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In einem Augenblick stürzten sich alle mit einem fürchterlichen Geschrei auf Staß; man entriß ihm die Flinte und die Patronen und warf ihn zu Boden. Dann fesselten sie ihm Arme und Beine mit Stricken und schlugen auf ihn ein, bis sie endlich Idrys forttrieb aus Furcht für das Leben des Jungen. Und wie Menschen, die nur der Zufall aus einer schrecklichen Gefahr errettet hat, begannen die Wilden, abgebrochene Sätze auszustoßen.
»Das ist der leibhaftige Satan!« rief Idrys mit vor Schreck und Bestürzung bleichem Gesicht.
»Er hätte uns alle wie wilde Gänse der Reihe nach abgeschossen!« fügte Gebhr hinzu.
»Ach, wenn nicht dieser Hund!«
»Gott hat ihn hergeschickt!«
»Und ihr wolltet ihn töten!« sagte Chamis.
»Niemand von uns darf ihn auch nur anrühren!«
»Er soll von nun an immer Knochen und Wasser kriegen!«
»Allah! Allah!« wiederholte Idrys, der sich nicht beruhigen konnte. »Der Tod hing über uns! Uff!« – –
Dabei warfen sie alle haßerfüllte, zugleich aber auch erstaunte Blicke auf den auf der Erde liegenden Staß. Sie waren ganz verblüfft, daß ein einziger kleiner Junge die Ursache ihres Unglückes und Unterganges werden konnte.
»Beim Propheten!« rief einer der Beduinen, »wir müßten doch Vorbeugen, daß uns dieser Sohn des Iblis nicht das Genick umdreht. Wir führen eine Schlange zum Mahdi. Was denkt ihr mit ihm zu tun?«
»Man müßte ihm die rechte Hand abhacken«, riet Gebhr.
Die Beduinen schwiegen zustimmend, Idrys aber wollte es nicht gestatten. Er dachte daran, daß, falls man sie doch einfangen würde, die Strafe für die Verstümmelung des Jungen um so schwerer ausfallen würde. Und dann, wer konnte wissen, ob der Junge nach dieser Operation nicht sterben würde? In diesem Falle würde nur Nel zum Austausch für Fatima und ihre Kinder bleiben.
Als Gebhr nun das Messer hervorzog, um seine Drohung auszuführen, ergriff ihn Idrys am Handgelenk und hielt ihn fest.
»Nein,« sprach er, »es wäre eine Schande für fünf Krieger des Mahdi, einen einzigen christlichen jungen Dachs so zu fürchten, daß man ihm sogar die Hand abschneidet. Wir werden ihn des Nachts fesseln und ihm jetzt für seine Absicht mit der Karbatsche zehn Schläge versetzen.«
Gebhr war sogleich dabei, das Urteil zu vollstrecken, aber Idrys stieß ihn beiseite und befahl einem Beduinen, die Strafe auszuführen, indem er ihm ins Ohr flüsterte, nicht zu stark zuzuschlagen.
Da Chamis, vielleicht eingedenk seines früheren Dienstes bei den Ingenieuren, vielleicht auch aus irgendeinem anderen Grunde, sich in die Angelegenheit nicht einmischen wollte, so drehte der andere Beduine Staß mit dem Rücken nach oben. Die Exekution sollte eben beginnen, als plötzlich eine unvorhergesehene Störung eintrat.
In der Öffnung zur Höhle erschien Nel mit Sabà.
Mit ihrem Liebling beschäftigt, der, als er in die Höhle hineingestürzt war, sich sofort zu ihren Füßen geworfen, hatte sie zwar das Geschrei der Araber vernommen, aber nicht weiter beachtet, da sie von Ägypten her daran gewöhnt war, daß die Araber und Beduinen bei jeder Gelegenheit gleich ein Geschrei erheben, als wenn sie sich gegenseitig umbringen wollten. Erst als sie nach Staß gerufen und keine Antwort erhalten hatte, war sie aufgestanden, um zu sehen, ob er schon auf einem Kamel sitze.
Zu ihrer Bestürzung sah sie nun in dem matten Lichte des Tagesanbruches Staß auf der Erde liegen und über ihm den Beduinen mit der Karbatsche in der Hand.
Bei diesem Anblick begann sie aus Leibeskräften zu schreien und mit den Füßen zu stampfen. Und als der Beduine dennoch den ersten Schlag verabfolgte, stürzte sie vorwärts und deckte mit ihrem Körper den des Knaben.
Der Beduine wurde unschlüssig, da er keinen Befehl hatte, das Mädchen zu schlagen, das inzwischen mit verzweifelter und entsetzter Stimme rief:
»Sabà! Sabà!«
Und Sabà begriff, warum es sich handelte; mit einem Sprung war er bei den Kindern. Die Haare seines Felles sträubten sich, seine rotüberlaufenen Augen glühten, und seiner Brust und Kehle entquoll es wie ein drohender Donner. Die Lippen seiner faltigen Schnauze hoben sich langsam in die Höhe und zeigten die langen, weißen Zähne bis zu dem blutroten Zahnfleisch im Kiefer. Die ungeheure Dogge begann den Kopf von rechts nach links zu drehen, wie um den Sudanesen und Beduinen seine fürchterliche »Garnitur« gründlich zu zeigen und zu sagen:
»Seht, damit werde ich die Kinder schützen!«
Die Männer zogen sich auch schleunigst zurück, erstens, weil sie wußten, daß das Tier ihnen das Leben gerettet hatte, und zweitens, weil es klar war, daß, wenn sich in diesem Augenblick jemand von ihnen Nel genähert, der wütende Hund sofort seine Raubtierzähne tief in des Angreifers Gurgel geschlagen hätte. Daher standen alle ratlos da; sie sahen sich gegenseitig mit unsicheren Blicken an, als wenn sie einander fragten, was jetzt zu geschehen habe.
Ihr Schwanken dauerte so lange, daß Nel genügend Zeit hatte, um die alte Dinah herbeizurufen, der sie befahl, Staß' Fesseln zu durchschneiden. Staß erhob sich nun, und indem er die Hand auf Sabàs Kopf hielt, wandte er sich zu seinen Angreifern:
»Ich wollte nicht euch töten, sondern die Kamele«, sagte er mit verzerrten Lippen.
Aber auch diese Mitteilung wirkte auf die Araber so, daß sie sich unzweifelhaft wieder auf Staß gestürzt hätten, wenn sie nicht die flammenden Augen Sabàs und sein noch immer gesträubtes Fell davor gewarnt hätten. Gebhr wollte dennoch auf Staß zuspringen, aber ein einziges dumpfes Knurren des Hundes bannte ihn wieder auf seinen Platz.
Einen Augenblick folgte dieser Szene tiefes Stillschweigen, dann erscholl weithin Idrys laute Stimme:
»Marsch, auf den Weg! Auf den Weg!«