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XXVI.

Die Nacht verfloß ruhig, und obwohl sich im Süden sehr viele Wolken am Himmel angesammelt hatten, leuchtete den Kindern ein strahlender Morgen.

Auf Staß' Befehl sammelten Kali und Mea gleich nach dem Frühstück Melonen, Akazienschoten, frische Blätter, Gräser und allerlei Futter für den Elefanten, die sie dann am Rande der Schlucht aufstapelten. Da Nel unbedingt persönlich ihren neuen Freund füttern wollte, so schnitt Staß für sie aus einem jungen, gabelförmig gewachsenen Feigenbaum eine Art Gabel, mit der sie leicht die Vorräte auf den Grund der Schlucht werfen konnte. Der Elefant trompetete vom frühen Morgen an, offenkundig um an seine Fütterung zu erinnern. Als er nun oben am Abhange dasselbe kleine, weiße Wesen erblickte, das ihn gestern satt gefüttert hatte, begrüßte er es mit einem Freudengurgeln und streckte ihm sogleich den Rüssel entgegen. Im hellen Lichte des Morgens erschien er den Kindern noch viel riesenhafter als gestern. Er war zwar sehr abgemagert, sah aber schon munterer aus und richtete seine kleinen klugen Augen fast heiter auf Nel. Nel behauptete, daß seine Vorderbeine schon in dieser einen Nacht dicker geworden wären, und sie begann, das Futter mit solchem Eifer hinabzustoßen, daß Staß sie festhalten und zuletzt, da sie sich zu sehr ermüdet hatte, ablösen mußte. Beide Kinder amüsierten sich ausgezeichnet bei dieser Fütterung, besonders über die Bewegungen des Elefanten. Zuerst fraß er alles, was zu seinen Füßen herabfiel, bald aber, als der erste Hunger gestillt war, begann er auszuwählen. Eine Pflanze, die ihm weniger gut schmeckte, klopfte er an seinen Vorderbeinen ab und warf sie dann mit dem Rüssel nach oben, als wenn er sagen wollte: »Eßt selber diesen Leckerbissen.« Nachdem er endlich seinen Hunger und Durst gestillt hatte, fing er an, in sichtlicher Zufriedenheit mit seinen Riesenohren zu schütteln.

»Ich bin überzeugt,« sagte Nel, »daß, wenn wir jetzt zu ihm herunterkämen, er uns nichts zuleide tun würde.«

Und sie begann ihm zuzurufen:

»Elefant, lieber Elefant, es ist doch wahr, daß du uns nichts zuleide tun würdest?«

Und als der Elefant zur Antwort mit dem Rüssel nickte, wandte sie sich zu Staß um:

»Siehst du, er sagt Ja!«

»Mag sein! Elefanten sind sehr intelligente Tiere, und der hier hat unzweifelhaft begriffen, daß wir beide ihm notwendig sind. Wer weiß, ob er nicht auch ein kleines Dankbarkeitsgefühl für uns hegt? Es ist aber besser, ihn noch nicht auf die Probe zu stellen, und hauptsächlich darf Sabà es nicht probieren, denn er würde ihn sicherlich töten. Aber mit der Zeit werden sie sich wahrscheinlich auch anfreunden.«

Die weiteren Entzückensergüsse über den Elefanten unterbrach Kali, der in der Voraussicht, daß er täglich für die Ernährung des Riesen zu arbeiten haben werde, sich Staß mit einem aufmunternden Lächeln näherte und zu ihm sagte:

»Großer Herr Elefanten töten, Kali ihn essen, statt Gräser und Zweige sammeln.«

Aber zwischen dem Wunsche, den Elefanten zu töten und dem »großen Herrn« lagen schon hundert Meilen, und da der »große Herr« von Natur äußerst lebhaft war, so antwortete er ohne weiteres:

»Du bist ein Esel!«

Unglücklicherweise war ihm entfallen, wie Esel in der Ki-swahili-Sprache heißt, und er sagte auf englisch »Donkey«. Kali aber, der englisch nicht verstand, hielt diesen Ausdruck für irgendeine Schmeichelei oder ein Lob; denn nach einer Weile hörten die Kinder, wie er prahlerisch zu Mea sagte:

»Mea, schwarze Haut und schwarzen Verstand, Kali aber ein Donkey!«

Und voller Stolz fügte er hinzu:

»Der ›große Herr‹ haben selbst gesagt, Kali sein Donkey.«

Nachdem Staß Mea und Kali befohlen hatte, die Herrin wie ihren Augapfel zu hüten und im Notfalle ihn sofort heraufzurufen, nahm er die Flinte und ging zu dem gestürzten Felsen, der den Hohlweg abschloß. Er besichtigte ihn aufmerksam, untersuchte alle seine Spalten und steckte eine Rute in eine Ritze, die im unteren Teil des Felsens war. Er maß sorgfältig die Tiefe des Spaltes ab, und kehrte darauf langsam und gedankenvoll zum Lager zurück. Hier öffnete er den Patronenkasten und begann seinen Inhalt zu zählen.

Kaum hatte er bis dreihundert gezählt, als vom Baobab, der etwa fünfzig Schritt vom Zelt entfernt wuchs, Meas Stimme erscholl: »Herr! Herr!«

Staß näherte sich dem Riesenbaum, dessen vermoderter, unten ausgehöhlter Stamm wie ein Turm aussah, und fragte:

»Was willst du?«

»Nicht weit von hier sind viele Zebras zu sehen und noch weiter hinten Antilopen.«

»Gut, ich werde die Flinte nehmen und hingehen, denn wir brauchen geräuchertes Fleisch. Aber warum bist du auf den Baum geklettert, und was machst du da oben?«

Das Mädchen beantwortete die Frage mit ihrer traurigen, singenden Stimme:

»Mea sah ein Nest grauer Papageien und wollte der jungen Herrin welche bringen; aber das Nest ist leer. Mea wird also keine Perlenkette um den Hals kriegen.«

»Du wirst sie deshalb bekommen, weil du das Fräulein liebst.«

Die junge Negerin kroch so schnell wie sie konnte an der höckrigen Rinde herunter und begann mit vor Freude glänzenden Augen zu wiederholen:

»O ja! O ja! Mea liebt sie sehr – und Glasperlen auch!«

Staß streichelte ihr gnädig den Kopf, nahm dann die Flinte, schloß das Kästchen mit den Patronen ab und schritt der Richtung zu, wo die Zebras weideten. Nach einer halben Stunde hörte man den Widerhall eines Schusses im Lager, und eine halbe Stunde darauf kehrte der junge Jäger mit der guten Neuigkeit zurück, daß er ein junges Zebra erlegt habe, und daß die Gegend reich an Tieren sei. Er hatte von einer Anhöhe aus außer den Zebras auch große Antilopenherden, Aryelen und Wasserziegenböcke gesehen, die in der Nähe des Flusses weideten.

Darauf wies er Kali an, ein Pferd zu nehmen und sich zur Abholung des erlegten Wildes auf den Weg zu machen. Er selbst aber begann, den Riesenstamm des Baobab sorgfältig zu untersuchen, rings um ihn herumzugehen und die rauhe Rinde mit Kolbenschlägen abzuhören.

»Was machst du da?« fragte ihn Nel.

Und er antwortete:

»Sieh nur, was für ein Riese! Fünfzehn Mann könnten mit ihren Armen diesen Baum nicht umspannen, der vielleicht noch auf die Zeiten der Pharaonen zurückblicken kann. Aber sein Stamm ist im unteren Teile morsch und hohl. Siehst du diese Öffnung, durch die man leicht nach innen gelangt? Das gäbe eine große Hütte, in der wir alle Platz finden würden. Der Gedanke kam mir, als ich Mea zwischen den Zweigen sah, und auf dem Wege zu den Zebras habe ich die ganze Zeit daran gedacht.«

»Aber wir wollen doch nach Abessinien fliehen!«

»Ja, aber wie ich schon gestern sagte, wir müssen uns erst ausruhen. Und ich habe beschlossen, hier eine bis zwei Wochen zu bleiben. Du willst deinen Elefanten nicht verlassen, und ich bin deinetwegen ängstlich, zu reisen, da die Regenzeit schon begonnen hat, während der das Fieber sicherlich herrscht. Heute ist gutes Wetter, du siehst aber, daß sich die Wolken immer dichter anhäufen, und wer weiß, ob es nicht noch vor dem Abend gießen wird. Das Zelt schützt nicht genügend. Im Baobab aber, vorausgesetzt, daß er nicht bis oben hin morsch und hohl ist, können wir uns über den größten Platzregen lustig machen. Wir wohnen im Baume auch sicherlich gefahrloser als im Zelt, wenn wir jeden Abend die Öffnung und das Fensterchen, das wir des Lichtes wegen uns machen werden, mit Dornen verschließen. Dann können rings um uns herum so viele Löwen brüllen wie wollen. Die Frühlingsregenperiode dauert nicht länger als einen Monat, und ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß wir sie abwarten müssen. Und wenn das nötig ist, so ist es besser hier als anderswo und besser in diesem Riesenstamme als im Zelt.«

Da Nel auf alles einging, was Staß wollte, so war sie zufrieden. Diesmal um so mehr, als der Gedanke, beim Elefanten zu bleiben und im Baobab zu wohnen, ihr außerordentlich gefiel. Sie begann nun gleich zu überlegen, wie sie die Zimmer einteilen und wie sie sie ausmöblieren werde. Und sie malte schon aus, wie sie sich gegenseitig zum » five o'clock« und zum » dinner« einladen wollten. Zuletzt wurden beide Kinder sehr lustig, und Nel wollte sich sogleich in der neuen Wohnung umsehen. Staß aber, der mit jedem Tage erfahrener und vorsichtiger wurde, hielt sie von dem übereilten wirtschaftlichen Gelüsten zurück.

»Bevor wir uns dort niederlassen,« sagte er, »müssen wir die bisherigen Bewohner hinauskomplimentieren, falls sich welche dort befinden sollten.«

Er befahl Mea, einige brennende Zweige, die, weil sie frisch waren, viel Rauch entwickelten, in das Innere des Baobab hineinzuwerfen.

Und es zeigte sich, daß er gut daran getan hatte. Denn der Riesenbaum war bewohnt, und zwar von Herrschaften, auf deren Gastfreundlichkeit man nicht rechnen konnte.


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