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III.

Beide Ingenieure reisten am Abend des nächsten Tages nach Kairo ab, wo sie den englischen Botschafter aufsuchten und sich zur Audienz beim Vizekönig einstellten. Staß hatte richtig berechnet, daß sie dazu zwei Tage brauchen würden, denn schon am Abend des dritten Tages erhielt er eine Depesche aus Medinet: »Zelte sind hergestellt. Zu Ferienbeginn abreisen. Fatima verständige durch Chadigi, daß wir nichts für sie erreichen konnten.« Eine ähnliche Depesche erhielt Madame Olivier, die sogleich mit Hilfe der Negerin Dinah die Reisevorbereitungen begann.

Schon dieser Anblick erfüllte die Herzen der Kinder mit Jubel. Da trat plötzlich ein Ereignis ein, das durch alle Berechnungen einen Strich machte und die ganze Abreise sehr in Frage stellte. Die Schule war gerade geschlossen, als einen Tag vor der Abreise ein Skorpion Madame Olivier während ihres Nachmittagsschlafes im Garten stach. Für gewöhnlich pflegen diese Insekten in Ägypten nicht gefährlich zu sein, diesmal aber wurde der Stich ausnahmsweise verderblich. Der Skorpion hatte Madame Olivier gerade in den Nacken gestochen, und da die Erzieherin eben erst eine Gesichtsrose überstanden, lag die Gefahr der Wiederholung dieser Krankheit nahe. Der Arzt, nach dem man sofort geschickt hatte, konnte erst nach zwei Stunden kommen, als Gesicht und Hals schon bedenklich angeschwollen waren. Bald darauf trat auch das Fieber mit den üblichen Kennzeichen der Vergiftung ein.

Der Arzt erklärte, daß unter diesen Umständen an eine Abreise nicht zu denken sei, und ordnete an, daß die Kranke sich ins Bett legen müsse. Bei dieser Sachlage schienen die Kinder das Weihnachtsfest zu Hause verleben zu müssen. Staß fragte bei seinem Vater telegraphisch und brieflich an, was er tun solle. Nach zwei Tagen kam eine Antwort. Rawlison, der von dem behandelnden Arzte erfahren hatte, daß die Gefahr beseitigt wäre, und nur die Befürchtung der Wiederkehr der Rose Madame Olivier hinderte, Port Said zu verlassen, sorgte für eine geschickte Krankenpflegerin und gab dann den Kindern die Weisung, in Begleitung von Dinah abzureisen.

Da die Vorbereitungen ja schon alle getroffen waren, so fuhren die Kinder noch am gleichen Tage durch den Kanal nach Ismailia. Von hier aus ging es weiter mit der Bahn nach Kairo, wo die Kinder übernachten sollten, um am nächsten Tag nach Medinet aufzubrechen. Als sie aus Ismailia wegfuhren, sahen die Kinder den See Timsah vor sich liegen, den Staß schon vorher einmal gesehen hatte, als er Tarkowski, einen großen Jagdliebhaber, auf einer Jagd nach Wasservögeln begleitet hatte. Dann ging der Weg durch Wadi-Tumilat an den Süßwasserkanal entlang, der vom Nil bis Ismailia und Suez geht. Dieser Kanal ist schon vor dem Suezkanal durchgestochen worden, sonst hätten die an dem großen Werke Lesseps schaffenden Arbeiter kein Trinkwasser gehabt. Der Durchstich des Kanals hatte aber gleichzeitig dem Lande noch andere Vorteile gebracht. Nachdem der starke und belebende Süßwasserstrom die unfruchtbare Wüste durchzog, verwandelte sich diese in eine blühende Gegend. Die Kinder sahen aus dem Fenster des Eisenbahnwagens einen breiten grünen Streifen, der aus Wiesenland bestand, auf dem Pferde, Kamele und Schafe weideten, und aus Äckern, die mit Mais, Hirse und verschiedenen Futtergetreiden bestellt waren. An den Ufern des Kanals sah man verschiedene Arten von Brunnenanlagen; solche in Form von hohen Pfählen, die mit Eimern versehen waren, und andere, gewöhnliche Schwengel- und Schöpfbrunnen, aus denen die Fellachen fleißig Wasser holten, das sie durch die Äcker leiteten oder auch in Fässern auf Ochsenwagen wegfuhren. Über dem Roggenfeld flogen Tauben, und zuweilen erhoben sich ganze Scharen von Wachteln aus dem Acker. Würdevoll spazierten Störche und Kraniche an den Kanalufern entlang, und über den Lehmhütten der Fellachen wehten wie Federbüsche die Kronen der Dattelpalmen.

Südlich der Eisenbahnlinie erstreckte sich eine kahle Wüste, die jedoch der jenseits des Suezkanals liegenden durchaus nicht ähnelte. Jene glich dem vom Wasser entblößten Meeresgrunde, der mit runzligen Sandmassen bedeckt war, diese aber, mit ihrem gelberen Sand, hatte das Aussehen einer unendlichen Reihe großer Kurgane Grabhügel. deren Abhänge mit großen Grasbüscheln spärlich bedeckt waren. Zuweilen erhoben sich diese Kurgane zu beträchtlicheren Höhen, die durch größere Täler verbunden waren. Diese Täler entlang zogen von Zeit zu Zeit Karawanen.

Die Kinder konnten beladene Kamele sehen, die im Gänsemarsch, einem langen Bande gleich, über die Sandebenen dahingingen. Vor einem jeden Kamel schritt ein Araber, im schwarzen Mantel mit einem weißen Turban auf dem Kopfe. Die kleine Nel erinnerte sich der Bilder aus der Bibel, die sie zu Hause gesehen, und die den Auszug der Kinder Israels aus Ägypten zur Zeit Josephs darstellten. Es war ihr, als wären diese Bilder lebendig geworden, so genau von der gleichen Art war der ganze Anblick, der sich ihr bot. Leider konnte sie die Karawanen nicht weit verfolgen, da zwei englische Offiziere an der Fensterseite des Waggons saßen und ihr den Ausblick verdeckten.

Sobald sie ihr Bedauern darüber zu Staß geäußert hatte, wandte sich dieser mit einem ernsten Gesichtsausdruck an die Offiziere, und indem er die Finger an den Hut legte, sagte er:

»Gentlemen, würden Sie Ihren Platz nicht der kleinen Miß abtreten, die die Kamele besser betrachten möchte.«

Beide Offiziere kamen mit dem gleichen Ernst der Aufforderung nach, und der eine von ihnen trat nicht nur seinen Platz der wißbegierigen Miß ab, sondern nahm sie hoch und stellte sie auf den Sitz am Fenster.

Staß begann nun, Nel über alles, was sie sah, einen Vortrag zu halten.

»Das hier ist der alte Landstrich Gohsen, den Pharao dem Joseph für seine Brüder gab. Schon damals floß ein Süßwasserkanal hier durch, so daß dieser neue nur aus dem alten geschaffen wurde. Späterhin aber wurde der Kanal zerstört und das Land zur Wüste. Erst jetzt beginnt der Boden wieder allmählich fruchtbar zu werden.«

»Woher wissen Sie denn das alles, Gentleman?« fragte einer von den Offizieren.

»In meinem Alter weiß ein jeder solche Dinge,« entgegnete Staß, »außerdem trug uns Professor Sterling über Wadi-Tumilat vor.«

Obwohl Staß sehr geläufig Englisch sprach, so fiel dem anderen Offizier doch der fremde Akzent des Knaben auf, und er fragte:

»Kleiner Gentleman, Sie sind doch kein Engländer?«

»Dies kleine Mädchen hier ist Miß Nel; ihr Vater bat mich, sie unterwegs in meine Obhut zu nehmen. Ich bin kein Engländer, ich bin Pole, der Sohn eines Ingenieurs beim Kanal.«

»Ich schätze die Polen sehr. Ich stehe bei einem Kavallerieregiment, das zu Napoleons Zeiten mehrmals mit den polnischen Ulanen gefochten hat, und noch bis auf den heutigen Tag bildet diese Tatsache den Stolz und den Ruhm unseres Regiments.«

»Es ist mir eine Ehre, den Herrn kennen zu lernen«, antwortete Staß.

Man kam sehr schnell in eine weitere Unterhaltung, da die Offiziere sich augenscheinlich dabei amüsierten. Sie erzählten, daß sie ebenfalls aus Port Said kämen, um nach Kairo zu reisen und den englischen Botschafter aufzusuchen, der ihnen noch die letzten Instruktionen für die bevorstehende weite Reise geben wollte. Der Jüngere der beiden war Militärarzt, der, welcher sich mit Staß unterhielt, Hauptmann Glen. Auf Anordnung seiner Regierung sollte er durch Suez nach Mombassa reisen und die ganze sich am Hafen anschließende und sich bis zu dem unbekannten Landstrich Samburu hinziehende Gegend unter seine Verwaltung nehmen.

Staß, der mit besonderer Vorliebe Reisebeschreibungen über Afrika las, wußte, daß Mombassa einige Grad südlich vom Äquator liegt, und daß die Umgegend, wenngleich sie auch zu der Interessensphäre Englands gehörte, in Wirklichkeit noch wenig bekannt war. Ein wildes Land, voll von Elefanten, Giraffen, Nashörnern, Büffeln und allen Arten von Antilopen, was sowohl militärische als missionare und Handelsexpeditionen berichtet hatten. Er beneidete von ganzer Seele Hauptmann Glen und versprach, ihn in Mombassa zu besuchen, um mit ihm auf die Löwen- oder Büffeljagd zu gehen.«

»Schön, aber diese kleine Miß muß mich auch besuchen«, antwortete Hauptmann Glen lachend, indem er auf Nel zeigte, die gerade vom Fenster wegging und sich zu ihm setzte.

»Miß Rawlison hat einen Vater,« sprach Staß, »ich bin nur unterwegs ihr Beschützer.«

Da fragte der andere Offizier:

»Rawlison? – ist das nicht einer der Direktoren am Kanal, der einen Bruder in Bombay hat?«

»In Bombay wohnt mein Onkel«, antwortete Nel, indem sie ihr kleines Figürchen hochreckte.

»Dein Onkel, Darling, dann ist er also mit meiner Schwester verheiratet. Ich heiße Clary. Wir beide sind verwandt miteinander, und ich freue mich sehr, dich, liebes Vögelchen, kennen gelernt zu haben.«

Der Arzt freute sich sichtlich. Er erzählte, daß er gleich nach seiner Ankunft in Port Said nach Rawlison gefragt hätte, daß man ihm aber im Bureau gesagt, daß der Direktor während der Feiertage verreist wäre. Er bedauerte lebhaft, daß der Dampfer, mit dem er und der Hauptmann nach Mombassa weiterreisten, schon in wenigen Tagen von Suez abging, so daß ihm keine Zeit für einen Abstecher nach Medinet blieb.

Er bat Nel, den Vater zu grüßen, und versprach, aus Mombassa zu schreiben. Beide Offiziere begannen nun, sich lebhaft mit Nel zu unterhalten, so daß Staß etwas links liegen gelassen wurde.

So verflog den Kindern die Reise nach Kairo sehr schnell, besonders da man sich auf jeder Station reichlich durch Mandarinen, frische Feigen und Sorbets erfrischen konnte, wobei man auch Dinah nicht vergaß, die sich durch große Naschhaftigkeit auszeichnete.

Als die Kinder sich in Kairo von den Offizieren verabschiedeten, küßten sie Nel das Händchen und die Stirn und drückten Staß die Hand. Hauptmann Glen, der an dem resoluten Jungen Gefallen gefunden hatte, sagte teils ernst, teils scherzend:

»Höre, mein Lieber, wer weiß, wann, wo und unter welchen Umständen wir uns im Leben wieder begegnen werden. Denke, daß du immer auf meine Hilfe und meine Gewogenheit zählen kannst.«

»Gleichfalls!« erwiderte, sich voller Würde verneigend, Staß.


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