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XXXVII.

Sie brachen jedoch erst einige Tage nach dieser Unterhaltung auf. Die Abreise erfolgte, nachdem sie sich in einem kurzen Gebet Gottes Gnade anvertraut hatten, bei Tagesanbruch um sechs Uhr früh. An der Spitze ritt Staß zu Pferde, nur von Sabà begleitet. Hinter ihm schritt gewichtig King einher, er bewegte die Ohren und trug auf seinem mächtigen Rücken den Palankin, in dem Nel und Mea saßen. Dann folgten, von Kali geführt, eins hinter dem andern die Pferde Lindes, die mit langen Palmenstricken aneinandergebunden und mit verschiedenen Gepäckstücken beladen waren. Den Zug beschloß der kleine Nasibu auf dem Esel, der wie er selbst gut gemästet war.

Da es sehr früh am Morgen war, machte sich die Hitze noch nicht zu sehr fühlbar, obwohl schönes Wetter war und hinter dem Karamoyogebirge die Sonne herrlich emporstieg, ohne durch das kleinste Wölkchen verschleiert zu sein. Der vom Osten herkommende Wind schwächte die Glut ihrer Strahlen. Zeitweise erhob sich sogar ein ziemlich starker Wind, unter dessen Hauch sich die Gräser niederlegten, so daß das ganze Dschungel wie ein Meer wogte. Nach den vielen Regengüssen waren alle Pflanzen so üppig in die Höhe geschossen, daß besonders in den Niederungen nicht nur die Pferde in den Gräsern verschwanden, sondern auch King. Über der wogenden grünen Oberfläche war nur das weiße Dach des Palankins zu sehen, das sich wie ein Fahrzeug auf der See vorwärts bewegte.

Nachdem sie eine Stunde weit geritten waren, trafen sie auf einer kleinen, trockenen Anhöhe östlich vom Lindeberg auf Riesendisteln Echinops giganteus wächst in jenen Gegenden und auch vielfach im südlichen Abessinien (vgl. Geographie von Elisée Reclus., die Stengel von der Dicke eines Baumstammes und Blüten von der Größe eines Menschenkopfes hatten. Auf den Abhängen einiger Berge, die von Ferne unfruchtbar erschienen, sahen sie Heidekraut von acht Meter Höhe. Auch andere Pflanzen, die in Europa nur winzig klein sind, nahmen hier Dimensionen an, die den Disteln und dem Heidekraut entsprachen. Und einzelne Riesenbäume, die sich über dem Dschungel erhoben, sahen tatsächlich wie Kirchen aus. Insbesondere die Feigenbäume, Daro genannt, deren wie in Trauer herabhängende Zweige bis zur Erde reichten, wo sie wiederum neue Stämme bildeten, bedeckten sehr große Flächen, so daß jeder einzelne Baum einen besonderen Hain bildete.

Von weitem gesehen, erschien das ganze Land wie ein einziger Wald. In der Nähe jedoch stellte sich heraus, daß die großen Bäume oft in Abständen von ungefähr mehreren Dutzend Schritten voneinander standen. Nach Norden zu waren nur sehr wenig Bäume, und die Gegend nahm mehr den Charakter einer Gebirgssteppe an, die von gleichmäßigem Dschungel bedeckt war, aus dem nur die einem Regenschirm ähnelnden Akazien hervorragten. Die Gräser hatten hier eine sehr frische grüne Färbung; sie waren kleiner, schienen aber eine vorzügliche Weide abzugeben, denn Nel sah von Kings Rücken und Staß von einer Erhöhung aus, die sie hinaufritten, so große Antilopenherden, wie sie beide noch nie zuvor gesehen hatten. Es weideten zuweilen getrennt, zuweilen auch untereinander vermischt, die verschiedensten Tiere zusammen. So z. B. Gnus, Pofus, Arielen, Antilopenkühe, Bubalen, springende Ziegenböcke und Kudus. Auch Zebras und Giraffen fehlten nicht. Beim Anblick der Karawane hörten die Herden auf zu weiden. Die Tiere hoben ihre Köpfe, spitzten die Ohren und blickten mit großem Erstaunen auf den weißen Palankin. Dann stoben sie in einem Augenblick auseinander. Wenn sie ungefähr hundert Schritt weit fortgerannt waren, blieben sie wieder stehen, beobachteten von neuem das ihnen unbekannte Ding, bis sie schließlich ihre Neugierde befriedigt hatten und wieder anfingen, ruhig weiter zu weiden. Von Zeit zu Zeit sprang vor der Karawane schnaubend und lärmend ein Nashorn auf. Aber trotz seiner heftigen Natur und seiner Bereitwilligkeit, über alles herzufallen, was ihm in den Weg kommt, nahm es beim Anblick Kings, der nur auf Staß' Befehl von einer Verfolgung zurückgehalten wurde, schmählich Reißaus.

Der afrikanische Elefant haßt nämlich das Nashorn, und wenn er irgendwo seine frische Spur findet, dann setzt er ihm im Vertrauen auf seine unbezwingbare Kraft nach, bis er den Gegner findet und mit ihm einen Kampf beginnt, dessen Opfer fast immer das Nashorn ist. – King, der sicher schon mehr als ein Nashorn auf dem Gewissen hatte, fiel es nicht leicht, der alten Sitte untreu zu werden. Aber er war schon so zahm und so daran gewöhnt, Staß als seinen Gebieter zu betrachten, daß er, sobald er des Knaben Stimme vernahm und seine drohenden Blicke bemerkte, den schon erhobenen Rüssel fallen, die Ohren herabhängen ließ und ruhig weiterschritt. Staß hatte zwar nicht übel Lust, sich einen Kampf dieser beiden Riesen anzusehen; doch er fürchtete für Nel. Wenn der Elefant im Galopp losging, konnte der Palankin in Stücke zerbrechen oder, was noch schlimmer war, das Riesentier konnte mit ihm an irgendeinem Zweige hängen bleiben, und dann befand sich Nel in schrecklicher Gefahr. Staß wußte aus Jagdbeschreibungen, die er noch in Port Said gelesen hatte, daß die Tigerjäger mehr das Hängenbleiben des Elefanten mit dem Palankin in der Hitze des Gefechtes oder bei der Verfolgung, als den Tiger selbst fürchten. Schließlich konnte den Galopp dieses schweren Riesen auf die Dauer niemand aushalten, ohne an seiner Gesundheit Schaden zu nehmen.

Kings Gegenwart war überhaupt von großem Nutzen und sicherte die kleinen Reisenden vor vielerlei Gefahren. Die boshaften und kampflustigen Büffel, von denen man noch an demselben Tage mehreren in der Nähe eines kleinen Sees begegnete, um den sich allabendlich die Tiere der Umgegend versammelten, flohen ebenfalls bei Kings Anblick. Sie umgingen den See und tranken sich erst auf seiner entgegengesetzten Seite satt. In der Nacht behütete King, der mit einem Hinterbein an einen Baum gebunden war, das Zelt, in dem Nel schlief. Und er war ein so sicherer Wächter, daß Staß zwar ein Feuer anzünden ließ, es aber für überflüssig hielt, das Lager mit einer Zeriba zu umgeben, obwohl er wußte, daß es in einer Gegend, wo sich so viele Antilopenherden aufhalten, auch nicht an Löwen fehlte. Und wirklich, schon in derselben Nacht fingen mehrere dieser Bestien, die unter den auf den Bergabhängen wachsenden riesigen Wacholderbüschen Die Wacholder in Abessinien und in den Karamoyobergen erreichen eine Höhe von 50 Metern (von Elisée Reclus). umherstreiften, zu brüllen an. Trotz des brennenden Feuers näherten sie sich, angelockt durch den Geruch der Pferde, dem Lager, bis King schließlich es müde wurde, ihre Stimmen anzuhören, und plötzlich in der Stille, einem Donner ähnlich, seinen drohenden »Baritus« So nannten die Römer den Gesang und das Kriegsgeschrei der Legionen und Germanen, auch das Gebrüll der Elefanten. vernehmen ließ. Die Löwen verstummten eingeschüchtert, da sie anscheinend wußten, daß es ratsamer ist, sich mit einem solchen Wesen in kein unmittelbares Geschäft einzulassen. Nun schliefen die Kinder den Rest der Nacht ausgezeichnet, und erst bei Tagesanbruch traten sie ihre Weiterreise an.

Für Staß begann nun Sorge und Unruhe von neuem. Zuerst bemerkte er, daß sie nur langsam vorwärts kamen, daß sie nicht mehr als zehn Kilometer täglich zurücklegten. Auf diese Weise konnten sie zwar in einem Monat die Grenze Abessiniens erreichen, aber da der Knabe sich vorgenommen hatte, Lindes Rat in allem zu folgen, der fest behauptet hatte, daß es ihnen nicht gelingen werde, nach Abessinien durchzukommen, so blieb ihnen nur der Weg zum Ozean. Aber nach der Berechnung des Schweizers trennten sie über tausend Kilometer vom Meere, und zwar in gerader Linie. Nach dem südlich gelegenen Mombassa war es also noch weiter. Demnach würde die ganze Reise drei Monate in Anspruch nehmen. Mit Schrecken dachte Staß an diese drei Monate der Sonnenglut, der Strapazen und Entbehrungen und der Gefahren, die ihnen die Negerstämme, auf die sie stoßen mußten, bereiten konnten. Jetzt befanden sie sich in einem unbewohnten Landstrich, den die Pocken und die Raubzüge der Derwische entvölkert hatten. Aber Afrika ist im allgemeinen ziemlich bevölkert, und sie mußten daher früher oder später in Gegenden kommen, die von unbekannten Volksstämmen bewohnt waren, die für gewöhnlich von wilden und grausamen kleinen Königen regiert werden. Es war keine leichte Aufgabe, aus allen diesen Gefahren mit dem Leben und der Freiheit wieder herauszukommen.

Am meisten hoffte Staß darauf, daß er auf die Wa-hima stoßen werde. Dann wollte er einige Dutzend Krieger im Schießen ausbilden und sie dann unter großen Versprechungen dazu bewegen, sie nach dem Ozean zu begleiten. Aber Kali hatte nicht die geringste Ahnung davon, wo die Wa-hima wohnten, und Linde, der zwar etwas von ihnen gehört hatte, war auch nicht imstande gewesen, ihm den Weg, sowie die Stelle genau zu bezeichnen, die sie bewohnten. Linde entsann sich eines großen Sees, den er aber nur aus Erzählungen kannte, und auch Kali behauptete mit Sicherheit, daß die Wa-hima auf der einen Seite des Sees wohnten, den er Basso-Narok nannte, während die Samburu die andere Seite des Sees besetzt hatten. Staß beunruhigte es nur, daß er in der Schule in Port Said, wo die Geographie Afrikas sehr genau gelehrt wurde, von einem solchen See nichts gehört hatte. Kalis Aussagen nach hätte er angenommen, daß es der Viktoria-Njansa sei, aber Linde konnte sich nicht so geirrt haben, da er ja vom Viktoria-Njansa nach Norden gezogen war, das Karamoyogebirge entlang, und weil er von den Bewohnern dieses Gebirges gehört hatte, daß jener geheimnisvolle See weiter gen Nordosten läge. Staß konnte sich gar kein rechtes Bild von all dem machen, und er befürchtete, weder den See noch die Wa-hima zu treffen. Weitere Sorgen machten ihm die wilden Negerstämme, das wasserlose Dschungel, die unpassierbaren Berge, die Tse-tse-Fliege, die die Tiere tötet, die Schlafkrankheit, für Nel das Fieber, die unerträgliche Hitze und die unendliche Entfernung, die sie noch vom Ozean trennte.

Aber nach dem Verlassen des Lindeberges blieb ihnen nichts weiter übrig, als vorwärts zu gehen, immer nach Osten und wieder nach Osten. Linde hatte zwar gemeint, daß diese Reise sogar die Kräfte eines erfahrenen und energischen Reisenden übersteige, aber Staß hatte ja schon so viele Erfahrungen gesammelt, und was die Energie anbetraf, so beschloß er, da es sich ja um Nel handelte, so viel Tatkraft zu zeigen, wie man brauchen würde. Fürs erste mußte das kleine Mädchen geschont werden. Er bestimmte daher, daß sie nur von sechs Uhr früh bis zehn Uhr vormittags reisen wollten, und daß sie eine zweite Etappe von drei bis sechs Uhr, d. h. bis zum Sonnenuntergange, nur dann machen wollten, wenn sie auf dem Platze der ersten Rast kein Wasser vorfänden.

Aber bisher hatten sie noch überall Wasser gefunden, da es während der Massika sehr viel geregnet hatte. Die kleinen Seen, die sich durch die Regengüsse in den Tälern gebildet hatten, waren noch gut gefüllt, und von den Bergen flossen hier und da Bäche herunter, die kristallklares und kaltes Wasser mit sich führten, in dem es sich ausgezeichnet baden ließ, was ganz gefahrlos war, da sich die Krokodile nur in größeren Gewässern aufhalten, in denen es ihnen nicht an Fischen, ihrer gewöhnlichen Nahrung, mangelt.

Staß erlaubte jedoch Nel nicht, unabgekochtes Wasser zu trinken, obwohl er von Linde einen ausgezeichneten Filter geerbt hatte, dessen Wirksamkeit Kali und Mea immer wieder mit Staunen erfüllte. Wenn die beiden sahen, wie der in trübes, weißliches Wasser eingetauchte Filter nur klares und reines Wasser in den Behälter hineinließ, so wanden sie sich vor Lachen und schlugen mit ihren Händen auf ihre Schenkel zum Zeichen des Erstaunens und der Freude.

Im allgemeinen ging die Reise anfangs leicht vonstatten. Von Linde hatten sie bedeutende Vorräte an Kaffee, Tee, Zucker, Fleischextrakt und Konserven, sowie alle Arten von Medikamenten erhalten. Staß brauchte mit Patronen nicht zu sparen, da sie mehr hatten, als sie mit sich führen konnten. Es fehlte ihnen auch nicht an verschiedenen Werkzeugen, an allerlei Arten von Waffen und an Raketen, lauter Dinge, die ihnen bei einem Zusammenstoß mit den Negern sehr nützlich sein konnten. Das Land war fruchtbar; wilde Tiere und demzufolge frisches Fleisch gab es übergenug. Früchte waren auch reichlich zu finden. Hier und da traf man in den Niederungen auf Sümpfe, die aber noch mit Wasser bedeckt waren, so daß sie die Luft nicht mit ihren schädlichen Ausdünstungen vergifteten. Moskitos, die durch ihre Stiche in das Blut Fieber einimpften, gab es auf der Hochebene nicht. Zwar war die Hitze von zehn Uhr an unerträglich, aber die kleinen Reisenden hielten sich während der sogenannten »weißen Stunden« im tiefen Schatten großer Bäume auf, durch deren Laub nicht ein einziger Sonnenstrahl hindurchdrang. Nel, Staß und die Neger erfreuten sich einer ausgezeichneten Gesundheit.


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