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XX.

Der alte Scheich Hatim hielt treu sein Versprechen, das er dem Griechen gegeben, und sorgte gut für die Kinder. Der Weg am Weißen Nil aufwärts war sehr beschwerlich. Sie fuhren durch Ketaina, Ed-Ducim und Kana, dann an Abba vorüber, einer waldreichen Nilinsel, auf der in einem hohlen Baume der Mahdi als Einsiedler gewohnt hatte. Die Karawane mußte oft weite, mit Papyrus bewachsene, sumpfartige Wasserflächen umgehen, die sogenannten Sudden, von denen der Wind den giftigen Geruch verwester Blätter, die die Strömung mit sich führte, herübertrug. Englische Ingenieure hatten seinerzeit diese »Sperren« Nach dem Fall des Reiches der Derwische wurde die Verbindung wieder hergestellt. nach und nach durchschnitten, so daß von Chartum nach Faschoda Dampfer fahren konnten. Jetzt aber war der Fluß wieder verstopft, und da er nicht frei fließen konnte, auf beiden Seiten über die Ufer getreten. Das Land am rechten und linken Ufer war mit Dschungel bedeckt, aus dem Termitenhügel und vereinzelte Riesenbäume hervorragten. Hier und dort erstreckten sich die Wälder bis dicht zum Fluß. An den trockenen Stellen wuchsen Akazienhaine. Während der ersten Wochen stießen sie auf arabische Ansiedlungen und kleine Städtchen, die Häuser mit wunderlich aussehenden, kuppelartigen Dächern aus Dochnostroh hatten. Hinter Abba betraten sie dann nach der Ansiedlung Goz-Abu-Guma das Land der Schwarzen.

Dieses Land war jedoch gänzlich entvölkert; denn die Derwische hatten gründlich mit der dortigen Negerbevölkerung aufgeräumt und sie als Sklaven auf die Märkte von Chartum, Omdurman, Dara, Fascher, El-Obeid und anderen Städten des Sudans, Darfurs und Kordofans gebracht. Die Einwohner, denen es gelungen, im Dickicht der Wälder der Sklaverei zu entgehen, waren zumeist dem Hunger und den Pocken erlegen, die sich derzeit außergewöhnlich am Weißen und Blauen Nil verbreitet hatten. Die Derwische selbst sagten, daß »ganze Völker« durch diese Krankheit ausgestorben waren. Die früheren Sorgo-, Manioka- und Bananenplantagen waren jetzt ganz von dichtem Dschungel bedeckt. Nur die wilden Tiere hatten sich, da sie von niemand verfolgt wurden, reichlich vermehrt. Mehr als einmal erblickten die Kinder in der Abenddämmerung in der Ferne Elefantenherden, die beweglichen Felsen ähnelten und sich gemächlichen Schrittes zu den ihnen bekannten Tränkstellen begaben. Bei ihrem Anblick schnalzte und seufzte Hatim, der früher mit Elfenbein handelte, und sagte vertraulich zu Staß:

»Maszallah! Wieviel Reichtum liegt hier! Aber jetzt lohnt es sich nicht zu jagen, denn der Mahdi hat den ägyptischen Kaufleuten verboten, nach Chartum zu kommen, und niemand ist da, der die Zähne kaufen würde, es sei denn die Emire, um aus ihnen Umbais zu verfertigen.«

Außer den Elefanten begegneten ihnen auch Giraffen, die bei der Annäherung der Karawane eiligst im Trab entflohen, indem sie mit den langen Hälsen nickten, als wenn sie lahm wären. Hinter Goz-Abu-Guma trafen sie immer häufiger auf Büffel- und Antilopenherden. Die Leute der Karawane, denen es an frischem Fleisch mangelte, machten Jagd auf die Tiere, doch fast immer ohne Erfolg, denn die wachsamen und schnellen Tiere ließen sich weder umstellen, noch jemand an sich herankommen.

An Nahrungsmitteln fehlte es überhaupt, denn der Entvölkerung wegen konnte man in der Gegend weder Hirse, noch Bananen, noch Fische bekommen, die vordem die Neger des Schilluk- und Dinkastammes gern den Karawanen lieferten, weil sie dafür Glasperlen und Messingdraht erhielten. Hatim ließ die Kinder jedoch nicht Hunger leiden, hielt dafür aber Gebhr kurz. Als dieser einmal bei der Abnahme der Sättel zur Nachtrast Staß einen Schlag versetzte, befahl er dem Sudanesen, sich auf der Erde auszustrecken und ließ ihm mit einem Bambusstock je dreißig Schläge auf die Hacken versetzen. Der grausame Sudanese konnte zwei Tage lang nur auf den Zehen gehen und verfluchte den Augenblick, da er Fayum verlassen hatte. Er kühlte seine Rache aber an einem jungen, ihm geschenkten Sklaven namens Kali.

Am Anfang dieser Reise war Staß fast froh, daß sie das verpestete Omdurman verlassen hatten, und daß er jetzt Gegenden zu sehen bekam, von denen er früher immer geschwärmt hatte. Sein kräftiger Organismus hatte die Anstrengungen der Reise bis dahin vortrefflich ertragen; die reichlichere Nahrung gab ihm auch die Energie wieder, und mehr als einmal flüsterte er unterwegs und an den Rastplätzen dem Schwesterchen ins Ohr, daß man auch vom Weißen Nil aus entfliehen könne, und daß er auf diese Absicht durchaus nicht verzichtet habe. Er beunruhigte sich nur um Nels Gesundheit. Zwar hatte das Fieber Nel in den drei Wochen, die nach dem Aufenthalt in Omdurman hinter ihnen lagen, nicht befallen, aber ihr Gesicht war sehr abgemagert und anstatt zu verbrennen, immer durchsichtiger geworden. Ihre kleinen Händchen sahen wie aus Wachs geformt aus. Es mangelte ihr nicht an Fürsorge und an allerlei Bequemlichkeiten, die ihr Staß und Dinah mit Hatims Hilfe verschafften, aber es fehlte an der gesunden Luft der Wüste. Das feuchte und heiße Klima sowie die Reisestrapazen untergruben immer mehr die Kräfte des zarten Kindes.

Von Goz-Abu-Guma an hatte ihr Staß jeden Tag ein halbes Chininpulver gegeben, und er quälte sich mit dem Gedanken, daß die Medizin nicht lange mehr reichen würde, und er nirgends neue Pulver auftreiben könnte. Aber jetzt konnte er sich nicht anders helfen, es mußte vor allen Dingen dem Fieber vorgebeugt werden. Zeitweilig erfaßte den Knaben eine tiefe Verzweiflung. Sein einziger Trost war die Hoffnung, daß Smain für sie beide eine gesündere Gegend als Faschoda aussuchen werde, da er sie ja für seine Kinder austauschen mußte.

Aber das Unglück schien seine Opfer unaufhörlich zu verfolgen. Einen Tag, bevor sie Faschoda erreichten, fiel Dinah, die sich schon in Omdurman schlecht gefühlt hatte, ohnmächtig vom Kamel. Staß und Chamis versuchten, sie mit größter Mühe wieder zur Besinnung zurückzurufen, was ihnen jedoch erst gegen Abend völlig gelang. Sie kam aber nur auf so kurze Zeit wieder zu sich, daß sie tränenden Auges von ihrer kleinen, geliebten Herrin Abschied nehmen konnte, dann starb sie. Gebhr wollte ihr nach dem Tode die Ohren abschneiden, um sie Smain zu bringen, als Beweis, daß sie unterwegs gestorben, und auch, um einen Lohn für ihre Entführung einzuheimsen, aber auf Staß' und Nels Bitten hin gestattete es ihm Hatim nicht. Sie begruben sie ordentlich und sicherten ihr Grab durch Steine und Dornen vor den Hyänen.

Die Kinder fühlten sich nun noch mehr vereinsamt, denn sie hatten in ihr die einzige ihnen nahestehende und anhängliche Seele verloren. Besonders hart war ihr Verlust für Nel, und Staß bemühte sich vergebens die ganze Nacht und den folgenden Tag lang, die Kleine zu trösten.

Am Mittag darauf, zu Beginn der sechsten Reisewoche, erreichte die Karawane Faschoda; aber sie fand nur einen öden Scheiterhaufen. Die Mahdisten biwakierten im Freien oder in eilig aus Laub und Gras errichteten Hütten. Drei Tage zuvor war der Ort ganz niedergebrannt. Nur die rauchgeschwärzten Mauern der runden Lehmhütten standen noch und ein am Wasser liegender großer Holzschuppen, der den Ägyptern als Stapelhalle von Elfenbein gedient hatte, und der jetzt von dem Anführer der Derwische, dem Emir Seki-Tamala, bewohnt wurde. Er war ein unter den Mahdisten berühmter Mann, im geheimen ein Feind des Kalifen Abdullah, aber ein persönlicher Freund Hatims. Er nahm Hatim und die Kinder gastlich bei sich auf, gab ihnen jedoch gleich beim Empfang den unglücklichen Bescheid, daß Smain nicht in Faschoda sei. Vor zwei Tagen war er aufgebrochen, um südöstlich vom Nil auf Sklaven Jagd zu machen, und man wußte nicht, wann er zurückkehren würde, da die umliegenden Gegenden schon entvölkert waren, so daß man das menschliche Wild in größerer Entfernung suchen mußte. Unweit von Faschoda lag freilich Abessinien, mit dem die Derwische sich auch im Kriege befanden, da Smain jedoch nur über dreihundert Leute verfügte, so konnte er es nicht wagen, die Grenze zu überschreiten, die gegenwärtig sorgfältig von den kriegerischen Bewohnern und Soldaten des Königs Johann behütet wurde.

Angesichts dieser Tatsache begannen Seki-Tamala und Hatim zu überlegen, was man nun mit den Kindern anfangen solle. Die Beratung fand zum großen Teil beim Abendessen statt, zu dem der Emir Nel und Staß auch aufgefordert hatte.

»Ich«, so sagte er zu Hatim, »muß bald mit allen meinen Leuten nach Süden aufbrechen zu einem Kriegszug gegen Emin Pascha Emin Pascha, von Geburt ein deutscher Jude, war, nachdem Ägypter das Land an den Albert-Nianza-See erobert, Gouverneur der Äquatorialprovinz. Er hielt sich zunächst in Wadelai auf. Die Mahdisten überfielen ihn mehrmals. Später wurde er durch Stanley gerettet, der ihn samt den größten Teil seiner Soldaten nach Bagamoyo am indischen Ozean geleitete., der sich in Lado festgesetzt hat, wo er über Dampfschiffe und ein Heer verfügt. Du selbst warst der Überbringer dieses Befehls. Du mußt nach Omdurman zurückkehren, denn in Faschoda wird keine einzige Seele bleiben. Es gibt hier weder Wohnungen noch Essen, und allerlei Krankheiten herrschen. Ich weiß wohl, daß die Weißen nicht an den Pocken erkranken, aber das Fieber wird diese Kinder innerhalb eines Monats töten.«

»Man hat mir befohlen, sie nach Faschoda zu bringen,« antwortete Hatim, »und da ich das nun getan habe, brauchte ich mich nicht weiter um sie zu kümmern. Aber mein Freund, der Grieche Kaliopuli, hat sie mir ans Herz gelegt, deswegen möchte ich nicht, daß sie sterben.«

»Das würde hier aber sicherlich geschehen.«

»Was also ist da zu tun?«

»Anstatt sie in Faschoda zu lassen, schicke sie zugleich mit den Leuten, die sie nach Omdurman gebracht, zu Smain. Smain ist in die Berge gegangen, in eine trockene und hochgelegene Gegend, wo das Fieber die Leute nicht so dahinrafft wie am Flusse.«

»Wie sollen sie aber Smain finden?«

»Auf der Spur des Feuers. Er wird die Dschungeln angesteckt haben, einerseits, um die wilden Tiere in die Schluchten und Felsen zu treiben, wo sie leicht umzingelt und getötet werden können, andererseits auch, um die Heiden aus dem Dickicht aufzuscheuchen, wohin sie vor der Verfolgung geflüchtet sind. – Smain wird nicht schwer zu finden sein …«

»Ob sie ihn aber einholen werden?«

»Er wird zuweilen eine Woche lang in derselben Gegend verweilen, weil er Fleisch räuchern muß. Selbst wenn sie erst in zwei oder drei Tagen aufbrechen, werden sie ihn sicherlich noch einholen.«

»Warum aber sollen sie ihm nachreisen. Er wird doch auch von selbst nach Faschoda zurückkommen.«

»Nein, – gelingt ihm die Sklavenjagd, so wird er mit ihnen in die Städte gehen, um sie zu verkaufen.«

»Was soll man da tun?«

»Bedenke, daß, wenn wir beide Faschoda verlassen haben, die Kinder vor Hunger umkommen müssen, falls das Fieber sie nicht vorher tötet.«

»Beim Propheten, das ist wahr!«

Und in der Tat, es gab keinen anderen Ausweg, als die Kinder aufs neue weiterzuschicken. Hatim, der sich als ein guter Mensch zeigte, war nur besorgt, daß Gebhr, dessen Grausamkeit er während der Reise kennen gelernt hatte, die Kinder peinigen und quälen würde. Aber der strenge Seki-Tamala, den selbst seine eigenen Soldaten fürchteten, ließ den Sudanesen rufen und erklärte ihm, daß er die Kinder heil und gesund zu Smain zu bringen habe, und daß er sie gut behandeln müsse, denn sonst würde er gehängt werden. Der gute Hatim erbat sich noch beim Emir eine Sklavin für Nel, die sie unterwegs und im Lager Smains bedienen sollte. Nel freute sich sehr über dieses Geschenk, um so mehr, als sich herausstellte, daß die Sklavin ein junges Mädchen aus dem Stamme der Dinka war, mit hübschen und angenehmen Gesichtszügen.

Staß wußte, daß Faschoda für sie den Tod bedeutete, deshalb bat er Hatim nicht, von dieser dritten Reise abzustehen. Im stillen hoffte er, daß sie sich auf ihrem Wege nach Südosten den südlichen Grenzen Abessiniens nähern würden, und daß sie dort eher entfliehen könnten. Zugleich glaubte er, daß Nel in den trockenen, höhergelegenen Orten dem Fieber entgehen würde. Deshalb machte er sich gern und eifrig an die Reisevorbereitungen.

Gebhr, Chamis und die beiden Beduinen hatten auch nichts gegen die Reise; sie rechneten darauf, an Smains Seite eine Menge Sklaven zu erjagen, die sie dann vorteilhaft auf den Märkten verkaufen wollten. Sie wußten, daß die Sklavenhändler es vielfach zu einem großen Vermögen brachten. Vor allem zogen sie es auch vor zu reisen, statt unter der Aufsicht Hatims und Seki-Tamalas in Faschoda zu bleiben.

Die Vorbereitungen nahmen jedoch viel Zeit in Anspruch, besonders, weil die Kinder sich erst ausruhen mußten. Die Kamele konnten auf dieser Reise nicht benutzt werden, daher ritten die Araber und Staß und Nel zu Pferde. Kali aber, der Sklave Gebhrs, und Mea, wie auf Staß' Rat Nels Dienerin genannt wurde, mußten zu Fuß neben den Pferden hergehen. Hatim verschaffte sich auch einen Esel, der Nels Zelt und Lebensmittel für die Kinder auf drei Tage mit sich führte. Mehr konnte Seki-Tamala ihnen nicht abgeben. Für Nel wurde eine Art Damensattel aus einer Filzdecke, Palmenmatten und Bambusstäben hergestellt.

Drei Tage verbrachten die Kinder zu ihrer Erholung in Faschoda, aber die Unmenge von Mücken am Fluß machte diesen Aufenthalt unerträglich. Am Tage erschienen Schwärme großer, blauer Fliegen, die zwar nicht stachen, aber alle arg belästigten, weil sie in die Ohren krochen, sich auf die Augen setzten und sogar in die Mundhöhle flogen. Staß, der schon in Port Said gehört hatte, daß Mücken und Fliegen Fieber und ansteckende Augenkrankheiten verbreiten, bat schließlich Seki-Tamala selbst, sie möglichst schnell fortzuschicken, schon weil die Regenzeit des Frühlings herannahte.


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