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XI.

Es verging ein Tag, eine Nacht und wieder ein Tag. Unaufhaltsam reisten sie gen Süden, sie machten nur kurze Rast in den Khoren, um die Kamele nicht zu sehr zu erschöpfen, sie zu tränken und zu füttern und zugleich Lebensmittel und Wasser untereinander zu verteilen. Aus Furcht vor Verfolgung wandten sie sich auf ihrem Wege noch mehr nach Westen, da sie für eine gewisse Zeit nicht für Wasser zu sorgen brauchten. Zwar hatte der Regen nicht länger als sieben Stunden gewährt, aber er war in Strömen geflossen, einem Wolkenbruche gleich. Daher wußten sowohl Idrys und Gebhr als auch die Beduinen, daß sie auf dem Grunde der Khoren und in den Felsenbecken genügend Wasser für mehrere Tage finden würden, ja sogar so viel, daß sie noch einen Vorrat mitnehmen konnten. Wie gewöhnlich, stellte sich nach dem großen Regenguß gutes Wetter ein. Kein noch so kleines Wölkchen zeigte sich am Himmel, und die Luft war so durchsichtig, daß der Blick in unbegrenzte Fernen schweifen konnte. In der Nacht funkelte und flimmerte der mit Sternen wie mit Tausenden von Diamanten übersäte Himmel, und der Sand der Wüste strömte eine erfrischende Kühle aus.

Die Höcker der Kamele waren schon kleiner geworden, aber noch waren die gut ernährten Tiere einem arabischen Ausdrucke nach durchweg »frech«; ihre Kräfte hatten nicht abgenommen; sie liefen noch so willig, daß die Karawane kaum langsamer vorwärts kam als am ersten Tage nach dem Aufbruch von Gharak-el-Sultani.

Staß bemerkte zu seinem Erstaunen, daß die Beduinen in einigen Khoren in vom Regen geschützten Felsspalten Vorräte von Durra und Datteln fanden. Er schloß daraus, daß vor ihrer Entführung schon gewisse Vorbereitungen getroffen worden waren, und daß alles im voraus zwischen Fatima, Idrys und Gebhr auf der einen und den Beduinen aus der anderen Seite verabredet gewesen war. Es war auch nicht schwer, in den beiden Beduinen Anhänger und Bekenner des Mahdi zu erkennen, die sich ihm anschließen wollten und sich daher leicht in die Verschwörung der Sudanesen hineinziehen ließen. In der Umgegend von Fayum und Gharak-el-Sultani gab es viele Beduinen, die mit ihren Kindern und Kamelen in der Wüste umherzogen und nach Medinet oder den Eisenbahnstationen kamen, um Geld zu verdienen. Diese zwei aber hatte Staß niemals zuvor gesehen, und sie waren wahrscheinlich auch nie in Medinet gewesen, weil, wie es sich gezeigt hatte, sie Sabà nicht kannten. Der Knabe erwog schon den Gedanken, einen Versuch zu machen, sie zu bestechen; aber als er sich ihrer begeisterten Rufe erinnerte, sobald man den Namen des Mahdi erwähnte, verwarf er diesen Plan als unmöglich. Gleichwohl verhielt er sich den Ereignissen gegenüber auch in der Folge nicht passiv und gab seine Rettungspläne nicht auf; denn in dieser Knabenseele steckte wahrlich eine erstaunliche Energie, die durch die bisher mißlungenen Versuche nur noch mehr angefeuert worden war. »Alles, was ich bis jetzt unternommen,« dachte er bei sich, »hat mit Prügel geendet. Aber mag man mich täglich mit der Karbatsche schlagen, mag man mich sogar totschlagen, ich werde nicht aufhören, daran zu denken, wie ich Nel und mich aus den Händen dieser Halunken befreien kann. – Werden die Verfolger sie abfangen, um so besser, ich aber werde stets so handeln, als ob ich darauf keine Hoffnung mehr setzte.« Und bei der Erinnerung an das, was ihm geschehen, bei dem Gedanken an diese verräterischen und grausamen Menschen, die, nachdem sie ihm die Flinte entrissen, ihn mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten hatten, wallte das Herz in ihm auf, und der Ingrimm wuchs. Er fühlte sich nicht nur besiegt, sondern auch in seinem Stolz als Weißer gedemütigt. Am tiefsten empfand er das Unrecht an Nel, und dieses Gefühl, zugleich mit der Bitterkeit, die in ihm nach dem Mißlingen des letzten Fluchtversuches aufwuchs, verwandelte sich in einen unversöhnlichen Haß gegen die beiden Sudanesen. Freilich hatte er mehr als einmal vom Vater gehört, daß der Haß blind macht, und daß nur solche Seelen sich ihm hingeben, die zu nichts Besserem fähig sind; aber in diesem Falle konnte er sich nicht beherrschen und sein Gefühl nicht verbergen.

Er machte so wenig ein Hehl daraus, daß Idrys es bemerkte. Und der Sudanese begann sich darüber zu beunruhigen, denn er verstand, daß er jetzt im Falle des Abgefaßtwerdens nicht mehr auf eine Fürsprache des Knaben rechnen könnte. Idrys war jederzeit zu den kühnsten Handlungen bereit, aber als Mann von Verstand begriff er, daß man auch vorausdenken und sich stets für den Fall eines Unglückes ein offenes Rettungspförtchen halten müsse. Deshalb beschloß er auch, nach dem letzten Vorfall sich wieder mit Staß irgendwie zu versöhnen, und bei der ersten Rast begann er mit ihm folgende Unterhaltung:

»Nach all dem, was du zu tun beabsichtigt hast,« sagte er, »blieb mir nichts anderes übrig, als dich zu bestrafen, sonst würden die anderen dich erschlagen haben; aber ich habe dem Beduinen geboten, dich nicht zu stark zu schlagen.«

Und als er keine Antwort erhielt, fuhr er nach einiger Zeit fort:

»Höre mal, du selbst sagtest mir ja, daß die Weißen immer ihre Versprechungen halten. Wenn du mir bei deinem Gott und bei dem Haupte der kleinen ›Bint‹ versprichst, nichts gegen uns zu unternehmen, so werde ich dich zur Nacht nicht mehr fesseln lassen.«

Staß entgegnete auch darauf kein Wort; nur aus dem Funkeln seiner Augen erkannte Idrys, daß er vergebens sprach.

Dennoch ließ Idrys den Knaben trotz des Widerspruchs Gebhrs und der Beduinen zur Nacht nicht binden. Und als Gebhr immer noch darauf bestand, entgegnete er ihm zornig:

»Anstatt schlafen zu gehen, wirst du heute nacht Wache halten. Wir wollen es uns von nun ab zur Regel machen, daß einer von uns immer Wache hält, während die anderen schlafen.«

Und in der Tat wurde von jetzt ab wechselweise Nachtwache gehalten. Das erschwerte und hinderte natürlich im hohen Grade sämtliche Pläne Staß', auf den jeder Wächter seine ganz besondere Aufmerksamkeit richtete.

Dagegen gewährte man den Kindern wieder eine größere Freiheit, so daß sie mehr beieinander sein und ungestört sprechen konnten.

Gleich bei der ersten Rast setzte sich Staß zu Nel, weil er ihr gern für ihre Hilfe danken wollte. Aber obwohl er ihr sehr dankbar war, vermochte er nicht, ihr dies in hochtrabenden und zärtlichen Worten auszudrücken. Daher begann er ihr beide Händchen zu schütteln.

»Nel,« sagte er, »du bist sehr gut, und ich danke dir. – Und ich muß es offen sagen, daß du mindestens wie eine dreizehnjährige Person gehandelt hast.«

Aus Staß' Mund waren solche Worte das höchste Lob, daher füllte sich das Herz des kleinen Mädchens mit Freude und Stolz. In diesem Augenblick schien es ihr, daß es für sie nichts Unmögliches gäbe.

»Wenn ich erst ganz erwachsen sein werde, so sollen sie sehen«, entgegnete sie, einen kampflustigen Blick auf die Sudanesen werfend.

Da sie aber noch nicht wußte, um was es sich gehandelt und warum sich die Araber alle auf Staß gestürzt hatten, so begann der Knabe ihr zu erzählen, wie er beschlossen hatte, die Flinte zu stehlen, die Kamele zu töten und so alle zur Umkehr zu zwingen.

»Wenn dies mir gelungen wäre,« schloß er, »so wären wir heute schon frei.«

»Aber sie erwachten?« fragte das kleine Mädchen pochenden Herzens.

»Ja, sie erwachten. Sabà hat schuld daran. Er kam angerannt und begann so zu bellen, daß auch ein Toter aufgewacht wäre.«

Sofort wandte sich Nels Empörung gegen Sabà.

»Garstiger Sabà! Böser Sabà! Aber ich werde dafür mit ihm, sobald er jetzt ankommt, kein einziges Wort sprechen. Ich werde ihm sagen, daß er abscheulich ist!«

Dazu lächelte Staß, obwohl ihm nicht gerade zum Lachen zumute war, und er fragte:

»Wie willst du zu gleicher Zeit mit ihm kein Wort sprechen und ihm dennoch sagen, daß er abscheulich ist?«

Auf Nels Gesicht spiegelte sich Verlegenheit wider, sie zog die Augenbrauen hoch und antwortete:

»Das wird er aus meinem Gesicht sehen.«

»Mag sein; aber er ist unschuldig, denn er konnte nicht wissen, was vorging. Bedenke auch, daß er nachher zu unserer Rettung kam.«

Diese Erinnerung besänftigte ein wenig Nels Zorn. Sie wollte jedoch nicht sofort dem Sünder Verzeihung gewähren.

»Das ist schon recht,« sagte sie, »aber ein wirklicher Gentleman darf nicht bei der Begrüßung bellen.«

Staß lächelte wieder.

»Ein wirklicher Gentleman bellt auch nicht beim Abschied, er sei denn ein Hund, und Sabà ist doch einer.«

Nach einiger Zeit trübten sich die Augen des Knaben; er seufzte einmal und noch einmal, stand dann von dem Stein auf, auf dem sie gesessen und sagte:

»Das schlimmste ist, daß ich dich nicht befreien konnte.«

Und Nel stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang ihre Arme um seinen Hals und wollte ihn trösten. Sie wollte ihm ganz nahe, mit dem Näschen an seinem Gesicht Dank zuflüstern, aber sie fand die rechten Worte nicht, und indem sie ihn fest an sich preßte, küßte sie sein Ohr.

Inzwischen war Sabà angekommen, der immer zurückblieb, nicht, weil er mit den Kamelen nicht Schritt halten konnte, sondern weil er unterwegs auf Schakale Jagd machte oder auf den Felsen fitzende Geier anbellte. Mit dem üblichen Freudengebell begrüßte er die Kinder, die bei seinem Anblick alles vergaßen und trotz ihrer traurigen Lage mit ihm zu spielen begannen, bis die Araber sie dabei störten. Chamis gab dem Hund Futter und Wasser, dann bestiegen alle wieder die Kamele, und fort ging's im Fluge weiter gen Süden.


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