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XXVII.

Der Baum hatte zwei Öffnungen: eine große, die einen halben Meter über der Erde lag, und eine kleinere, die ungefähr so hoch vom Boden entfernt war, wie die erste Etage der Stadthäuser zu liegen pflegt. Kaum hatte Mea in die untere Öffnung einen brennenden, rauchenden Zweig hineingeworfen, als aus der oberen Öffnung sogleich große Fledermäuse herauszufliegen begannen. Von dem Sonnenschein geblendet, flogen sie quietschend wie wahnsinnig um den Baum herum. Nach einiger Zeit schoß wie ein Blitz aus der unteren Öffnung der wahre Besitzer des Baumes, eine Riesenboa, hervor, die wohl im Halbschlafe die Reste der letzten Mahlzeit verdaute, und erst, als der Rauch ihr in die Nüstern drang, erwacht war und an ihre Rettung dachte. Beim Anblick dieses stählernen, ungeschlachten, einer Riesenfeder gleichenden Körpers, der aus dem Maul des Baumes heraussprang, nahm Staß eiligst Nel auf den Arm und flüchtete mit ihr nach dem Dschungel zu. Aber das kriechende Reptil, selbst entsetzt, dachte gar nicht daran, sie zu verfolgen. Es schlängelte sich durch das Gras und durch die hingelegten Gepäckstücke und floh mit ungeheurer Geschwindigkeit der Schlucht zu, in der Absicht, sich in den Felsenspalten und Rissen zu verbergen.

Die Kinder beruhigten sich. Staß stellte selbst Nel auf den Boden, sprang nach der Flinte und eilte dann der Schlange nach. Aber kaum hatte er einige Schritte getan, so bot sich den Kindern ein so ungewöhnlicher Anblick, daß sie beide wie angewurzelt stehenblieben.

Hoch über der Schlucht tauchte für einen Augenblick der Körper der Schlange auf; er beschrieb in der Luft eine Zickzacklinie und verschwand dann wieder nach unten. Einige Zeit darauf sah man ihn wieder oberhalb der Schlucht, bis er von neuem herunterfiel.

Die Kinder eilten zum Rande der Schlucht und sahen mit Staunen, daß sich ihr neuer Freund auf diese Weise mit der Schlange vergnügte. Nachdem er sie diese zweifache Luftreise hatte machen lassen, zerstampfte er jetzt sorgfältig ihren Kopf mit seinen riesigen, klotzartigen Beinen. Als er mit dieser Operation fertig war, hob er mit dem Rüssel den noch zuckenden Körper wieder hoch, warf ihn aber diesmal nicht in die Höhe, sondern in den Wasserfall. Dann wandte er, von einem Fuß auf den anderen tretend und mit den Ohren fächelnd, seinen Blick auf Nel und streckte ihr schließlich den Rüssel entgegen, als wenn er sie an eine Belohnung für seine heldenhafte und zugleich kluge Tat mahnen wollte.

Nel lief sogleich in das Zelt, kehrte mit geschürztem Kleiderröckchen, das sie mit wilden Feigen gefüllt hatte, zurück und begann, ihm mehrere auf einmal hinzuwerfen. Der Elefant suchte sie sorgfältig vom Grase auf und ließ eine nach der anderen im Maule verschwinden. Diejenigen, die in tiefere Spalten gefallen waren, blies er mit seinem Rüssel mit solcher Kraft heraus, daß mit ihnen zugleich auch faustgroße Steine emporflogen. Die Kinder begleiteten diese Vorstellung durch Klatschen und Lachen. Nel kehrte mehrere Male mit neuen Vorräten zurück und vergaß niemals zu wiederholen, daß er schon völlig zahm wäre, und daß sie schon in diesem Augenblick zu ihm hinuntergehen könnten.

»Siehst du, Staßchen, nun werden wir einen Beschützer haben! – – Denn der Elefant fürchtet keinen in der Wüste, weder den Löwen noch die Schlange noch das Krokodil. Und er ist sehr gut – und liebt uns ganz gewiß!«

»Wenn er sich an uns gewöhnt hat,« sagte Staß, »und wenn ich dich unter seiner Obhut lassen kann, so werde ich tatsächlich in aller Ruhe auf die Jagd gehen, denn einen besseren Beschützer könnte ich für dich in ganz Afrika nicht finden.«

Nach einiger Zeit fügte er hinzu:

»Die hiesigen Elefanten sind zwar wilder, aber ich habe gelesen, daß die asiatischen Elefanten z. B. eine sonderbare Schwäche für Kinder haben. Niemals ist es je in Indien vorgekommen, daß ein Elefant einem Kinde etwas zuleide getan hätte. Und wenn er wütend wird, was manchmal vorkommt, so pflegen die einheimischen Elefantenführer zu seiner Beruhigung Kinder hinzuschicken.«

»Siehst du! Siehst du!«

»Auf alle Fälle hast du gut getan, daß du mich den Elefanten nicht töten ließest.«

Hier erglänzten Nels Augen vor Freude wie zwei grünliche Lichter. Sie hob sich auf ihre Zehenspitzen, legte beide Arme auf Staß' Schultern, bog seinen Kopf nach hinten und fragte ihn, indem sie in seine Augen blickte:

»Ich habe gehandelt, als wenn ich wie alt wäre? Sag! Wie alt wäre?«

Und er entgegnete:

»Na, mindestens siebzig.«

»Du scherzest immer!«

»Sei nur böse, sei böse! – Und wer wird den Elefanten befreien?«

Bei diesen Worten schmiegte sie sich wie ein kleines Kätzchen an Staß und schmeichelte:

»Du, du – –! Und ich werde dich dafür sehr lieb haben und er auch.«

»Ich denke schon immer daran,« sagte Staß, »aber es wird ein schweres Stück Arbeit sein, und ich werde es erst tun, wenn wir zur Weiterreise aufbrechen.«

»Warum denn?«

»Weil, wenn wir ihn befreien würden, bevor er sich völlig an uns gewöhnt hat und anhänglich geworden ist, er sofort seine Freiheit dazu benutzen würde, um auszureißen.«

»Oh! Er wird nicht fortgehen von mir!«

»Du denkst wohl, daß er auch schon so ist wie ich«, antwortete Staß ein wenig ungeduldig.

Die weitere Unterhaltung wurde durch Kali gestört, der soeben zurückkam und das erlegte Zebra nebst seinem Jungen brachte, das Sabà erwürgt hatte.

Es war ein glücklicher Zufall gewesen, daß Sabà nachgelaufen und bei dem Vorfall mit der Boa nicht zugegen gewesen war. Denn er hätte sie sicherlich zu verfolgen versucht und wäre, wenn er sie eingeholt, ihren mörderischen Umwindungen erlegen, bevor Staß zu seiner Rettung hätte herbeieilen können. Dafür, daß Sabà das junge Zebra erwürgt hatte, nahm Nel ihn bei den Ohren, aber er nahm es sich nicht sehr zu Herzen, denn er zog nicht einmal die Zunge ein, die ihm von der Jagd her noch heraushing.

Staß erklärte inzwischen Kali, daß er beabsichtige, im Baum eine Wohnung einzurichten, und er erzählte ihm, was sich beim Ausräuchern des Baumes ereignet hatte, und wie der Elefant mit der Schlange fertig geworden war.

Der Gedanke, im Baobab zu wohnen, der nicht nur vor dem Regen, sondern auch vor Überfällen wilder Tiere schützte, gefiel dem Neger sehr. Dagegen fand die Handlungsweise des Elefanten durchaus nicht seinen Beifall.

»Elefant dumm,« sagte er, »werfen die Nioka (Schlange) in das tosende Wasser; aber Kali weiß, daß Nioka gut schmeckt, daher wird Kali sie in dem tosenden Wasser finden und braten. – Denn Kali sein klug und Donkey.«

»Donkey, das bist du, ganz recht,« entgegnete Staß, »aber du wirst die Schlange nicht essen.«

»Nioka gut!« wiederholte Kali.

Und auf das getötete Zebra zeigend, fügte er hinzu:

»Besser als diese Nyama.«

Nun begaben sich beide zu dem Baobab und fingen mit der Einrichtung der Wohnung an. Kali fand am Flusse einen flachen Stein von dem Umfang eines großen Siebes. Den legte er in den Stamm hinein, schüttete immer von neuem glühende Kohlen auf ihn und achtete darauf, daß der Moder im Innern des Stammes sich nicht entzündete und so einen Brand des ganzen Baumes hervorrief. Er sagte, er täte es deshalb, damit der »große Herr« und »Bibi« nicht gebissen würden. Und es zeigte sich, daß diese Vorsicht durchaus nicht überflüssig war. Denn sobald das ganze Innere des Baumes vom Kohlendunst erfüllt war, der sogar auch nach außen drang, begannen die mannigfaltigsten Wesen aus den Ritzen der Baumrinde hervorzukriechen: schwarze und braune Käfer, pflaumengroße, behaarte Spinnen, mit Stacheln bedeckte Raupen, die fingerdick und ekelhaft waren, und auch giftige Skolopendren, deren Biß sogar den Tod hervorrufen kann. Nach dem, was auf der Außenseite des Stammes vorging, konnte man leicht erraten, wieviel ähnliche Wesen von dem Kohlendunst im Innern umgekommen sein mußten. Diejenigen, die von der Rinde und den unteren Zweigen auf das Gras fielen, zermalmte Kali unbarmherzig mit einem Stein. Dabei gab er unausgesetzt auf die untere und obere Öffnung im Baume acht, als wenn er befürchtete, daß aus einer von ihnen wieder irgend etwas Neues hervorkommen könnte.

»Was guckst du denn so?« fragte Staß. »Denkst du denn, daß sich noch eine zweite Schlange im Baume versteckt haben kann?«

»Nein, Kali Mzimu fürchten.«

»Was ist denn das, Mzimu?«

»Ein böser Geist.«

»Hast du einmal im Leben Mzimu gesehen?«

»Nein, aber Kali schrecklichen Lärm hörte, den Mzimu in den Hütten der Zauberer macht.«

»Also fürchten eure Zauberer Mzimu nicht?«

»Die Zauberer verstehen ihn zu beschwören, dann gehen sie von Hütte zu Hütte und sagen, daß Mzimu erzürnt wäre, dann bringen die Neger ihm Bananen, Honig, Pomba Aus der Pflanze Sorgo hergestelltes Bier., Eier und Fleisch, um Mzimu zu versöhnen.«

Staß zuckte mit den Achseln:

»Anscheinend ist es gut, bei euch Zauberer zu sein. Vielleicht aber war jene Schlange Mzimu?«

Kali schüttelte den Kopf.

»Dann nicht Elefant Mzimu, sondern Mzimu den Elefanten töten. Mzimu, das ist der Tod.«

Plötzlich wurde seine Erzählung durch ein sonderbares Gekrache und Getöse im Baume unterbrochen. Aus der unteren Öffnung kam ein eigenartig brauner Staub heraus, dann folgte ein zweites noch lauteres Gekrache als vorher.

Kali warf sich mit Blitzesschnelle mit dem Gesicht auf die Erde und schrie entsetzt:

»Aka! Mzimu! Aka! Aka! Aka!«

Im ersten Augenblick war auch Staß zurückgesprungen, dann aber stellte sich seine gewohnte Kaltblütigkeit wieder ein, und als Nel und Mea herbeieilten, erklärte er ihnen, was vorgefallen sein konnte.

»Wahrscheinlich«, sagte er, »ist eine große Modermasse, die sich von der Hitze des Feuers ausgedehnt hat, heruntergestürzt und hat die Kohlen verschüttet. Und Kali denkt, daß dies der Mzimu wäre. Mea soll nur ein paar Eimer Wasser in die Öffnung gießen, denn falls die Kohlen aus Luftmangel nicht erloschen sind, könnte der Moder anfangen zu brennen und der ganze Baum verbrennen.«

Als er darauf sah, daß Kali noch immer auf der Erde lag und voller Schrecken mit Aka! Aka! Rufen fortfuhr, nahm er die Flinte, mit der er für gewöhnlich auf Wildvögel Jagd machte, schoß in die Öffnung und sagte, indem er Kali mit dem Kolben anstieß:

»Dein Mzimu ist getötet! Fürchte dich nicht!«

Kali richtete sich auf, blieb aber auf den Knien liegen.

»Oh, großer Herr! großer – Herr! fürchten sich sogar nicht vor Mzimu!«

»Aka! Aka!« ahmte Staß dem Neger lachend nach.

Nach einiger Zeit beruhigte sich auch Kali völlig. Als er sich an das von Mea bereitete Essen setzte, bewies er, daß der augenblickliche Schreck ihm den Appetit durchaus nicht genommen hatte; denn außer einer gehörigen Portion geräucherten Fleisches aß er noch die rohe Leber des Zebrafohlens, abgesehen von wilden Feigen, die eine in der Nähe wachsende Sykomore reichlich lieferte. Dann kehrte er mit Staß zum Baum zurück, wo es noch viel Arbeit gab. Das Forträumen des Moders, der mehreren hundert gerösteten Käfer und großen Kellerwürmer und verschiedener gebratener Fledermäuse nahm zwei Stunden in Anspruch. Staß wunderte sich darüber, daß sich die Fledermäuse in so unmittelbarer Nähe der Schlange aufgehalten hatten, er erriet aber, daß das riesige Reptil entweder so kleine Tiere verschmähte oder nicht imstande war, ihrer habhaft zu werden, da es sich im Innern des Baumes um nichts herumwinden konnte. Die Kohlenglut, die das Herabfallen der Moderschichten verursachte, hatte das Innere des Baumes sehr gut gereinigt. Und der Anblick des Hohlraumes erfüllte Staß mit Freuden, denn er war so groß wie ein Zimmer, in dem nicht nur vier, sondern auch zehn Menschen Schutz finden konnten. Die untere Öffnung stellte die Tür, die obere das Fenster dar, und ihnen war es zu danken, daß es in dem Riesenbaume weder dunkel noch stickig war.

Staß beschloß, den ganzen Raum mit Hilfe von Zelttüchern in zwei Teile zu teilen, von denen er den einen für Nel und Mea bestimmte und den anderen für sich, Kali und Sabà. Der Baum war nicht bis oben hin morsch und hohl, daher konnte der Regen nicht nach innen dringen. Und um sich ganz davor zu schützen, genügte es, die Rinde an den beiden Öffnungen zu lösen und so zu befestigen, daß sie zwei Dachtraufen bildeten. Den Boden beabsichtigte er, mit dem von der Sonne durchglühten Sand vom Flußufer und darauf geschichtetem trockenen Moos auszulegen.

Es war wirklich keine leichte Arbeit, besonders für Kali, der außerdem das Fleisch räuchern und die Pferde tränken mußte. Dann hatte er noch für die Nahrung des Elefanten zu sorgen, der unablässig nach Futter trompetete. Aber der junge Neger ging mit großer Bereitwilligkeit, ja sogar mit Eifer an die Einrichtung des neuen Wohnsitzes. Aus welchem Grunde, das gab er Staß noch im Laufe desselben Tages auf folgende Weise zu verstehen:

»Sobald der ›große Herr‹ und ›Bibi‹, sagte er, indem er die Hände in die Seiten stemmte, »den Baum bezogen haben, wird Kali zur Nacht keine große Zeriba bauen müssen. Kali wird jeden Abend faulenzen können.«

»Du liebst es zu faulenzen?« fragte Staß.

»Kali ist ein Mann und liebt daher faulenzen. Nur die Frauen müssen arbeiten.«

»Du siehst doch, daß ich für ›Bibi‹ arbeite.«

»Aber dafür, wenn ›Bibi‹ erwachsen sein, wird sie für den ›großen Herrn‹ arbeiten müssen. Und wenn sie es nicht tun will, wird der ›große Herr‹ sie sicher schlagen.«

Staß aber sprang bei der Idee des Schlagens wie von der Tarantel gestochen auf und schrie im Zorn:

»Dummkopf, weißt du, wer ›Bibi‹ ist?«

»Ich weiß nicht«, antwortete voller Angst der schwarze Knabe.

»›Bibi‹, das ist – das ist – der gute Mzimu!«

Kali fiel in die Knie.

Nach vollendeter Arbeit wandte sich der junge Neger schüchtern an Nel. Er fiel vor ihr auf das Gesicht und begann jetzt nicht mehr mit entsetzter, sondern mit besänftigender Stimme zu wiederholen:

»Aka! Aka! Aka!«

Aber der »gute Mzimu« starrte mit seinen wunderschönen meergrünen Augen Kali an und konnte gar nicht begreifen, was los war, und was er von ihm wollte.


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