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Bei Tische überraschten die Väter ihre Kinder mit einer frohen Nachricht. Tarkowski und Rawlison, bekannt als hervorragende Ingenieure, waren vor einigen Wochen aufgefordert worden, die Arbeiten zu besichtigen, die im ganzen Kanalnetz der Provinz El-Fayum, in der Umgegend der Stadt Medinet, unweit des Karounsees, längs der Flüsse Jussef und Nil ausgeführt wurden. Sie mußten dort einen Monat verweilen, wozu sie von ihrer Gesellschaft Urlaub erhalten hatten. Beide hatten beschlossen, die Kinder des nahenden Weihnachtsfestes wegen mitzunehmen. Als Staß und Nel das hörten, gerieten sie vor Freude ganz außer sich. Sie kannten zwar schon Ismalia und Suez und hinter dem Kanal Alexandria und Kairo, wo sie die großen Pyramiden und die Sphinx gesehen hatten, aber das alles waren nur kleine Exkursionen, während man nach Medinet-el-Fayum einen ganzen Tag lang mit der Eisenbahn südlich den Nil entlang fahren mußte, bis man sich von El-Wasta aus westlich der Libyschen Wüste zuwandte. Staß hatte von Ingenieuren und Reisenden schon viel von Medinet gehört, die nach dort durch die Wüste gereist waren, um auf allerlei Wasservögel, Wölfe und Hyänen Jagd zu machen. Er wußte, daß es eine große Oase war, die am linken Ufer des Nils lag, die aber in keiner Verbindung mit seinem Wasser stand, sondern von einem eigenen Wassernetz berieselt wurde, das aus dem Karounsee, dem Bahr-Jussef und einer Reihe anderer kleiner Kanäle gespeist wurde. Wer in dieser Oase gewesen war, sagte, daß, obwohl dieses Land ein Teil Ägyptens bildet, es dennoch ein selbständiges Ganzes für sich sei, wohl weil es durch eine Wüste von dem anderen Ägypten getrennt wird. Einzig der Fluß Jussef verbindet, einem schmalen, blauen Bändchen gleich, diese Gegend mit dem Niltal. Der große Wasserreichtum, die Fruchtbarkeit des Bodens und die üppige Vegetation haben aus diesem Fleckchen Erde ein Paradies geschaffen, das nebst den großen Ruinen der Stadt Krokodilopolis das Interesse von Hunderten wißbegieriger Reisenden auf sich zieht. Staß aber interessierte sich am meisten für die Ufer des Karounsees mit seinen Scharen von Vögeln und für die Jagd auf Wölfe in dem wüsten Hügellande von Guebel-el-Sedment.
Da Staß' Ferien erst in einigen Tagen begannen, die Revision der Kanalarbeiten aber sehr drängte und die Erwachsenen es daher sehr eilig hatten, so beschlossen die Väter, gleich abzureisen, während die Kinder erst in einer Woche mit Madame Olivier nachkommen sollten. Staß und Nel wären natürlich am liebsten gleich mitgefahren, aber Staß wagte nicht, darum zu bitten, und so blieb es dabei. Die Kinder fragten nach allem möglichen, was die Reise betraf, und erfuhren mit neuer Freude, daß sie nicht in den unbequemen Hotels wohnen sollten, die dort von Griechen unterhalten werden, sondern in den von der Cookschen Reisegesellschaft erbauten Zelten, wie für gewöhnlich Reisende, die von Kairo aus für längere Zeit nach Medinet gehen, zu tun pflegen. Cook liefert Zelte, Bedienung, Köche, Pferde, Esel, Kamele, Führer und auch den Proviant, so daß der Reisende sich um nichts zu kümmern hat. Auf diese Art zu reisen, ist natürlich sehr kostspielig, aber Tarkowski und Rawlison brauchten damit nicht zu rechnen, da die ägyptische Regierung sämtliche Ausgaben auf sich genommen hatte. Nel, die es über alles liebte, auf Kamelen zu reiten, versprach der Vater ein ganz besonders höckriges Kamel, auf dem sie mit Madame Olivier oder mit Dinah und manchmal auch mit Staß an den gemeinsamen Ritten durch die Wüste teilnehmen durfte. Und Tarkowski versicherte Staß, daß er es ihm einmal erlauben werde, nachts auf die Wolfsjagd zu gehen. Er versprach seinem Sohne auch, falls er ein gutes Zeugnis bringen werde, einen echten englischen Stutzen und verschiedene andere Jagdgeräte, und, da Staß eines solchen Zeugnisses sicher war, so fühlte er sich schon als Besitzer dieses Stutzens, mit dem er eine Menge wunderbarer und ruhmvoller Taten zu vollbringen gedachte. Unter derlei Plänen und Gesprächen verging für die glücklichen Kinder das Mittagessen. Weniger erbaut war Madame Olivier von der Aussicht dieser Reise. Sie verließ ungern die komfortable Villa in Port Said, und der Gedanke, mehrere Wochen lang in einem Zelte zu leben und zumeist auf Kamelen zu reisen, schreckte sie. Sie hatte bereits mehrmals Gelegenheit gehabt, solche Reisefreuden zu kosten, gewöhnlich reisen alle Europäer, die in Ägypten leben, einmal aus Neugier so, aber alle ihre Fahrten hatten sehr kläglich geendet. Einmal war das Kamel zu früh aufgestanden, bevor sie sich noch fest in dem Sattel zurechtgesetzt hatte, so daß sie über den Rücken des Tieres zu Boden fiel. Ein andermal hatte sie das an leichte Lasten nicht gewohnte Dromedar so durchgeschüttelt, daß sie sich zwei Tage lang nicht davon erholen konnte. Kurz, so viele Male Nel auch nach den bisherigen zwei oder drei mit Erlaubnis von Rawlison unternommenen Kamelritten versicherte, daß es nichts Schöneres auf der Welt gäbe, Madame Olivier hatte ebenso viele unangenehme Erinnerungen daran. Ihrer Meinung nach war diese Art zu reisen wohl für Araber und so kleine Krümelchen wie Nel geeignet, die dabei nicht mehr als eine auf dem Buckel des Tieres sitzende Fliege durchschüttelt werden, aber nicht für Erwachsene, ernste und schon etwas gewichtige Personen, die nebenbei noch sehr zu der widerwärtigen Seekrankheit neigen.
Hinsichtlich Medinet-el-Fayum hatte sie noch ihre besonderen Befürchtungen. In Port Said, Alexandria, Kairo und in ganz Ägypten sprach man von nichts anderem als von dem Mahdiaufstand und von den Bestialitäten der Derwische. Madame Olivier, die nicht genau wußte, wo Medinet lag, ängstigte sich, den Mahdisten dort zu nahe zu sein, und sie begann, Rawlison darüber auszufragen.
Rawlison lächelte aber und sagte:
»Der Mahdi belagert jetzt Chartum, wo sich der General Gordon verteidigt. Wissen Sie denn, wie weit Chartum von Medinet entfernt liegt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Ungefähr ebenso weit wie Sizilien von hier«, erklärte ihr Tarkowski.
»Mehr oder weniger, was tut's«, warf Staß ein. »Chartum liegt am Zusammenfluß des Blauen und des Weißen Nils. Ein gut Stück Ägyptens und ganz Nubien trennen uns noch davon.«
Staß hätte gern noch hinzugefügt, daß, wenn Medinet dicht bei Chartum und den aufrührerischen Gegenden läge, es selbst dann keine Gefahr gäbe, da er ja mit einem Stutzen da wäre, aber er erinnerte sich zur rechten Zeit, daß er für solche Prahlereien schon mehrfach vom Vater Schelte bekommen, und so schwieg er lieber.
Die Erwachsenen begannen nun vom Mahdi und dem Aufstande zu sprechen, da dies natürlich jetzt die wichtigste Angelegenheit Ägyptens war. Die über Chartum eingetroffenen Nachrichten waren gerade nicht tröstlich. Schon seit sechs Wochen wurde die Stadt von den wilden Horden belagert, und die ägyptische Regierung war sehr langsam in ihrem Handeln. Der Entsatz für die Stadt war kaum aufgebrochen, und man fürchtete, daß trotz der Tapferkeit und der Fähigkeiten Gordons die Stadt in die Hände der Barbaren fallen würde. Dieser Meinung war auch Tarkowski, der England im Verdacht hatte, daß es im geheimen sehr wünsche, der Mahdi möchte den Ägyptern den Sudan nehmen, um dieses Land späterhin dem Mahdi zu entreißen, und dieses ungeheure Gebiet in englischen Besitz zu nehmen. Um jedoch die patriotischen Gefühle Rawlisons nicht zu kränken, verschwieg Tarkowski diese Überzeugung.
Als man mit dem Essen schon fast fertig war, erkundigte sich Staß, warum die ägyptische Regierung alle Länder südlich von Nubien an sich gerissen, und zwar Kordofan, Darfur und den Sudan bis dicht zum Albert-Njansa-See, und dadurch die dortigen Bewohner ihrer Freiheit beraubt habe. Rawlison erklärte ihm, daß die ägyptische Regierung es auf den Rat Englands getan hätte, welches das Protektorat über Ägypten ausübte und dort nach eigenem Ermessen schaltete und waltete.
»Die ägyptische Regierung nahm niemand seine Freiheit,« sagte er, »im Gegenteil, sie gab sie Millionen von Menschen zurück. Kordofan, Darfur und der Sudan waren zu guter Letzt keine unabhängigen Staaten. Bald machte dieser, bald jener kleine Herrscher Ansprüche auf diese Länder. Er bemächtigte sich ihrer mit Gewalt, gegen den Willen der Bevölkerung. Zum großen Teil sind die Länder von Stämmen arabisch-negrischer Herkunft bewohnt, d. h. von Menschen, die das Blut dieser beiden Rassen in sich haben. Die einzelnen Stämme lebten in ständigem Unfrieden miteinander. Sie überfielen sich, raubten sich gegenseitig Pferde, Kamele, Hornvieh und vor allen Dingen Sklaven. Selbstverständlich nicht, ohne die schlimmsten Grausamkeiten dabei zu begehen. Am schlimmsten trieben es die Elefanten- und Sklavenjäger. Sie bildeten sozusagen eine Klasse für sich, zu der fast alle Stammhäuptlinge und die reichsten Kaufleute gehörten. Man unternahm bewaffnete Züge in das innere Afrika, raubte Elfenbein und führte Tausende von Menschen – Männer, Weiber und Kinder – in die Sklaverei. Sie zerstörten Dörfer und ganze Ortschaften, vergossen Ströme von Blut und töteten alles, was sich ihnen widersetzte. Es war so weit gekommen, daß die südlichen Teile des Sudans, Darfur und Kordofan, und auch die Gegenden am oberen Nil bis dicht zum See fast ganz entvölkert waren. Und diese arabischen Banden drangen noch immer weiter und weiter in das Innere vor, so daß Zentralafrika schließlich zu einem Lande voll Tränen und Blut wurde. Und so willigte England, das, wie du ja weißt, den Sklavenhandel in der ganzen Welt verfolgt, ein, daß die ägyptische Regierung Kordofan, Darfur und den Sudan besetzte, da dies das einzige Mittel war, diesen räuberischen Horden ihr Handwerk zu legen und sie in Zucht zu halten. Die unglücklichen Neger fingen an, ein besseres Leben zu führen, die Überfälle und Ausplünderungen hörten fast ganz auf, und man begann einigermaßen nach Gesetz und Recht zu leben. Aber diese Zustände paßten augenscheinlich den Händlern nicht. Und als Mohammed Achmed auftauchte, der sich jetzt der Mahdi nennt, und unter dem Vorwand, daß in Ägypten die wahre Religion Mohammeds untergehe, den heiligen Krieg verkündete, da griffen alle diese Leute wieder zu den Waffen. Es begann dieser schreckliche Krieg, in dem die Ägypter bisher unterlegen sind. In allen Schlachten schlug der Mahdi die Regierungstruppen; er nahm Kordofan, Darfur und den Sudan ein. Gegenwärtig belagern seine Horden Chartum und sind auf dem Wege nach Norden bis dicht an der Grenze Nubiens heran.«
»Und können sie auch bis nach Ägypten vordringen?« fragte Staß.
»Nein«, entgegnete Rawlison. »Obwohl der Mahdi behauptet, daß er die ganze Welt erobern will, so ist er doch ein zu wenig kultivierter Mensch, um sich einen rechten Begriff davon zu machen. Ägypten wird er nie erobern; denn England wird es ihm nicht gestatten.«
»Was aber, wenn die ägyptischen Truppen von ihm gänzlich vernichtet werden?«
»Dann werden englische Truppen kommen, die noch von niemand jemals besiegt worden sind.«
»Warum aber gestattet dann England erst dem Mahdi, so viele Staaten einzunehmen?«
»Woraus schließt du, daß England das gestattet hat?« antwortete Rawlison. »England eilt nicht, es hat Zeit, weil es ewig währt.«
Die weitere Unterhaltung wurde durch den Diener, einen Neger, unterbrochen, der die Ankunft Fatimas, Smains Frau, meldete, die um eine kurze Unterredung bat.
Die Frauen des Orients sind ausschließlich im Hause beschäftigt, so daß sie sehr selten den Harem verlassen. Nur die Ärmeren gehen auf den Markt, um einzukaufen, oder sie arbeiten auf dem Felde, wie die Frauen der ägyptischen Landwirte, der Fellachen, die beim Ausgange stets ihre Gesichter bedeckt halten. Im Sudan, von wo Fatima stammte, wird diese Sitte nicht beobachtet, und obwohl Fatima schon öfter im Kontor Rawlisons vorgesprochen hatte, verwunderte man sich sehr über ihr Kommen in eine Privatwohnung zu so später Stunde.
»Wir werden etwas Neues von Smain erfahren«, meinte Tarkowski.
»Das denke ich auch«, antwortete Rawlison, indem er dem Diener befahl, Fatima hereinzuführen.
Eine Minute darauf trat eine junge Sudanesin von hohem Wuchs, mit unverhülltem, sehr dunklem Antlitz herein. Sie hatte schöne, jedoch etwas wilde und unheimliche Augen. Beim Hereinkommen warf sie sich auf die Erde und blieb auch, als Rawlison sie aufforderte, aufzustehen, auf den Knien liegen. Sie erhob nur ihren Kopf zu Rawlison und sprach:
»Sidi, – möge Allah dich, deine Kinder und deine Herde segnen!«
»Was wünschest du?« fragte der Ingenieur.
»Erbarmen, Rettung und Hilfe im Unglück, Herr! Ich werde in Port Said gefangen gehalten, und mir und meinen Kindern droht das Verderben.«
»Du sagst, du wirst gefangen gehalten, du bist doch aber hierher gekommen und dazu noch so spät am Abend?«
»Zabdjes haben mich hergebracht, die mich und mein Haus des Tags und des Nachts bewachen, und die, wie ich weiß, die Weisung haben, uns zu ermorden.«
»Rede, wie es sich für eine kluge Frau gehört«, entgegnete Rawlison, indem er mit den Achseln zuckte. »Du befindest dich nicht im Sudan, sondern in Ägypten, wo man niemand ohne Richterspruch hinrichtet. Du kannst sicher sein, daß weder dir noch deinen Kindern ein Haar auf dem Haupte gekrümmt wird.«
Fatima begann jedoch zu flehen, daß sich Rawlison für sie bei der Regierung verwenden möchte. »Die Engländer sind so allmächtig, wie du, Herr, auch sie vermögen alles. Die Regierung in Kairo denkt, daß Smain Verrat geübt habe, das ist aber nicht wahr! Bei mir waren gestern arabische Kaufleute aus Souakim, die vorher im Sudan Gummi und Elfenbein aufgekauft hatten, und sie erzählten, daß Smain in El-Fascher krank darniederliegt und nach mir und den Kindern verlange, um sie zu segnen.« –
»Das alles sind von dir erdichtete Fabeln, Fatima«, unterbrach sie Rawlison.
Sie aber begann, bei Allah zu schwören, daß sie die Wahrheit spräche, und sagte, daß Smain nach seiner Genesung unzweifelhaft alle gefangenen Christen loskaufen werde. Wenn er aber sterbe, so werde man sie, als Verwandte des Anführers der Derwische, mühelos zu ihm vorlassen, und sie werde alles, was sie nur wolle, durchsetzen können. Man möge sie nur hinreisen lassen, denn das Herz in der Brust täte ihr so weh vor Sehnsucht nach ihrem Manne. »Wodurch habe ich unglückseliges Weib mich denn an der Regierung und dem Khedive vergangen? Ist es denn meine Schuld, kann ich denn etwas dafür, daß ich eine Verwandte des Mohammed Achmed bin?« schloß sie ihre Rede.
Fatima wagte es nicht, in Gegenwart der Engländer ihren Verwandten »Mahdi« zu nennen, weil dieser Name »Erlöser der Welt« bedeutet, und sie wußte, daß die ägyptische Regierung ihn für nichts anderes als einen Betrüger und Rebellen hielt.
Indem sie sich tief verneigte und den Himmel als Zeugen für ihre Unschuld und ihr Unglück anrief, begann sie zu weinen und so kläglich zu winseln, wie es im Orient die Frauen zu tun pflegen, die um ihren verstorbenen Mann oder um ein gestorbenes Kind klagen. Schließlich ließ sie den Kopf wieder auf den Teppich fallen, der den Boden bedeckte, und wartete schweigend.
Nel, die schon beim Schluß des Essens schläfrig gewesen, war wieder ganz wach geworden, und da sie sehr weichherzig war, ergriff sie die Hand des Vaters, küßte sie vielmals und begann für Fatima zu bitten:
»Hilf ihr doch, Väterchen, hilf ihr!«
Fatima, die anscheinend Englisch verstand, sprach mit immer noch zu Boden gesenktem Kopf unter Tränen:
»Allahs Segen auf dich, Paradiesblümchen! Du Wonne des Omaj, du Sternchen ohne Flecken.«
Auch auf Staß, wiewohl er sehr böse auf die Mahdisten war, wirkte das Flehen und das Leiden Fatimas. Dazu kam, daß auch Nel auf ihrer Seite stand, und da er stets dasselbe wollte wie Nel, so sagte er nach einer Weile wie für sich hin, aber zugleich so, daß es alle hören konnten:
»Wenn ich die Regierung wäre, würde ich Fatima gestatten, abzureisen.«
»Da du aber die Regierung nicht bist,« entgegnete Tarkowski, »so tätest du besser, wenn du dich nicht in Dinge einmischen würdest, die dich nichts angehen.«
Rawlison war sehr gutherzig und verstand es wohl, sich in die Lage Fatimas zu versetzen, aber einiges an Fatimas Worten mißfiel ihm und schien ihm einfach erlogen zu sein. Da er in ständiger Beziehung mit dem Zollamt in Ismailia stand, so wußte er nur zu gut, daß in letzter Zeit keine Ladungen mit Gummi oder Elfenbein in den Kanal gekommen waren. Der Handel mit diesen Waren hatte ganz aufgehört. Auch konnten arabische Kaufleute nicht von der im Sudan gelegenen Stadt El-Fascher zurückgekommen sein, weil die Mahdisten überhaupt keine Kaufleute zuließen und diejenigen, die sie abfaßten, beraubten und zu Gefangenen machten. Ebenso sicher hielt er die Erzählung von Smains Krankheit für unwahr.
Da aber Nels Augen unausgesetzt den Vater anflehten, so wandte er sich an Fatima, um das Kind nicht zu betrüben:
»Fatima, ich habe schon einmal auf deine Bitte hin an die Regierung geschrieben, aber ohne Erfolg. Höre nun: Morgen reise ich mit diesem Ingenieur, den du hier siehst, nach Medinet-el-Fayum. Unterwegs werden wir uns einen Tag in Kairo aufhalten, da der Khedive mit uns über die Kanäle sprechen will, die vom Bahr-Jussef aus durchstochen werden. Er wird uns auch einige Aufträge geben. Während dieser Unterredung werde ich versuchen, ihm deine Lage zu schildern und für dich um Gnade zu bitten. Mehr aber kann ich nicht tun, und mehr verspreche ich dir auch nicht.«
Fatima erhob den Kopf, und zum Zeichen des Dankes rief sie mit hochgeworfenen Armen:
»Ich bin also gerettet!«
»Nein, Fatima,« antwortete Rawlison, »von Rettung kannst du nicht sprechen, weil, wie ich dir schon sagte, weder dir noch deinen Kindern der Tod drohte. Ob der Khedive dir gestatten wird, abzureisen, das weiß ich nicht, – weil Smain nicht krank ist. Er ist ein Verräter; er nahm das Geld der Regierung und dachte gar nicht daran, die Gefangenen von Mohammed Achmed zu lösen.«
»Smain ist unschuldig, Herr, – er liegt in El-Fascher«, wiederholte Fatima. »Und wenn er selbst der Regierung untreu geworden wäre, so schwöre ich euch, so schwöre ich dir, meinem Wohltäter, daß ich, wenn man mir abzureisen erlaubt, so lange Mohammed Achmed anflehen werde, bis er mir eure Gefangenen herausgegeben hat.«
Fatima neigte sich wieder tief zu Boden und fuhr fort:
»Ich danke dir, Sidi! Du bist nicht nur mächtig, sondern auch gerecht. Erlaube mir, dich zu bitten, dir als Sklavin dienen zu dürfen.«
»In Ägypten gibt es keine Sklaven«, entgegnete Rawlison lächelnd. Ich habe auch genug Dienerschaft und kann deine Dienste schon deshalb nicht annehmen, weil wir, wie ich dir schon sagte, alle nach Medinet reisen und dort wahrscheinlich bis zum Ramasan Ramadan, auch Ramasan, der 9. Monat der Mohammedaner, ein Fastenmonat. bleiben.«
»Ich weiß es, Herr, der Wächter Chadigi erzählte es mir. Und als ich es erfuhr, kam ich nicht allein, um deine Hilfe zu erbitten, sondern auch, um dir zu sagen, daß zwei Männer aus meinem, dem Dangalastamme, Idrys und Gebhr, Kameltreiber in Medinet sind, und daß sie es als eine große Ehre betrachten würden, sich euch mitsamt ihren Kamelen dort zur Verfügung stellen zu dürfen.«
»Gut, gut,« erwiderte der Direktor, »doch das ist Sache der Cook-Gesellschaft, nicht meine.«
Nachdem Fatima beiden Ingenieuren und den beiden Kindern, insbesondere Nel, die Hände geküßt hatte, entfernte sie sich unter Segenssprüchen.
Einige Augenblicke schwiegen die Herren, dann sagte Rawlison:
»Armes Weib, – – – nur, daß sie so lügt, wie man bloß im Orient zu lügen versteht.«
Zwölf Stunden später aber flüsterte das arme Weib hinter gut verriegelter Türe mit gerunzelten Brauen und düsterem Ausdruck in ihren schönen Augen dem Sohn Chadigis zu:
»Chamis, Sohn des Chadigi, hier hast du Geld. Mach dich noch heute nach Medinet auf und übergib Idrys diesen Brief, den der gottesfürchtige Derwisch Bellal auf meine Bitte an ihn geschrieben hat. Die Kinder dieser Ingenieure sind zwar gut, erhalte ich jedoch keine Erlaubnis zur Abreise, so gibt es für mich kein anderes Mittel. Ich weiß, du wirst mich nicht verraten. Gedenke, daß auch du und dein Vater dem Dangalastamme angehören, in dem der große Mahdi geboren ist.«