Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLIII.

Bei Anbruch des folgenden Tages machte sich die Karawane auf den Weg. Der junge Neger war heiter, die kleine Despotin sanft und folgsam und Staß voll Energie und Hoffnung. Hundert Samburu und hundert Wa-hima gingen mit, von denen vierzig mit Remingtongewehren versehen waren, aus denen sie leidlich schießen konnten. Der weiße Führer, der sie drei Wochen lang unterrichtet hatte, wußte zwar, daß sie gegebenenfalls mehr Lärm als Schaden anrichten würden, aber er wußte auch, daß in einem Treffen mit Wilden der Lärm eine ebenso große Rolle spielt wie die Kugel, und war daher froh über seine Truppe. Man hatte große Vorräte an Maniok und Fladen, die aus sorgfältig zu Mehl geriebenen großen, fetten und weißen Ameisen hergestellt waren, mitgenommen und auch sehr viel geräuchertes Fleisch. Es waren auch zehn bis fünfzehn Frauen mitgegangen, die viele nützliche Dinge für Nel und Wassersäcke aus Antilopenfellen trugen. Staß wachte von dem hohen Sitz auf Kings Rücken aus über die Ordnung im Zuge; er gab Befehle, vielleicht weniger, weil sie nötig waren, als weil ihn die Rolle eines Anführers berauschte, und mit Stolz blickte er auf seine Armee herab.

»Wenn ich wollte,« sagte er bei sich, »so könnte ich König sein über alle Dokovölker, – ebenso wie Beniowski in Madagaskar.« – Und es schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, ob es nicht gut wäre, später hierher zurückzukehren, sich ein gut Stück Land zu unterwerfen, die Neger zu zivilisieren und hier ein neues Polenreich zu gründen oder sogar an der Spitze gut einexerzierter schwarzer Scharen nach dem alten Polenlande aufzubrechen. Aber er fühlte doch ein wenig das Lächerliche, das in dieser Idee lag, heraus, und er zweifelte auch, ob ihm sein Vater erlauben würde, die Rolle Alexanders von Mazedonien in Afrika zu spielen. Er teilte deshalb seine Pläne auch nicht erst Nel mit, die gewiß die einzige Person in der Welt gewesen wäre, die ihm Beifall gespendet hätte. Vor allen Dingen mußte er, bevor er daran denken konnte, diese Gegenden Afrikas zu unterwerfen, zunächst mal erst aus ihnen herauskommen. Daher beschäftigte er sich fürs erste doch lieber mit dieser wichtigen Aufgabe.

Die Karawane zog in einer langen Reihe langsam ihres Weges dahin. Staß beschloß, um alles besser übersehen zu können, an ihrem Ende auf Kings Nacken zu reiten. Als nun die Leute alle der Reihe nach an ihm vorbeigingen, bemerkte er nicht ohne Erstaunen, daß zwei Zauberer, M'Kunje und M'Pua, dieselben, die Kali verprügelt hatte, mit zu der Karawane gehörten. Sie trugen gleich den anderen Gepäckstücke auf ihren Köpfen, schienen also mit auf die Reise gehen zu wollen.

Staß hielt sie an und fragte:

»Wer hat euch geheißen, mitzugehen?«

»Der König«, antworteten beide, sich demütig verneigend.

Aber ihre Augen blitzten so wild, und auf ihren Gesichtern lag so viel Haß und Niedertracht, daß Staß wohl sah, daß ihre Demut nur eine angenommene Maske war, und seine erste Regung war daher, diese Leute zurückzuschicken. Er tat es jedoch nicht, um das Ansehen Kalis nicht zu untergraben.

Er rief Kali sogleich zu sich heran.

»Hast du den Zauberern befohlen, mit uns zu gehen?« fragte er.

»Kali befohlen, weil Kali klug ist.«

»Dann frage ich dich, warum hat deine Klugheit sie nicht lieber zu Hause gelassen?«

»Wenn M'Kunje und M'Pua zu Hause bleiben, dann beide die Wa-hima bereden würden, daß Wa-hima Kali nach der Rückkehr töten sollen. Aber wenn sie mit uns gehen, Kali auf sie achtgeben und aufpassen kann.«

Staß sann nach und sagte:

»Vielleicht hast du recht, doch laß sie bei Tag und Nacht nicht aus deinen Augen; denn die Schlechtigkeit sieht aus ihren Gesichtern.«

»Kali hat Bambus«, antwortete der junge Neger.

Die Karawane zog weiter. Staß hatte noch zu guter Letzt befohlen, daß die mit Remingtongewehren ausgerüstete Garde den Zug beschließen sollte, da dies lauter von ihm ausgewählte und sichere Leute waren, die während ihrer Ausbildungszeit im Schießen, die ziemlich lange gedauert hatte, ein gewisses Anhänglichkeitsgefühl zu ihrem jungen Führer gefaßt hatten. Auch hielten sie sich für etwas Besseres als die anderen, da sie für würdig befunden waren, seiner Person am nächsten zu stehen. Jetzt sollten sie die ganze Karawane bewachen und diejenigen, die Lust zum Ausreißen bekamen, wieder ergreifen; denn es war anzunehmen, daß es bei Beginn von Gefahren und Entbehrungen nicht an Flüchtlingen fehlen würde.

Am ersten Tage ging alles aufs beste. Die Neger mit den Lasten auf den Köpfen, jeder mit einer Lanze und einigen kleinen Wurfspießen, den sogenannten Assagaien, bewaffnet, gingen in einer langen Schlangenlinie durch das Dschungel. Eine Zeitlang durchzog man am Südufer des Sees eine flache Ebene, dann mußte man, da der See von allen Seiten mit hohen Bergen umgeben war, diese ersteigen, um nach Osten abzubiegen. Einige ältere Samburu, die die Gegend gut kannten, behaupteten, daß man zwischen den Bergen hohe Gebirgspässe überschreiten müsse, die sie Kullal und Inro nannten, und daß man dann in die Gegend von »Ebene« komme, die südlich von Borani liegt. Staß wußte, daß man nicht geradeswegs nach Osten gehen könne, denn er dachte daran, daß Mombassa einige Grade unter dem Äquator liegt, also bedeutend südlicher als der unbekannte See. Da er ja einige von Linde geerbte Kompasse mit sich führte, so fürchtete er nicht, vom rechten Wege abzuirren.

Das erste Nachtlager hielten sie auf einer Waldhöhe. Sogleich beim Eintritt der Dunkelheit entflammten ungefähr zehn Lagerfeuer, in dem die Neger ihr getrocknetes Fleisch brieten, wozu sie eine Art Teig aus Maniokwurzeln aßen, den sie mit den Händen aus einem Gefäß holten. Nachdem sie Hunger und Durst gestillt hatten, erzählten sich die Neger, wohin der »Bwana Kubwa« sie führte, und was er ihnen zum Lohn versprochen hatte. Einige sangen, indem sie sich zusammengekauert am Feuer wärmten, alle aber unterhielten sich so lange und so laut miteinander, daß Staß schließlich Ruhe gebieten mußte, damit Nel einschlafen konnte.

Die Nacht war sehr kalt; als jedoch am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen die Gegend beleuchteten, wurde die Luft sofort warm. Beim Sonnenaufgang bot sich den kleinen Reisenden ein seltsames Schauspiel. Sie näherten sich gerade einem kleinen See, der ungefähr zwei Kilometer lang war und eher einer großen Wasserlache glich, die sich durch Regengüsse in einem Bergtal gebildet hatte, als Staß, der mit Nel zusammen auf King saß und sich die Gegend durch ein Fernrohr ansah, plötzlich rief:

»Sieh, Nel, Elefanten, die zur Tränke gehen!«

Und wirklich, einen halben Kilometer von ihnen entfernt war eine kleine Elefantenherde zu sehen, die aus fünf Tieren bestand, die sich eines hinter dem anderen langsam dem See näherten.

»Das sind merkwürdige Elefanten«, sagte Staß, der sie unverwandt mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. »Sie sind kleiner als King, und ich sehe überhaupt keine Hauer.«

Inzwischen hatten die Elefanten den See erreicht, aber sie blieben nicht am Ufer stehen, wie King es für gewöhnlich tat, sie begossen sich auch nicht mit ihrem Rüssel, sondern sie gingen immer weiter und tauchten immer tiefer im See unter, so daß zuletzt nur noch ihr dunkler Rücken wie ein Felsblock aus dem Wasserspiegel hervorragte.

»Was ist denn das? Sie tauchen unter!« rief Staß.

Die Karawane hatte sich inzwischen auch dem Ufer genähert und hielt schließlich am See an. Staß sah mit höchstem Erstaunen bald Nel, bald den See an.

Von den Elefanten war oberhalb des Wassers nichts mehr zu sehen. Nur auf der Oberfläche sah man sogar mit bloßem Auge fünf runde, rote Blumen schwimmen, die zuweilen etwas hervorragten und in leichten Bewegungen hin und her schwankten.

»Sie stehen auf dem Grund des Sees, und das sind ihre Rüsselenden«, sprach Staß, der noch immer nicht so recht seinen eigenen Augen traute.

Dann rief er Kali zu sich.

»Kali, hast du gesehen?«

»Ja, Herr, es sind Wasserelefanten Afrika besitzt noch viel unerforschte Geheimnisse. Gerüchte von Wasserelefanten drangen vor langer Zeit schon zu den Ohren der Reisenden, aber niemand wollte daran glauben. In der letzten Zeit sandte das Museum für Naturkunde in Paris Herrn »Le Petit« aus, der Wasserelefanten im Kongo am Ufer des Leopoldsees erblickte. (S. deutsche Zeitschrift »Kosmos« Nr. 6.)!« antwortete der junge Neger ruhig.

»Wasserelefanten?«

»Kali hat mehr als einmal welche gesehen.«

»Und sie leben im Wasser?«

»Des Nachts kommen sie heraus und weiden im Dschungel, am Tage halten sie sich im Wasser auf wie die Nilpferde. Sie kommen erst nach Sonnenuntergang wieder heraus.«

Staß kam gar nicht aus dem Staunen heraus, und wenn es ihm nicht um die Zeit zu tun gewesen wäre, so hätte er sich gern bis zum Abend am See aufgehalten, um diese sonderbaren Tiere zu beobachten. Aber er bedachte auch, daß die Elefanten ebensogut am gegenüberliegenden Ende des Sees wieder herauskommen konnten, und daß man sie in der Dunkelheit, selbst wenn sie näher auftauchten, doch schlecht sehen würde.

Darum gab er das Zeichen zur Weiterreise. Unterwegs sprach er zu Nel:

»Jetzt haben wir etwas gesehen, was noch kein Europäer bisher gesehen hat. Weißt du, was ich meine, – wenn wir glücklich den Ozean erreicht haben, so wird uns dort niemand glauben, wenn wir erzählen, daß es in Afrika Wasserelefanten gibt.«

»Wenn du aber einen fängst und mit zum Ozean nimmst?« fragte Nel, ganz davon überzeugt, daß Staß alles fertigbrächte.


 << zurück weiter >>