihm war solche Angstqual
Nicht zu dulden not,   nicht ertragen
Mußt er solche Marter:   für die Menschen tat er's,
Erlösen wollt er   der Leute Kinder,
Aus der Hölle heben   in das Himmelreich,
In das weite Wohl.   Darum wehrt' er nicht ab,
Was ihr arger Wille   ihm antun wollte.
Da ward gar verwegen   die jüdische Waffenschar,
Gar hochmütig der Haufen,   daß sie den Heiligen Christ
In Gliederbanden   leiten durften,
Gefesselt führen.

                                Die Feinde eilten nun
Von dem Berge zur Burg.   Der Geborne Gottes
Ging unter der Heerschar,   die Hände gebunden,
Betrübt zu Tal.   Ihm waren die teuern
Freunde geflohen,   wie er früher gesagt.
Blöde Furcht war's nicht bloß,   daß sie den Gebornen Gottes,
Den lieben, verließen:   lange zuvor schon war's
Der Wahrsager Wort,   daß es so werden würde:
Drum mochten sie's nicht meiden.   Hinter der Menge
Gingen Johannes und Petrus:   die guten beide
Folgten von ferne,   zu erfahren begierig,
Was die grimmen Juden   dem Gotteskinde wollten,
Ihrem Herren, antun.


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