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IV.

Sowohl Tarkowski als auch Rawlison, der seine Nel über alles liebte, waren sehr erfreut über die Ankunft der Kinder. Auch das junge Pärchen begrüßte glückstrahlend die Väter und machte sich sogleich daran, die für ihre Aufnahme fertigen und völlig eingerichteten Zelte zu besichtigen. Die Zelte, die teils mit dunkelblauem, teils mit rotem Flanell ausgeschlagen und mit Filzdecken auf dem Boden belegt waren, erwiesen sich als prächtig, und dabei waren sie so groß wie Zimmer. Die Gesellschaft, der an der guten Meinung der hochgestellten Beamten der Kanalgesellschaft lag, hatte alles aufgeboten, um es ihnen bequem und wohnlich einzurichten. Rawlison, der vordem gefürchtet hatte, daß der Aufenthalt im Zelt Nels Gesundheit schaden könnte, und geplant hatte, die Kleine bei schlechtem Wetter in ein Hotel übersiedeln zu lassen, war nach der eingehenden Besichtigung der Zelte zu der Überzeugung gelangt, daß es seiner einzigen Nel hundertmal besser wäre, die Tage und Nächte in der frischen Luft zu verbringen, als in der dumpfen Zimmerluft eines kleinen Hotels. Übrigens war das Wetter auch sehr schön und der Gesundheit günstig.

Medinet oder El-Medine, von allen Seiten von den sandigen Hügeln der Libyschen Wüste umgeben, hat ein besseres Klima als Kairo. Nicht ohne Grund wird es das »Land der Rosen« genannt. Wegen seiner geschützten Lage und einer mit genügend Feuchtigkeit erfüllten Luft sind dort die Nächte nicht so kalt wie in den anderen, selbst in den südlicheren Teilen Ägyptens. Der Winter in Medinet ist einfach herrlich, und gerade im November befindet sich die Vegetation in ihrer üppigsten Entwicklung. Dattelpalmen, Oliven, die man sonst in Ägypten nur vereinzelt sieht, Feigen-, Apfel-, Mandarinen-, Granatenbäume und – riesenhohe Rizinuspalmen sowie verschiedene andere südliche Pflanzen bedecken diese prächtige Oase wie ein einziger üppiger Wald. Die Gärten sind wie überflutet mit einem Meer von Akazien, Flieder und Rosen, so daß der leiseste Lufthauch einen berauschenden Duft all dieser Blüten in die Wohnräume trägt. Die Einheimischen sagen deshalb von Medinet: »Hier trinken wir Luft in vollen Zügen und möchten niemals sterben.« Ein ähnliches Klima besitzt nur das jenseits des Nils bedeutend nördlicher gelegene Heluan, dem aber jene üppige Vegetation fehlt.

Heluan aber war für Rawlison mit trüben Erinnerungen verbunden, weil Nels Mutter dort gestorben war. Deswegen hatte er Medinet vorgezogen, und als er jetzt auf Nels strahlendes Antlitz blickte, beschloß er in seinem Innern, hier sich ein Stück Land zu kaufen und ein bequemes englisches Haus bauen zu lassen, um in dieser gesegneten Gegend alle seine Ferien zu verbringen. Nach Ablauf seines Dienstes am Kanal wollte er sich dann für immer hier niederlassen. Doch das lag ja noch in so weiter Zukunft, daß sich kein endgültiger Beschluß darüber fassen ließ.

Indessen eilten die Kinder seit ihrer Ankunft wie Fliegen umher, da sie noch vor dem Essen sämtliche Zelte, Esel und Kamele gesehen haben wollten, die die Cooksche Gesellschaft zur Verfügung gestellt hatte. Auf die Besichtigung der Tiere jedoch mußten sie für heute verzichten, da sich alles Vieh auf der weit abgelegenen Weide befand. Statt dessen erblickten Nel und Staß zu ihrer Freude bei Rawlisons Zelt ihren guten Bekannten aus Port Said, Chamis, den Sohn des Chadigi. Er gehörte nicht zu den Angestellten Cooks, und Rawlison war eigentlich erstaunt, als er ihn in El-Medine antraf. Da man ihn aber schon früher des öfteren zum Tragen von Apparaten gebraucht hatte, so mietete er ihn auch jetzt als Laufburschen und zu verschiedenen anderen Diensten.

Das Abendessen war zur Feier der Ankunft der Kinder besonders gut, da der alte Kopte, der seit mehreren Jahren bei Cook als Koch angestellt war, sich in seiner ganzen Kunst zeigen wollte. Die Kinder plauderten lebhaft von ihren Reiseerlebnissen und erzählten, wie sie im Waggon die Bekanntschaft der zwei Offiziere gemacht hätten, was besonders Rawlisons Interesse erweckte, da sein Bruder Richard in der Tat seit mehreren Jahren in Indien lebte und mit einer Schwester des Militärarztes verheiratet war. Sein Bruder hatte keine Kinder, und so liebte er seine kleine Nichte, die er zwar nur dem Bilde nach kannte, und nach der er sich in seinen Briefen immer ausführlich erkundigte, ganz besonders. Auch die Einladung nach Mombassa, die Staß von dem Hauptmann Glen erhalten hatte, beschäftigte beide Väter. Der Junge, der sie sehr ernst genommen hatte, war endgültig entschlossen, seinen Freund hinter dem Äquator später einmal zu besuchen. Tarkowski erklärte ihm jedoch, daß englische Beamte nie lange in ein und derselben Gegend im Dienste bleiben können, des mörderischen afrikanischen Klimas wegen, und daß, bevor Staß erwachsen wäre, der Hauptmann gewiß schon die zehnte Stellung einnehmen werde, wenn er überhaupt noch dann auf der Erde weile.

Nach dem Essen trat die ganze Gesellschaft aus den Zelten ins Freie, wo die Diener mit Leinwand bezogene Klappstühle aufgestellt hatten und den Erwachsenen Brandy mit Selterwasser anboten. Die Nacht war mittlerweile schon eingetreten, eine warme, vom Vollmond erleuchtete Nacht, die fast so hell wie der Tag war. Die weißen Wände der städtischen Gebäude gegenüber den Zelten schienen von grünlicher Farbe zu sein. Am Himmel leuchteten die Sterne, und die Luft war von dem Duft der Rosen, Akazien und Heliotropen erfüllt. In der Stadt lag schon alles in tiefem Schlafe. Von Zeit zu Zeit unterbrach das Geschrei von Kranichen, Reihern und Flamingos, die vom Nil nach dem Karounsee flogen, die nächtliche Stille.

Plötzlich vernahm man das sehr tiefe Gebell eines Hundes. Nel und Staß erstaunten, um so mehr, da dieses Bellen aus einem Zelt zu kommen schien, das sie am Abend nicht besichtigt hatten und das als Lagerraum für die Sättel, das Geschirr und verschiedene andere Reiseutensilien diente.

»Das muß sicher ein mächtiger Hund sein, komm, wollen ihn mal ansehen«, sagte Staß zu Nel.

Tarkowski begann zu lachen, und Rawlison, indem er die Asche von seiner Zigarre abstreifte, sprach lächelnd:

»Well, es ist uns nicht gelungen, ihn zu verbergen.«

Dann wandte er sich den Kindern zu.

»Bedenkt, morgen ist Heiliger Abend. Diesen Hund hat Herr Tarkowski als Geschenk für Nel bestimmt, da aber das Geschenk begonnen hat zu bellen, muß ich es euch schon heute erzählen.«

Nel, als sie das hörte, sprang im Augenblick auf Tarkowskis Knie, umschlang seinen Hals, sprang dann auf des Vaters Schoß und unter den Rufen:

»Papachen, wie bin ich glücklich, wie glücklich!« fand sie des Händedrückens und des Küssens kein Ende. Endlich, als sie wieder auf den eigenen Beinen stand, fing sie an, Tarkowski bittend in die Augen zu sehen.

»Mister Tarkowski!«

»Was denn, Nel?«

»– – Da ich doch schon weiß, daß er da ist, – kann ich ihn nicht schon heute sehen?«

»Ich wußte es doch,« sagte Rawlison, indem er sich entrüstet stellte, »daß diese kleine Fliege sich nicht allein mit der Neuigkeit begnügen würde.«

Tarkowski wandte sich an Chadigis Sohn und befahl ihm:

»Chamis, bring' mal den Hund her!«

Der junge Sudanese verschwand hinter dem Küchenzelt und erschien bald wieder, ein Riesentier am Halsband führend.

Nel sprang erschrocken zurück.

»Oh!« rief sie, die Hand des Vaters ergreifend.

Staß aber war ganz entzückt.

»Das ist ja ein Löwe, kein Hund –«

»Er heißt Sabà (Löwe),« antwortete Tarkowski, »er gehört zu der Mastiffrasse, das sind die größten Hunde der Welt. Er ist erst zwei Jahre alt, aber er ist wirklich ein Riese. Fürchte dich nicht, Nel, er ist sanft wie ein Schäfchen. Nur Mut! Laß ihn los, Chamis!«

Chamis gab den Hund frei, der, seine Freiheit fühlend, mit dem Schwanz zu wedeln und vor Freude zu bellen begann. Er schmiegte sich dicht an Tarkowski, den er schon von früher her kannte.

Die Kinder blickten beim Mondlicht erstaunt auf den kräftigen, runden Kopf des Tieres mit den herabhängenden Lefzen, auf seine Riesentatzen und seinen ganzen mächtigen Körper, der in seiner gelben Farbe wirklich der Gestalt eines Löwen sehr ähnelte.

»Mit einem solchen Hund kann man gefahrlos ganz Afrika durchqueren«, bemerkte Staß.

»Frag ihn doch, ob er ein Nashorn apportieren würde«, sagte Tarkowski.

Diese Frage beantwortete Sabà natürlich nicht, aber er wedelte immer fröhlicher mit dem Schwanze und schmeichelte sich so bei den Anwesenden ein, daß Nel gleich aufhörte, ihn zu fürchten und ihm den Kopf zu streicheln begann.

»Lieber, einziger Sabà!«

Rawlison bückte sich zum Hunde hernieder, hob Sabàs Kopf zu Nels Gesicht und sagte:

»Sabà, sieh dir das kleine Mädchen an. Es ist nun deine Herrin! Du mußt ihr gehorchen und sie beschützen, verstehst du?«

»Wau«, antwortete darauf Sabà mit Baßstimme, als wenn er wirklich begriffen hätte, um was es sich handelte.

Er schien es in der Tat besser verstanden zu haben, als man erwarten konnte. Denn, da sein Kopf sich beinahe in gleicher Höhe mit Nels Gesichtchen befand, leckte er mit seiner breiten Zunge zum Zeichen der Huldigung des Kindes Nase und Wange.

Das rief allgemeines Gelächter hervor. Nel mußte sich sogleich im Zelt ihr Gesicht waschen, und als sie nach einer Weile zurückkehrte, sah sie, daß Sabàs Tatzen auf Staß' Schultern ruhten, der sich unter dem Gewicht dieser Last sogar etwas bücken mußte. Der Hund überragte so den Knaben um Kopfeslänge.

Als die Schlafenszeit nahte, erbat sich Nel noch ein halbes Stündchen, um mit ihrem neuen Freunde nähere Bekanntschaft zu machen. Und das ging so schnell vonstatten, daß Tarkowski sie bald wie eine Dame auf dem Rücken des Hundes reiten ließ, und indem er sie hielt, damit sie nicht falle, forderte er Staß auf, den Hund am Halsband herumzuführen. So ritt die kleine Nel auf ihrem neuen Freunde ein wenig umher. Als dann aber Staß sich auf dieses ungewöhnliche Reitpferdchen setzte, hob sich der Hund auf seine Hintertatzen, und Staß sah sich unerwartet auf dem Boden neben Sabàs Schwanz liegen.

Die Kinder waren gerade im Begriff, schlafen zu gehen, als plötzlich in der vom Monde beleuchteten Ferne zwei weiße Gestalten erschienen, die sich den Zelten näherten.

Der bis dahin so sanfte Sabà begann dumpf und drohend zu knurren, so daß Chamis auf Rawlisons Befehl den Hund wieder am Halsband festhalten mußte. Inzwischen waren die zwei in weiße Burnusse gekleideten Männer herangekommen.

»Wer ist da?« fragte Tarkowski.

»Kamelführer«, rief einer der Angekommenen.

»Ah! Ihr seid Idrys und Gebhr? Was wollt ihr?«

»Wir wollten anfragen, ob wir morgen gebraucht werden?«

»Nein, morgen und übermorgen, an den großen Feiertagen, machen wir keine Exkursionen. Kommt übermorgen früh nachfragen.«

»Wir danken, Effendi.«

»Sind eure Kamele gut?«

»Bismillah!« antwortete Idrys. »Wahre Reittiere mit dicken Höckern und zahm wie die Schafe. Sonst würde Cook uns nicht gemietet haben.«

»Schaukeln sie nicht sehr?«

»Auf ihren Rücken, Herr, kann man eine Handvoll Bohnen legen, und selbst beim schnellsten Laufe wird keine herunterfallen.«

»Echt arabisch übertrieben«, bemerkte scherzend Tarkowski.

»Oder sudanesisch«, fügte Rawlison hinzu.

Idrys und Gebhr standen inzwischen wie zwei weiße Säulen und betrachteten aufmerksam Staß und Nel. Der Mond beleuchtete die beiden Kameltreiber, so daß ihre sehr dunklen Gesichter bei seinem Scheine aussahen, als wären sie aus Bronze gegossen. Das Weiße ihrer Augen glänzte grünlich unter ihren Turbanen hervor.

»Gute Nacht!« verabschiedete sie Rawlison.

»Möge Allah bei Tag und bei Nacht über euch wachen, Effendi!«

Nach diesen Worten verbeugten sich die beiden Sudanesen und gingen fort, von einem dumpfen, dem fernen Donner gleichenden Knurren Sabàs begleitet, dem die beiden augenscheinlich nicht gefielen.


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