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Schwere, qualvolle Tage des Wartens folgten nun. Der zweite Anfall folgte erst in einer Woche, er war nicht so heftig wie der erste. Aber Nel fühlte sich danach noch schwächer. Sie magerte ab und wurde so elend, daß sie nicht wiederzuerkennen war und nur noch einem Schatten glich. Ihr Lebensfunke glomm so schwach, ein Hauch konnte genügen, ihn auszulöschen. Und Staß begriff, daß der Tod nicht erst auf den dritten Anfall zu warten brauchte, daß er sie jeden Tag, jede Stunde mit sich fortführen konnte.
Auch er selbst war mager und gelb geworden, denn das Unglück überstieg seine körperlichen und geistigen Kräfte. Er sah auf das wächserne Gesicht seiner kleinen Gefährtin und fragte sich immer wieder: »Habe ich sie dazu behütet wie meinen Augapfel, daß ich sie hier im Dschungel bestatten muß?« Und er konnte es gar nicht fassen, warum das sein mußte. Zeitweilig überhäufte er sich mit Vorwürfen, daß er sie nicht genügend behütet habe, daß er nicht gut genug zu ihr gewesen sei, und dann schnürte ihm ein solches Weh das Herz in der Brust zusammen, daß er sich in seine eigenen Finger hätte beißen mögen. Es war eben zu viel des Unglücks auf einmal.
Nel schlief jetzt fast ununterbrochen, und wahrscheinlich erhielt sie das am Leben. Staß weckte sie jedoch mehrmals am Tage, um sie zu stärken. Wenn es nicht regnete, bat sie ihn dann, sie doch an die Luft zu tragen, da sie sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte. Oft jedoch geschah es sogar, daß sie auf seinen Armen schon wieder einschlief. Sie wußte nun, daß sie sehr krank war und jeden Tag sterben konnte. In den Augenblicken, wo sie sich kräftiger fühlte, sprach sie mit Staß darüber, aber immer weinend, denn sie fürchtete sich vor dem Tode.
»Ich werde nicht mehr zum Väterchen zurückkehren,« sagte sie einmal, »aber sage Väterchen, daß es mir sehr weh getan hat, und bitte ihn, daß er hierher zu mir kommen möchte.«
»Du wirst ja zurückkehren«, erwiderte Staß.
Weiter konnte er nicht sprechen, denn ihm kam das Weinen.
Nel aber sprach mit kaum vernehmlicher, schläfriger Stimme weiter:
»Und Väterchen wird hergereist kommen, – und du wirst auch mal herkommen, – – nicht wahr?«
Bei diesem Gedanken erhellte ein Lächeln ihr elendes Gesicht, dann fuhr sie noch leiser fort:
»Aber es tut mir so furchtbar weh – –«
Indem sie so sprach, lehnte sie ihr Köpfchen an seine Brust und begann zu weinen; er aber überwand seinen eigenen Schmerz, preßte sie fest an seine Brust und entgegnete schnell:
»Nel, ohne dich kehre ich nicht zurück, und – ich weiß gar nicht, was ich ohne dich auf der Welt noch soll.«
Dann trat Schweigen ein, und Nel schlief ein. Staß trug sie in den Baum zurück. Aber kaum war er wieder draußen, als Kali, mit den Armen umherfuchtelnd, angerannt kam und mit erschrockenem und aufgeregtem Gesicht zu rufen begann:
»Großer Herr! Großer Herr!«
»Was willst du?« fragte Staß.
Und der Neger streckte die Hände aus, und nach Süden zeigend, sagte er:
»Rauch!«
Staß beschirmte die Augen mit der Hand, sah nach der bezeichneten Richtung und bemerkte wirklich in dem rötlichen Licht der schon tief stehenden Sonne einen schmalen Streifen Rauch, der sich in der Ferne über dem Dschungel erhob, zwischen den Spitzen zwei in der Ferne liegender, ziemlich hoher Hügel.
Kali zitterte am ganzen Leibe, denn er entsann sich nur zu gut der furchtbaren Gefangenschaft bei den Derwischen, und er war überzeugt, daß dies ihr Lager wäre. Auch Staß war der Ansicht, daß es niemand anderes als Smain sein könnte, und er erschrak im ersten Augenblick sehr. Das hatte noch gefehlt! Außer der tödlichen Krankheit Nels noch die Derwische! Und wieder Gefangenschaft und wieder Rückkehr nach Faschoda oder Chartum unter des Mahdis Gewalt oder unter Abdullahs Knute! Nel würde gleich am ersten Tage nach der Gefangennahme sterben, und er konnte dann für den Rest seines Lebens ihr Sklave werden. Und selbst wenn er einmal entfliehen konnte, was nützte ihm seine Freiheit, sein Leben ohne Nel? Wie würde er je in die Augen Rawlisons sehen können, wenn die Derwische sie nach ihrem Tode den Hyänen preisgegeben hätten, und er nicht einmal dem unglücklichen Vater ihr Grab zeigen konnte.
Wie der Blitz durchschossen alle diese Gedanken seinen Kopf. Plötzlich fühlte er den unbezwingbaren Drang, Nel zu sehen. Er schritt zu dem Baume und befahl vorher Kali, das Feuer auszulöschen und in der Nacht kein neues anzuzünden. Dann ging er in das Innere.
Nel schlief nicht; sie fühlte sich besser und teilte diese Nachricht sogleich Staß mit. Sabà lag neben ihr und wärmte sie mit seinem Riesenkörper, und sie streichelte ihn leicht über den Kopf und lächelte, wenn er mit seiner Schnauze nach den Stäubchen schnappte, die in den Lichtstreifen umhertanzten, welche die untergehende Sonne durch die Öffnung in das Innere des Baumes warf. Es war klar, daß sie sich in wesentlich hoffnungsfroherer Stimmung befand. Denn nach einer Weile sagte sie mit heiterer Miene zu Staß:
»Vielleicht werde ich doch nicht sterben!«
»Ganz gewiß nicht, Nel«, antwortete Staß. »Sobald du dich nach dem zweiten Anfall kräftiger fühlst, wird der dritte gar nicht kommen.«
Sie begann mit den Augenlidern zu blinzeln und sagte sinnend:
»Wenn ich ein bitteres Pulver hätte, solches, was mir nach jener Nacht mit den Löwen so gut tat – du weißt doch – so würde ich nicht ein bißchen mehr ans Sterben denken, nicht so viel!«
Und sie zeigte mit dem Fingerchen, wie wenig sie dann daran denken würde.
»Ach, ich weiß nicht,« rief Staß, »was ich für ein Krümchen Chinin geben würde!«
Und er malte sich aus, wie er Nel sogar zwei Pulver mit einem Male reichen würde, wenn er genug Chinin hätte; wie er sie dann in ein Plaid einhüllen und vor sich aufs Pferd nehmen würde, um mit ihr sofort nach der dem Lager der Derwische entgegengesetzten Richtung aufzubrechen.
Inzwischen war die Sonne untergegangen, und das Dschungel versank in Dunkelheit.
Das kleine Mädchen plauderte noch fast eine halbe Stunde lang, dann schlief es ein. Staß hatte wieder Zeit, sich seinen Gedanken über die Derwische und über Chinin hinzugeben. Sein gequälter, aber ungewöhnlich erfinderischer Kopf begann zu arbeiten und Pläne zu schmieden, einen immer kühner und verwegener als den anderen. Zuerst überlegte er, ob dieser im Süden aufsteigende Rauch notwendig aus Smains Lager kommen müßte. Es konnten wohl Derwische, aber auch ebensogut Araber sein, die vom Ozean aus große Züge in das Innere des Festlandes unternahmen, um Elfenbein und Sklaven zu sammeln. Diese hatten keine gemeinsamen Interessen mit den Derwischen, die ihnen den Handel verdarben. Es mochte auch ein Lager von Abessiniern sein oder ein Negerdorf, bis zu dem die raubsüchtigen Menschenjäger noch nicht vorgedrungen waren. Mußte man sich nicht davon überzeugen?
Die Araber aus Sansibar und aus der Umgegend von Bagamojo, Witu, Mombassa und besonders die aus den Küstengegenden sind Menschen, die schon viel mit Weißen in Berührung gekommen sind. Wer weiß, ob sie es nicht für eine größere Belohnung unternehmen würden, sie beide nach einem der nächsten Häfen zu bringen? Staß wußte genau, daß er eine solche Belohnung versprechen durfte, und daß man seinem Versprechen Glauben schenken würde. Und nun fiel ihm noch etwas anderes ein, was seine Seele aufs tiefste erregte. Er hatte gesehen, daß in Chartum viele Derwische, insbesondere die aus Nubien, ebenso wie die Weißen am Fieber erkrankten und sich mit Chinin kurierten, das sie den Europäern raubten oder auch mit schwerem Golde aufwogen, wenn abtrünnige Griechen oder Kopten es zu gut vor ihnen verborgen hielten. Daher war es wohl ziemlich sicher zu erwarten, daß die vom Ozean kommenden Araber Chinin bei sich hatten.
»Ich gehe hin,« entschloß sich Staß, »ich gehe Nels wegen hin.«
Und die Lage immer gründlicher erwägend, kam er schließlich zu der Überzeugung, daß es notwendig sei, hinzugehen, selbst dann, wenn es Smains Lager sein sollte. Es fiel ihm ein, daß infolge der völligen Verkehrsunterbrechung zwischen Ägypten und dem Sudan Smain wahrscheinlich gar nichts von ihrer Entführung aus Fayum wußte. Fatima konnte sich nicht mit ihm verständigt haben, und diese Entführung war ihr eigener Einfall, den sie mit Hilfe von Chamis, Idrys, Gebhr und zwei Beduinen ausgeführt hatte. Diese Leute gingen Smain aber nichts an, weil er allein Chamis kannte, die anderen aber nie im Leben gesehen hatte. Er hatte nur ein Interesse an seinen eigenen Kindern und an Fatima. Vielleicht auch sehnte er sich schon nach ihnen und wäre froh, zurückkehren zu können, insbesondere, falls ihm der Dienst beim Mahdi schon über geworden war. Große Karriere hatte er ja nicht gerade beim Mahdi gemacht; denn anstatt eine große Truppe zu befehligen oder irgendein großes Land zu verwalten, mußte er Gott weiß wo hinter Faschoda auf Sklaven Jagd machen. – Ich werde so zu ihm sprechen, dachte Staß: »Wenn du uns nach irgendeinem Hafen am Indischen Ozean bringst und mit uns nach Ägypten zurückkehrst, so wird dir die Regierung alle deine Vergehen verzeihen. Du wirst Fatima und deine Kinder wiedersehen, und Herr Rawlison wird dich außerdem zu einem reichen Mann machen. Tust du es aber nicht, so wirst du in deinem ganzen Leben Fatima und deine Kinder nicht wieder zu sehen bekommen.« Und Staß war überzeugt, daß Smain sich die Sache reiflich überlegen würde, ehe er einen solchen Vorschlag zurückwies.
Es war klar, gefahrlos war das alles nicht, es könnte sich sogar als höchst verderblich herausstellen, aber ebensogut konnte es das Rettungsseil werden, das sie aus diesem afrikanischen Abgrund holte. Zu guter Letzt begann sich Staß sogar darüber zu wundern, was ihn zuerst an der Möglichkeit, mit Smain zusammenzutreffen, so erschreckt hatte. Und da es sich um schnelle Hilfe für Nel handelte, beschloß er, noch in dieser Nacht hinzugehen.
Das war aber leichter gesagt, als getan. Es ist ein ander Ding, des Nachts bei einem guten Feuer hinter einer Zeriba aus Dornen im Dschungel zu sitzen, als sich in der Finsternis durch das hohe Gras hindurch zu schlängeln, in dem zu diesen Stunden Löwen, Panther und Leoparden ihre Jagd halten, die Hyänen und Schakale gar nicht gerechnet. Der Knabe gedachte aber der Worte des jungen Negers dazumal, als er sich aufgemacht, um Sabà zu suchen und mit dem Hunde zurückgekehrt, sagte: »Kali sich fürchten, aber doch gehen.« Und Staß wiederholte sich die gleichen Worte: »Ich werde mich fürchten, aber ich werde hingehen.«
Er wartete jedoch den Aufgang des Mondes ab, denn die Nacht war außergewöhnlich dunkel, und erst als das Dschungel vom silbernen Glanze des Mondes beleuchtet war, rief er Kali zu sich und sprach:
»Kali, nimm Sabà in den Baum hinein, verstopfe den Eingang dicht mit Dornen und bewache mit Mea zusammen das Fräulein wie euren Augapfel. Ich gehe, um nachzusehen, was das für Leute dort im Lager sind.«
»Großer Herr, Kali und Flinte mitnehmen, die böse Tiere tötet. Kali bleiben nicht hier.«
»Du bleibst!« sagte nachdrücklich Staß, »ich verbiete dir, mit mir zu gehen.«
Dann schwieg Staß, ließ sich aber nach kurzer Zeit wieder vernehmen:
»Kali, du bist treu und klug, und ich hoffe daher, daß du erfüllen wirst, was ich dir sage. Sollte ich nicht zurückkommen und das Fräulein sterben, so lasse es im Baume liegen. Aber rings um den Baum errichte eine hohe Zeriba, und in die Rinde schneide ein großes Zeichen, wie ich dir jetzt zeige.«
Und er nahm zwei Bambusstäbe und legte sie zu einem Kreuz übereinander.
»Wenn Bibi aber nicht stirbt, so mußt du sie, falls ich nicht zurückkehre, hochachten und ihr treu dienen. Du wirst sie zu deinen Leuten begleiten und den Kriegern der Wa-hima sagen, daß sie mit ihr immer gen Osten bis zum großen Meer ziehen sollen. Dort wirst du weiße Menschen finden, die euch zum Lohne sehr viele Flinten, Pulver, Glasperlen, Draht und eine Menge Leinwand geben, so viel, wie ihr nur imstande seid, fortzuschaffen. Verstehst du?«
Der junge Neger aber warf sich vor Staß auf die Knie und begann klagend zu wiederholen:
»O Bwana Kubwa! Zurückkehren, zurückkehren, zurückkehren!«
Staß wurde durch die Anhänglichkeit des schwarzen Knaben gerührt, er legte daher seine Hände auf Kalis Kopf und sagte:
»Geh in den Baum, Kali – und – möge Gott dich segnen!«
Als Staß allein war, überlegte er noch eine Zeitlang, ob er nicht den Esel mitnehmen sollte. Das war gefahrloser, denn die Löwen in Afrika pflegen sich ebenso wie die Tiger in Indien, wenn sie einen Reiter treffen, immer auf das Reittier und nicht auf den Menschen zu stürzen. Aber er fragte sich gleichzeitig, wer nach dem Tode des Esels Nels Zelt und sie selbst tragen sollte. Er ließ daher den Gedanken, den Esel mitzunehmen, sofort fallen und begab sich zu Fuß in das Dschungel.
Der Mond war inzwischen schon ganz hochgestiegen, und es war viel heller. Sobald Staß in dem Grase verschwand, das schon so hochgeschossen war, daß ein Mensch zu Pferde sich leicht in ihm verstecken konnte, begannen die Schwierigkeiten. Selbst am Tage war man nicht imstande, einen Schritt weit zu sehen, um wieviel weniger jetzt in der Nacht, wo das Mondlicht nur die Spitzen der Gräser beleuchtete, während unten alles im tiefen Schatten lag. Wie leicht war es unter diesen Verhältnissen möglich, den Weg zu verfehlen und im Kreise zu gehen, anstatt vorwärts zu kommen. Allein der Gedanke machte Staß Mut, daß das Lager höchstens drei bis vier Meilen entfernt lag, und daß der Rauch zwischen den Kuppen zweier hoher Hügel emporstieg, die er fest im Auge behalten wollte, um den Weg nicht zu verfehlen. Die Gräser, Mimosen und Akazien verdeckten zwar alles, aber zum Glück erhoben sich fast alle zehn Schritt zuweilen zehn Fuß hohe Termitenhügel. Staß nahm jedesmal die Flinte ab und kroch auf den Hügel hinauf, hielt nach den sich vom Himmel schwarz abhebenden Anhöhen Umschau und ging dann erst weiter seines Weges. Schrecken befiel ihn bei dem Gedanken, was geschehen könnte, wenn Himmel und Mond sich mit Wolken bedeckten, so daß es so finster um ihn würde, als wenn er sich unter der Erde befände.
Doch das war nicht die einzige Gefahr. Das Dschungel ist in der Nacht, wo man in der Stille jeden Laut hört, jeden Schritt und sogar fast jedes Geräusch, das die im Gras herumkriechenden Insekten verursachen, einfach entsetzlich. Grauen und Schrecken schweben über ihm. Staß mußte auf alles acht geben, lauschen, wachen, den Kopf wie auf einer Schraube nach allen Seiten umwenden und jede Minute schußbereit sein. Alle Augenblicke schien es ihm, als ob sich ihm etwas näherte, etwas an ihn heranschliche, auf der Lauer läge. Von Zeit zu Zeit hörte er die Gräser sich bewegen und plötzlich die Hufschläge fliehender Tiere. Er erriet, daß es Antilopen waren, die er aufscheuchte und die trotz der aufgestellten Wachen nur einen leisen Schlaf haben, da sie wissen, daß mehr als ein schrecklicher fahlgelber Jäger zu der Zeit in der Dunkelheit des Dschungels auf Jagd geht. Dort sieht er etwas Großes, Schwarzes unter der schirmartigen Akazie liegen, – vielleicht ein Felsen, vielleicht ein Nashorn oder ein Büffel, der aus dem Schlummer erwacht, da er einen Menschen in der Nähe wittert, und nun zum Angriff bereit ist. Und dort wieder, hinter dem schwarzen Busch, sind zwei leuchtende Punkte. Schnell die Flinte ans Gesicht, es ist ein Löwe! – – Nein, blinder Lärm! Es sind Leuchtkäfer, denn eins der Pünktchen fliegt in die Höhe und über den Gräsern dahin wie eine schräg fallende Sternschnuppe. – Unermüdlich erklettert Staß alle Termitenhügel, nicht nur, um Umschau zu halten, sondern auch, um sich die in kalten Schweiß gebadete Stirn zu trocknen, um tief Atem zu holen und abzuwarten, bis sich sein gar zu schnell schlagendes Herz wieder beruhigt. Außerdem war er schon so erschöpft, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Und doch ging er vorwärts, beseelt von dem Gedanken, daß es für Nels Rettung notwendig sei. Nach zwei Stunden befand er sich auf dicht mit Steinen bestreutem Boden, wo das Gras niedriger stand und man bedeutend besser um sich blicken konnte. Die beiden Hügel hoben sich in noch ebenso weiter Ferne vom Himmel ab, dagegen verlief ganz nahe in der Quere ein Felsenkamm, hinter dem ein zweiter, höherer hervorragte. Beide schlossen anscheinend ein Tal oder eine Schlucht ein, ähnlich derjenigen, in der King gefangen war. Plötzlich bemerkte Staß drei- oder vierhundert Schritt entfernt auf der rechten Felsenwand den rosigen Widerschein eines Feuers.
Er blieb stehen. Sein Herz schlug wieder so heftig, daß er es in der nächtlichen Stille beinahe zu hören glaubte. Wen wird er dort unten sehen? – Araber von der Ostküste? Smains Derwische oder jene wilden Neger, die die heimatlichen Dörfer verlassen hatten, um sich vor den Derwischen in dem unzugänglichen Bergdickicht zu verstecken? Sollte er den Tod oder Gefangenschaft oder Rettung für Nel finden?
Es galt, sich Gewißheit darüber zu verschaffen; denn sich zurückziehen konnte und wollte er nicht mehr. Nach einiger Zeit begann er in der Richtung auf das Feuer heranzuschleichen, möglichst leise und mit verhaltenem Atem. Als er ungefähr hundert Schritte zurückgelegt hatte, hörte er plötzlich vom Dschungel her Pferdegewieher. Er blieb wieder stehen. Beim Mondschein zählte er ihrer fünf. Für die Derwische waren es zu wenig; aber er nahm an, daß der Rest vielleicht in dem hohen Grase verborgen sei. Er wunderte sich nur, daß keine Wache bei den Tieren war, und daß man zum Schutz der Pferde kein Feuer angezündet hatte, um die wilden Tiere abzuschrecken. Aber er dankte Gott, daß dem so war, denn so konnte er sich unbemerkt weiter vorwärts bewegen.
Der Feuerschein auf dem Felsen wurde immer heller. Eine Viertelstunde später befand sich Staß der Stelle gegenüber, wo der Felsen am stärksten beleuchtet war, was bewies, daß dort am Fuße desselben das Feuer brennen mußte.
Kriechend näherte sich Staß langsam dem Felsrande und sah nach unten. Der erste Gegenstand, auf den seine Blicke fielen, war ein großes Zelt, vor dem ein mit Leinwand bekleidetes Feldbett stand. Auf dem Bett lag ein in einem weißen europäischen Anzug gekleideter Mann.
Ein kleiner, etwa zwölfjähriger Neger legte trockene Zweige auf das Feuer, das die Felswände und zwei Reihen schlafender Neger, die zu beiden Seiten des Zeltes lagen, beleuchtete.
Im Umsehen ließ sich Staß die Böschung hinunter auf den Grund der Schlucht gleiten.